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Parsifal

Bühnenweihfestsppiel in drei Aufzäügen
Text und Musik von Richard Wagner


in deutscher Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere in der Hamburgischen Staatsoper am 16. September 2017


Homepage

Staatsoper Hamburg
(Homepage)

Zum Raum wird hier der Klang

Von Joachim Lange / Fotos von Hans Jörg Michel


Auch der neue Parsifal in Hamburg ist natürlich in erster Linie der von Richard Wagner. Und - in der Verlängerung von dessen Vorstellungen ins Hier und Heute - von Kent Nagano. Sofern ein solches Wagnis außerhalb des Bayreuther Festspielhauses, für das Wagner sein Bühnenweihfestspiel ja komponiert hat, überhaupt glücken kann. Doch in diesem speziellen Fall ist die oft ohne tieferes Nachdenken verwendete Formel, die das Werk einfach dem Regisseur zuordnet, ein klein wenig zutreffender, als sonst. Diesmal könnte auch darüberstehen: eine Installation von Achim Freyer (83) zu Musik und Text von Richard Wagner. Es ist frappierend, mit welcher Konsequenz sich Freyer ein vorgefundenes Werk aneignet, wie eine Amöbe umschließt, um es dann im surrealen Glanz seiner Ästhetik schimmern, aufleuchten, flackern oder verlöschen zu lassen. Man könnte auch sagen: dass er es seiner nachvollziehbaren Elemente beraubt, es dekonstruiert, die so gewonnenen Zeichen und Bruchstücke durcheinanderwirbelt, um sie dann mit traumwandlerischem Selbstbewusstsein neu zusammenzufügen. Jedenfalls schert sich dieser Gesamtkunstwerker weder um die üblichen Vorgaben der Branche und die Rezeptionsgeschichte. Oder ganz allgemein um die gerade vergangene oder noch waltende Lebenswirklichkeit. Also genau um jene Momente, die seine Fach-Kollegen gerne zur Folie für Wagners finales Werk machen. Wie etwa Stefan Herheim und gerade Uwe-Eric Laufenberg in Bayreuth mehr oder weniger schlüssig.

Szenenfoto

Obwohl: die überdimensionierte Krawatte, die der Schöpfer lebendiger, klingender Bilder-Welten seinem Klingsor (diabolisch präsent: Vladimir Baykov) verpasst hat, erinnert sehr an die fortgesetzte (noch am leichtesten auszuhaltende) Geschmacklosigkeit des amtierenden US-Präsidenten. Die Frisur übrigens auch. Nimmt man noch das kleine Hammer-und-Sichel Graffiti hinzu, dann hat sich links oben am Bühnenportal sogar ein politisches Zeichen eingeschmuggelt, während man den Hasen-Kopf gegenüber auch als Verweis auf die verniedlichend gerne "Hasifal" genannte Bayreuther Inszenierung von Christoph Schlingensief nehmen kann, der ja ähnlich radikal in seinem autonomen Paralleluniversum schwebte.

Szenenfoto

Aber eigentlich ist auch das nur eine Art von ästhetischer Ironie, mit der Freyer so souverän spielt. Oder sich verliert. Wie mit der grotesken Verfremdung der Masken. Da schwebt über dem verrutschten Augenpaar von Gurnemanz (eloquent solide: Kwangchul Youn) ein zweites Haupt. Da ist Amfortas (eindringlich: Wolfgang Koch) wie ans Kreuz geschlagen und mit der Hülle des Leidensmannes versehen. Da bewegt sich Andreas Schager, die aktuelle Wunderwaffe bei den Wagnertenören, wie ein trauriger Clown erst mit unschuldsblödem Grinsen durchs Bild, um dann am Ende wissend zu lächeln. Und Kundry (Claudia Mahnke mit packender Präsenz) kommt daher wie die Sünde persönlich, ein Wuschelmonster, während die Blumenmädchen als grotesk überzeichnete Busenwunder eine Erotik ausstrahlen, bei der selbst dieser Parsifal nicht von seiner "Sendung" abkommt.

Szenenfoto

Der entscheidende Einfall Freyers ist der Raum. Eine Spirale, die Oben und Unten, Anfang und Ende, Traum und Wirklichkeit verbindet, aufhebt, vermischt. Die unsichtbaren Galeriegänge hinten, werden in der Höhe gespiegelt und auf die Gaze an der Rampe projiziert. Überall Zahlen und Zeichen, die alles und nichts bedeuten können. Mit einem skizzierten Rollstuhlungetüm für Titurel (Tigran Martirossian). Mit einem wandelnden Tod, der einen Kinderwagen mit Totenkopf vor sich herschiebt. Beim Schuss auf den Schwan fällt ein rotes Tuch aus dem Schnürboden, dem ein paar einsame Federn folgen. Der Gral selbst hat die Gestalt eines Mädchens mit selbstleuchtendem Röckchen und einem Schwellkopf. Immer wieder werden Worte eingeblendet, die dem ahnenden Hören die Stichworte liefern: Werk, Traum, Schlaf, Schwarz, Hoffnung usw. So entsteht ein Malstrom der Abgründe. Einen Zugang findet da nur, wer sich auf das Spiel mit den Assoziationen und auf die Musik einlässt.

Szenenfoto

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie ihr Programmheft und ihre Parsifalerfahungen. Vielleicht war ja die Dame, die während der Premiere entschlummert war und mit einem vernehmbaren Erschrecken verstört wieder erwachte, weit mehr ins Herz der Finsternis vorgedrungen als alle anderen. Der parsifalerfahrene Hamburger GMD Kent Nagano steuerte seinen analytischen Scharfsinn bei, spielte, da der geheimnisvolle Weihemischklang im offenen Graben nicht zu haben ist, mit der Klarheit von Strukturen dem Mischklang der Bilder entgegen. Er fand mit seinen Tempi (mit 1h 45' für den ersten Aufzug) seine eigene Mitte, und öffnete den Klangraum fürs fühlende Erkennen. Das sich nicht auf einen Nenner bringen lässt. Die Hamburger, die mit der Freyer-Ästhetik aus einer seiner Zauberflöten-Inszenierungen vertraut sind, ließen sich erstaunlich einmütig auf diesen Traum ein.


FAZIT

Kent Nagano, vor allem aber Achim Freyer bescheren der Hamburgischen Staatsoper zum Saisonauftakt einen Parsifal als Gesamtkunstwerk der ganz eigenen Art.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Kent Nagano

Inszenierung, Ausstattung, Licht
Achim Freyer

Mitarbeit Regie
Sebastian Bauer

Mitarbeit Bühne
Moritz Nitsche

Mitarbeit Kostüme
Petra Weikert

Lichtdesign
Sebastian Alphons

Chor
Eberhard Friedrich

Video
Jakob Klaffs
Hugo Reis

Dramaturgie
Klaus-Peter Kehr


Chor der Staatsoper Hamburg

Philharmonisches
Staatsorchester Hamburg


Solisten

Amfortas
Wolfgang Koch

Titurel
Tigran Martirossian

Gurnemanz
Kwangchul Youn

Parsifal
Andreas Schager

Klingsor
Vladimir Baykov

Kundry
Claudia Mahnke

1. Gralsritter
Jürgen Sacher

2. Gralsritter
Denis Velev

1. Knappe
Alexandra Steiner

2. Knappe
Ruzana Grigorian

3. Knappe
Sergei Ababkin

4. Knappe
Sascha Emanuel Kramer

Blumenmädchen I, 1
Athanasia Zöhrer

Blumenmädchen I, 2
Hellen Kwon

Blumenmädchen I, 3
Dorottya Láng

Blumenmädchen II, 1
Alexandra Steiner

Blumenmädchen II, 2
Gabriele Rossmanith

Blumenmädchen II, 3
Nadezhda Karyazina

Stimme aus der Höhe
Katja Pieweck





Weitere
Informationen

erhalten Sie von der
Staatsoper Hamburg
(Homepage)



Da capo al Fine

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