Die Deutsche Oper hat mit Aribert Reimanns neuer Oper „L’invisible“ eine international beachtenswerte Premiere hingelegt.

Es ist nicht übertrieben: Die Uraufführung von Aribert Reimanns neuer Oper „L‘invisible“ („Das Unsichtbare“) unter Donald Runnicles ist für die Deutsche Oper ein Triumph geworden. Während des Schlussapplauses scheint sich bei der hier prominent versammelte Kultur- und Politikszene Berlins Erleichterung breit zu machen, dass nach der enttäuschenden Wiedereröffnung der Staatsoper ausgerechnet das Haus an der Bismarckstraße – zuletzt nicht gerade mit künstlerischen Erfolgen gesegnet – fähig ist, zum Saisonstart in der Hauptstadt eine international beachtenswerte Opernpremiere hinzulegen.

Aribert Reimann hat drei kurze Theaterstücke des belgischen Symbolismus-Dichters Maurice Maeterlinck zu einem Opernwerk zusammengefasst – Stücke, die mit dem direkt oder indirekt erzählten Tod von Kindern für das Publikum stets etwas schwer Bedrückendes an sich haben. Worte, an deren Wirkungs- und Beschreibungskraft Maeterlinck um 1900 wie viele seiner Zeitgenossen schwer zweifelte, umstellen in diesen Stücken oft bleischwere schicksalhafte Zustände, ohne sie zu verändern. Reimanns Musik dazu ist nur kongenial zu nennen. So begleiten gleich im ersten Stück („L‘Intruse“ – „Der Eindringling“) durchweg stotternde Streicher die Familie, die am Esstisch sitzt und auf den Tod der gerade niedergekommenen Mutter des Hauses wartet sowie auf den ersten Schrei des noch stummen Kindes.

Die Exquisitheit der Sängerstimmen ist sofort auffällig. Zugegeben, niemand muss forcieren, denn kaum je erklingt hier ein Ton gleichzeitig mit dem Orchester. Doch namentlich der Sopran von Rachel Harnisch, die in allen drei Einaktern tragende Frauenrollen übernimmt, schlägt durch seine weiche Kultiviertheit und dennoch Größe und Tragfähigkeit in den Bann. Ihr gegenübergestellt ist die treffend ausgesuchte Stimme von Annika Schlicht, welche die hochdramatischen Parts übernimmt.

Diese beiden einzigen tragenden Frauenstimmen fügen sich im zweiten Teil in ein Ensemble von Holzbläsern, das eine niederdrückende und doch aus dem Orchestergraben exzellent kammermusikalisch dargebotene Klangkulisse zu einem in dieser Hoffnungslosigkeit fast absurden Setting gibt: Zwei Männer sind zu einer weihnachtsbaumschmückenden Familie vorausgeschickt worden, um ihr die Nachricht vom Selbstmord ihrer Tochter zu überbringen. Während Ensemblemitglied Stephen Bronk souverän, mit biegsamem Bariton und ohne etwas Altväterhaftes die Vaterrollen der drei Stücke gestaltet, fällt Thomas Blondelle wie bereits in der letzten Spielzeit in der Staatsoper mit durchschlagskräftiger Stimme und einer außergewöhnlichen Gestaltungskunst für labile Tenor-Charaktere in der Neuen Musik auf.

Der auch in Deutschland mittlerweile hoch gehandelte russische Jungregisseur Vasily Barkhatov legt mit seiner an Tschechov-Familiensettings erinnernden Inszenierung und einer konzentrierten Führung der Sängerdarsteller ein Meisterstück vor. Dies gilt auch für seine künstlerische Ernsthaftigkeit – wiewohl Barkhatov mit dem von einer bösen Königin multipel ermordeten Jungen im dritten Teil dann doch szenisch über die Stränge des bei Maeterlinck ästhetisch Angemessenen schlägt.

Deutsche Oper, Bismarckstraße 35. 18., 22., 25., 31. Oktober