Bremen - In seinem satirischen Schelmenroman „Candide“ rechnet der französische Philosoph Voltaire mit der Gedankenwelt des Optimismus von Gottfried Leibniz ab. Er wendet sich gegen Absolutismus und Dummheit. Leonard Bernstein sah in dieser Vorlage eine reizvolle Möglichkeit, dem selbstzufriedenen Amerika mit seinen politischen Verhältnissen (McCarthy) eins auszuwischen. Aber auch sein Musical ist von verwirrender Handlungsfülle. Loriot sagte in einem Bonmot, es sei das einzige Stück, „dessen Inhaltsangabe, rasch vorgetragen, ebenso lange dauert, wie das Musical selbst“. In Bremen wurde jetzt im Theater am Goetheplatz eine 1999 entstandene Fassung von John Caird gespielt.

Jeder Regisseur steht bei „Candide“ vor immensen Schwierigkeiten. Marco Štorman hat einen sehr originellen Weg gefunden. Er verzichtet darauf, die im gefühlten Sekundentakt wechselnden Schauplätze auch nur ansatzweise zu bebildern. Das Herzstück der von Jil Bertermann gestalteten Bühne ist eine riesige Spiegelwand im Hintergrund, mit der geradezu gezaubert wird. Diese Spiegel werden laufend verändert: Sie scheinen zu zerspringen, formen räumliche Gebilde oder setzen sich wieder zusammen. So entstehen immer wieder neue Eindrücke. Da macht Candide sogar einen Ausflug ins Weltall. Mit den Spiegeln wird das Schweben der Astronauten perfekt vorgegaukelt.

Štorman hat seine Zweistunden-Inszenierung (zusammen mit Alexandra Morales) choreographiert. Der Ritt zu Pferde, die Fahrt über das Meer oder das Erdbeben: Alles wird nur durch Körpersprache verdeutlicht. Bei den Naturgewalten gibt es zudem akustische Effekte. Beeindruckend sind die mit viel Symbolkraft entworfenen Kostüme von Bettina Werner, ob es sich um Soldatengewänder, die Vertreter der Kirche mit ihren überdimensionalen Köpfen, Astronautenanzüge oder die „Old Woman“ handelt, die ein heißer Feger in knalligem Rot ist – dem Auge wird viel geboten.

Aber: Die vielen gesprochenen Texte in englischer Sprache zu bringen, ist kontraproduktiv. Dies ist ein entscheidendes Manko der Produktion.

Wenn man von der Ouvertüre absieht, die man schon pfiffiger gehört hat, können die Bremer Philharmoniker unter Christopher Ward durchgängig überzeugen. Uneingeschränkt vergnüglich gelingt die Quirligkeit bei dem Song „What’s the Use“. Die Titelpartie singt Christian-Andreas Engelhardt, dem hier eine seiner besten Leistungen gelingt. Sein Tenor entwickelt Schmelz und Kraft, die Gefühle Candides finden oft berührenden Ausdruck. Die bekannteste Nummer ist Cunegondes Bravour-Arie „Glitter and Be Gay“, die von Nerita Pokvytyteté mit leichtfüßiger Souveränität und Augenzwinkern serviert wird.

Auch Natalie Mittelbach als „alte Dame“ beeindruckt mit frivolen Mezzotönen. Die zentrale Rolle des Dr. Pangloss, dem für Leibniz stehenden Hauslehrer, wird von Holger Bülow wie ein Mephisto gestaltet. Sein Gegenspieler Voltaire findet in Moritz Löwe einen suggestiven Interpreten. Der Chor zeigt sich in der Einstudierung von Alice Meregaglia in bester Form und darf auch im Zuschauerraum singen.