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Rückzug ins SchneckenhausVon Stefan Schmöe / Fotos von Paul Leclair
Violetta und Chor
Der Orchestergraben wurde geflutet. Da, wo sonst die Musiker vor der Bühne sitzen, befindet sich ein formidabler Teich mit ein paar Schilfpflanzen. Eine einigermaßen absurde Idee von Bühnenbildner Tobias Flemming, muss man sagen, denn von der Zuschauertribüne im Köln-Deutzer Staatenhaus, jedenfalls von Reihe 13 aus, ist davon so gut wie nichts zu sehen, und selbst wenn mal jemand hindurchwatet oder hineinfällt, ist das für die Handlung ohne jede Bedeutung. Das Wasser wirft ganz hübsche Spiegelungen auf die weiße Vorhanggardine, aber die ist ja schnell beiseite gezogen. Und das Orchester? Das sitzt neben der Bühne, und von dort klingen die ganz ausgezeichneten Kölner Philharmoniker auch sehr schön, weniger direkt als in der frontalen Anordnung. In vielen Szenen kann Dirigent Matthias Foremny von dort aus zaubern, der Musik viel Schwung geben, Gespür vor allem für die eher konventionell komponierten Passagen zeigen, in denen er die Musik mit nervöser Spannung auflädt. Ein paar Wackler in der Koordination mit dem ebenfalls sehr guten Chor - geschenkt, das kommt in den meisten Traviata-Aufführungen vor. Aber in manchen der Arien, da wünschte man sich direkteren Kontakt zwischen Sänger und Dirigent, um flexibler das Tempo zu variieren, das Foremny mitunter recht akademisch streng vorgibt, wo es "atmen" müsste, mehr Spannung entstehen dürfte. Und das wegen ein wenig Wasser, das man nicht mal sieht?
Bedrohtes Glück: Alfredo und Violetta
Regisseur Benjamin Schad siedelt die Geschichte in der Gegenwart an, allerdings einer recht abstrakten, in der gesellschaftliche Zwänge kaum mehr erkennbar sind. Die Bühne besteht aus einer großen, flachen Treppe, in einigen Szenen durch Vorhänge gegliedert, durch aufgefächerte marmorierte Rückwände begrenzt - dass es einem Schneckenhaus nachempfunden ist, muss man schon dem Programmheft entnehmen. Der erste Akt ist ziemlich konzentriert inszeniert, und das liegt vor allem an Marina Costa-Jackson in der Partie der Violetta, die sehr agil über die Bühne wirbelt und mit ihrer Präsenz das Geschehen beherrscht, szenisch wie vokal. Zwar besitzt ihr leuchtender und strahlkräftiger Sopran ein ziemlich starkes, mitunter die Gestaltungsmöglichkeiten einschränkendes Vibrato, aber die Töne "sitzen" und haben beeindruckende Kraft - auch im Piano füllt die Stimme den unwirtlichen Raum bestens aus. In den introvertierten Arien ist das ein wenig viel an Glanz; an Atemnot leidet diese angeblich lungenkranke Violetta sicher nicht - aber zu viel Stimme, das ist schon Kritik auf sehr hohem Niveau. Mit Top-Figur zeigt sie zunächst im knappen schwarzen Kleid viel Bein, wird dann aber als Zeichen ihrer inzwischen bürgerlichen Existenz in einen weißen Hosenanzug gesteckt, der ihr gar nicht steht - und den Giorgio Germont, der Vater ihres Liebhabers Alfredo, ihr symbolträchtig auszieht, auf dass sie wieder das Kurtisanenschwarz anlegt. Die Handlung verliert sich nach und nach in einer mehr ästhetischen Dimension, in der die Gefühle und Empfindungen in Bildern gespiegelt werden. Auch ihr Sterben ist auf eine symbolische Ebene verlegt, da zieht sie sich in die innere Kammer des Schneckenhauses zurück, und so vermeidet die Regie recht geschickt die gefährliche Sentimentalität der finalen Szene. Der Preis für diese Verschiebung ist allerdings, dass manches arg neutral gerät.
Das Ende: Violettas Rückzug ins Schneckenhaus.
Das liegt auch an den sehr unterschiedlichen darstellerischen Fähigkeiten der Akteure. Was dieser Violetta zum ganz großen Drama vor allem fehlt, das ist der tenorale Gegenpart. Sicher hat David Junghoon Kim als Alfredo eine schöne und kraftvolle Stimme mit sicheren Forte-Höhen, dabei überhaupt nicht scharf, und auch den Willen zur nuancierten Gestaltung mit vielen leisen Tönen - aber im Piano wird die Stimme oft eng, und insgesamt wirkt die musikalische Interpretation recht brav und einstudiert. Die szenische Gestaltung geht über wenige konventionelle Gesten kaum einmal hinaus und endet fast immer in denkbar steifem Herumstehen. Im Gegensatz zur Violetta wirkt diese Figur wie ein permanenter Fremdkörper. Lucio Gallo steuert für den Giorgio Germont einen noblen und eleganten Bariton bei, weiß mit den vom Dirigenten vorgegebenen Tempi aber oft wenig anzufangen und nimmt sich allerhand rhythmische Freiheiten, die an sich ja ganz hübsch wären, wenn das Orchester dem folgen könnte - aber, siehe oben, bei den Entfernungen ist das nicht so einfach. Und manches verschleppt Gallo auch. Seine Gestik ist reduziert, aber im Detail genau. Bei so unterschiedlich agierenden Hauptpersonen ist eine klare Regiehandschrift bei der Personenführung nicht zu erkennen.
Im Ergebnis entsteht, wie fast immer bei der Traviata, eine Folge von dekorativen Tableaus. Durch die strenge Ästhetik ist das optisch durchaus gelungen. Ein paar umgeworfene Stühle und eine riesige Kuscheldecke als Requisiten für Violettas Landhaus und Ausdruck der bereits zu Beginn des zweiten Aktes zum Scheitern verurteilten Beziehung, das ist eine wohltuende Reduktion. (Auch da fragt man sich, wozu es des Teiches bedarf.) Musikalisch zu erwähnen sind noch Judith Thielsen als glasklar singende Annina und Adriana Bastidas Gamboa als in jeder Hinsicht attraktive Flora.
Keine durchweg glanzvolle oder szenisch besonders tiefschürfende, aber insgesamt doch ordentliche Aufführung in schönen Bildern.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der rezensierten Aufführung
Violetta Valéry
Alfredo Germont
Giorgio Germont
Flora Bervoix
Annina
Gastone
Barone Douphol
Marchese d'Obigny
Dottore Grenvil
Giuseppe
Diener Floras
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