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Götterdämmerung


Dritter Tag des Bühnenfestspiels Der Ring des Nibelungen
Text und Musik von Richard Wagner

in deutscher Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 5h 45' (zwei Pausen)

Premiere im Badischen Staatstheater Karlsruhe am 15. Oktober 2017


Homepage

Badisches Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)
Tiefblick im Spiegel

Von Roberto Becker / Fotos von Matthias Baus

Es ist eine Neuauflage der Stuttgarter Methode. Vier verschiedene Regisseure haben sich die einzelnen Teile des Nibelungenringes vorgenommen. Ohne die Verpflichtung, einen inneren Bezug herzustellen. Es ist diesmal völlig egal, wie Wotan Brünnhilde am Ende der Walküre zurücklässt. Sie kann aufwachen wo immer der nächste Regisseur es will. Wenn Heidi Melton also am Ende von Yuval Sharons Walküre in einem Eisblock in einem abstrakten Nirgendwo tiefgefroren wird, dann kann sie im Siegfried bei Thorleifur Örn Arnarsson ohne ein Anschlussproblem als Heidi auf der Alm aus der Versenkung auftauchen und muss nicht erst aufgetaut werden.

Für das Kontinuum der vier Teile stehen so überragende Sängerpersönlichkeiten wie die Allround-Brünnhilde (mit Bayreuth-Weihen) Heidi Melton. Und natürlich Justin Brown am Pult der Badischen Staatskapelle. Der sich in der Götterdämmerung (von den unvermeidlichen, nur gelegentlichen Konditionsschwächen der Bläser abgesehen) in der Ring-Klangwelt wohlfühlt wie die Rheintöchter in ihrem mythischen Gewässer. Sind die Walküre und Siegfried tatsächlich autonome szenische Exkursionen ins Nibelungenuniversum, so haben David Herrmann und Tobias Kratzer mit dem Rheingold und der Götterdämmerung dezidiert das Ganze im Blick. Wenn auch auf sehr verschiedene Weise. David Herrmann hatte in seiner Inszenierung des Vorabends der Tetralogie seine Startposition dazu genutzt, um gleichsam den ganzen Ringunterzubringen, also die Ahnungen vom Ende der Welt als einen Alptraum Wotans wie vorausblickend ablaufen zu lassen.

Vergrößerung Die Nornen erwarten das Ende

Kratzer wiederum resümiert wie auf einer Metaebene die spezielle Machart dieses Karlsruher Ring-Exemplares. Er lässt nämlich seine drei Kollegen leibhaftig auftreten. Als Regisseure. Damit keine Missverständnisse aufkommen, sitzen sie in den entsprechenden Regiestühlen auf deren Rücklehnen jeweils der Titel ihres Ringteils steht. Sie schauen auf einen geschlossenen Vorhang mit dem Schriftzug THE END. Ein Anglizismus mitten in der Deutschen Großoper? Für einen kurzen Moment irritiert das. Es ist aber so praktisch wie assoziationssicher. Bis die drei den Mund aufmachen und (die Partien der Nornen) singen, könnte man glauben, dass Statisten in den Masken der Jungregisseure stecken, die sich da auf den Regiestühlen erschöpft oder leicht verzweifelt rumhängen und vor denen sich offenbar gerade der Vorhang vor einem "Was-bisher-geschah" geschlossen hat. Die beiden englischen Vokabeln sind aber nicht nur Feststellung, sondern zugleich Aufforderung. Das dauernd beschworene Ende nämlich ist noch nicht inszeniert. Und die drei wissen auch nicht so recht, wie sie den ausgelegten Fährten folgen sollen. Sie haben schon Problem damit, das bisherige Geschehen einigermaßen stringent zusammenzufassen. So präsentiert fällt auf, was Wagner hier in der Nornenszene für eine Collage als Zusammenfassung und Einführung seinem Publikum zumutet.

Vergrößerung

Im Schlafzimmer: Gunther, Siegfried und Brünnhilde

Eine so selbstironisch auf den eigenen Berufsstand zielende Pointe muss man sich erst mal trauen. Vor allem aber muss man sie dann durchhalten und damit auch beweisen, dass man es selbst kann. An Selbstbewusstsein mangelte es Tobias Kratzer noch nie. Sein erster weithin sichtbarer Auftritt als Regisseur war ja eine Mehrfach-Bewerbung bei einem Wettbewerb mit verschiedenen Pseudonymen. Aber eben auch der Gewinn aller Preise. In der Götterdämmerung nimmt er sich auch selbst auf die Schippe. Wenn man Ende der vierte Regiestuhl herangeschafft wird, dann ist es Brünnhilde, die darin Platz nimmt - und die hat nun absolut gar keine Ähnlichkeit mit dem Regisseur. Sie übernimmt das Regie-Zepter, zieht sich gleichsam selbst aus dem Feuer, in das sie ihr Erfinder schicken will. Brünnhilde spult die Handlung einfach zurück. Bis genau zu dem Punkt, an dem Siegfried sie verlässt. Wegen der großen Taten, zu dem es ihn so eilig drängt, dass er nicht mal sein kariertes Hemd überzieht. In das hatte sich Brünnhilde gehüllt und wenigstens auf diese Weise ihren Traummann bei sich behalten.

Kratzer und sein Dauerbühnenbildner Rainer Sellmaier stellen sich zwar nicht dem Wettbewerb um die pure Opulenz der Bilder (bei dem für sich genommen vielleicht der Siegfried als erster durchs Ziel gehen würde), gewinnt aber den um die packendste und tiefenschärfste Personenregie haushoch. Dazu genügen das helle Schleiflackschlafzimmer Brünnhildes und der Spiegelsaal der Gibichungen. Das ist karg, konzentriert aber durch die Spieglung immer wieder auf die innere Beschaffenheit der Figuren. So genau in Hagen oder Gunther hinein hat bislang noch niemand geschaut. Kratzer liest extrem genau den Text und seinen Subtext und hört allemal stets auf die Musik. Der kleine Gag, bei dem einer der Jungregisseure beim Blick in die Partitur den Wälzer verkehrt herum hält und ein Kollege das korrigiert, könnte man mit ihm nicht machen. Das Bühnenresultat spräche vom ersten bis zum letzten Ton dagegen. Aber hier wird nicht nur das ganze Personal, das man gut zu kennen glaubt, auf die metaphorische Couch gelegt. Was dabei an Erkenntnissen herauskommt, wird mit zum Teil überraschenden szenischen Witz umgesetzt.


Vergrößerung Hagen und die Mannen

Das reicht vom beständigen "Eingreifen" der drei Regisseure in die Handlung und ihre Verblüffung, wenn es anders kommt, als sie denken, über die spezielle Art, wie Grane im Laufe des Abends sein Erscheinungsbild wandelt (bis hin zu einem leibhaftigen, offenbar wagneraffinen Gaul) und die ausführliche Anwendung des Tarnhelms bis zu der ebenso konsequenten Abwesenheit eines Schwertes. Wenn schon wie hier Macht und Sexualität - als Angst vor Machtverlust mit Versagensängsten - zusammengedacht werden, dann muss unser Held tatsächlich kein leibhaftiges Schwert mit sich herumschleppen. Dann hat er das, was gemeint ist, immer am Mann. Es sei denn, er hat diesem Teil seiner Existenz nach dem Motto "Macht gegen Liebe" wie Alberich abgeschworen und sich sicherheitshalber wie der Kollege Klingsor selbst kastriert.

All die vielen Einfälle, die Kratzer hat, werden als szenische Leitmotive durch den ganzen Abend entwickelt. Keiner davon bleibt irgendwo auf der Strecke. Diese Art von Sorgfalt, gepaart mit Spielwitz und dem Zugriff auf die Psychologie der Figuren, das sind genau die Zutaten, die zu einer intellektuellen Opulenz führen, die ohne platte Mätzchen auskommt. Zu einem Coup wird diese Götterdämmerung aber, weil das musikalische Fundament im Graben ebenso stimmt wie das Protagonisten-Ensemble. Kein Ausfall, nirgends.

Vergrößerung

Siegfried und Rheintöchter

An der Spitze ein frei strahlender Daniel Frank als Siegfried ohne Konditionsschwäche. Und eine fulminante Heidi Melton, bei der man sich nicht nur an ihrer stimmlichen Überzeugungskraft als Brünnhilde erfreuen, sondern auch über ihre Beweglichkeit im Spiel staunen kann. Ungewöhnlich in der differenzierten Ausformulierung (vor allem der Beziehung zu Siegfried) ist der Gunther von Armin Kolarszyk. Auch Konstantin Gorny muss als Hagen weit mehr Einblick in sein Innenleben gewähren, als es für den Finsterling im Stück sonst verlangt wird. Beide sind äußerst eloquente und kraftvoll elegante Vertreter ihres Fachs. Auch die Gutrune von Christina Niessen und der Alberich von Jaco Venter fügen sich in dieses Ensemble ein. Darstellerisch besonders gefordert sind in dieser Inszenierung natürlich die drei Nornen: Katharine Tier, Dilara Bastar und An de Ridder in ihren Mehrfachrollen als Nornen, Rheintöchter und im Falle von Katharine Tier auch als Waltraute. Ulrich Wagner hat darüber hinaus den Chor bestens trainiert. In dem Falle sogar vorwärts und rückwärts.


FAZIT

Der Karlsruher Ring ist mit einem szenischen Geniestreich geschlossen worden. Mehr Psychodrama als bebilderter Weltuntergang - insofern nicht nur ein Spiel mit den Vorgängerteilen, sondern auch eine kluge Ergänzung. Man darf auf den Bayreuther Tannhäuser dieses Regisseurs gespannt sein.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Justin Brown

Inszenierung
Tobias Kratzer

Bühne und Kostüme
Rainer Sellmaier

Chor
Ulrich Wagner

Licht
Stefan Woinke

Dramaturgie
Bettina Bartz
Boris Kehrmann



Herren des Badischen Staatopernchores
und des Extrachores des Staatstheaters

Statisterie des Staatstheaters Karlsruhe

Badische Staatskapelle


Solisten

Siegfried
Daniel Frank

Gunther
Armin Kolarszyk

Hagen
Konstantin Gorny

Alberich
Jaco Venter

Brünnhilde
Heidi Melton

Gutrune
Christina Niessen

Waltraute
Katharine Tier

1. Norn
Katharine Tier

2. Norn
Dilara Bastar

3. Norn
An de Ridder

Woglinde
Agnieszka Tomaszewska

Wellgunde
Dilara Bastar

Floßhilde
Katharine Tier


Zur Rezension von
Das Rheingold
Siegfried



Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Badischen Staatstheater Karlsruhe
(Homepage)



Da capo al Fine

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