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„Die lustige Witwe“ am Gärtnerplatz: Nachkriegstonfilm 2.0

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Geballte Gute-Laune-Offensive: Intendant Josef E. Köpplinger inszeniert Lehárs Parade-Operette mit Camille Schnoor in der Titelrolle. 
Geballte Gute-Laune-Offensive: Intendant Josef E. Köpplinger inszeniert Lehárs Parade-Operette mit Camille Schnoor in der Titelrolle. © Foto: Marie-Laure Briane

Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ gehört zur DNA des Münchner Gärtnerplatztheaters. Das passende Stück also zur Wiedereröffnung - auch wenn der Abend recht brav ausfällt.

München - Man bedenke einfach: Das Haus sieht ja auch aus wie vorher. Mit den eng umlaufenden Rängen, den Lüstern und Leuchtern, den lustigen Deckengesichtern in der Rotunde und Sitzen, die dringend nach einem Normpublikum unter 1,80 Meter verlangen. Mehr Musiktheater-Wohnzimmer also denn Musentempel, eine Manifestation guter alter, rotweißgüldener Zeiten, der die fünfjährige Sanierungspolitur sichtlich gut getan hat. Und nichts anderes hat der Hausherr mit Franz Lehárs Hit getan. Hat ein wenig durchgefeudelt, entstaubt, gewienert, aber eben nicht verbogen, geschraubt oder, oh Schreck, zerstört. Josef E. Köpplinger inszeniert Operette: Da weiß man, was man hat.

„Die lustige Witwe“ als Eröffnungspremiere im renovierten Gärtnerplatztheater, auch das scheint fast zwingend. Das Stück gehört zur DNA des Hauses, nicht nur, weil hier Jopie Heesters unzählige Male als Danilo gen Maxim’s tänzelte, wobei auf ihm gern die Augen des „Führers“ ruhten. Eine Belastung für die Interpreten heute? Köpplingers Version setzt Stück- und Aufführungsgeschichte geballte Munterkeit entgegen. Eine Gute-Laune-Offensive, fast unangekränkelt vom Zündstoff, den Lehárs Parade-Operette eben auch bietet: drohender Bankrott eines Mini-Staats, Korruption, Intrigen, Ignorieren von Gefahr und Realität, dazu das damals nicht alltägliche Frauenbild einer gerissenen Domina – durchaus lädt die „Witwe“ also ein zum Nachdenken über Soziales und Politisches.

Aufführungstempo hart an der Geschwindigkeitsübertretung

Intendant Köpplinger, der alles auf hochfunktionaler, aufgeräumter Szenerie von Rainer Sinell und in den leuchtend historisierenden Kostümen von Alfred Mayerhofer spielen lässt, entgeht das ja nicht. Seine Stückbrechung ist ein stummer Glatzkopf im schwarzen Soldatenmantel. Der Tod, gespielt und getanzt von Choreograf Adam Cooper, ist Spielmacher und jenseitiger Liebhaber der Glawari. Eine Figur, die fast immer präsent ist – und deren Allmacht in dieser Aufführung eher behauptet denn gezeigt wird. Bis auf den Schluss, wenn vom Tod des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo berichtet wird, die Männer wortlos nach hinten abgehen und die Witwe ihrem dunklen Galan in die Arme sinkt. Ein Final-Coup, mit dem das dunkle Potenzial der „Lustigen Witwe“ immerhin aufblitzt. Ansonsten führt Köpplinger souveränes Show-Handwerk vor. Opulenz entsteht bei ihm nicht durch Ausstattung (da reicht eine Treppenkonstruktion nebst Hintergrundprospekt, ein paar Möbeln und schief hängenden Bühnenbildrahmen), sondern durch Menschen.

Von Peter-Alexander-Kitsch keine Spur, diese „Lustige Witwe“ ist eine Art Nachkriegstonfilm 2.0. Das Tempo ist dabei hart an der Grenze zur Geschwindigkeitsübertretung. Die Aktionen von Ballett, Chor und Solisten sind virtuos verzahnt. Das Timing selbst bei Spinnweb-Pointen funktioniert. Frivoles gibt’s mit kerligen Grisetten nur in Spurenelementen. Am besten ist die Aufführung immer, wenn sie sich – sehr kurzzeitig – Bizarrwitz gestattet. Oder wenn mit Sigrid Hauser als zwischen den Geschlechtern tapsendem Njegus eine begnadete Naturkomikerin alle Aufmerksamkeit ansaugt.

Todeskuss im Kriegsnebel

Dass es für Lehárs Partien eher Opernkaliber braucht, hört man. Manchmal schielt man auch hilfesuchend nach Übertiteln, doch da ist nichts. Typentechnisch wirkt dafür alles auf den Punkt besetzt: Daniel Prohaska als großes, grundsympathisches Danilo-Kind (mit der besten Diktion des Ensembles), Camille Schnoor als kühl aufdrehende Glawari oder Hans Gröning als Mirko am Rande des Nervenzusammenbruchs.

In Mini-Rollen finden sich Gärtnerplatz-Größen wie Ann-Katrin Naidu, Holger Ohlmann oder Dagmar Hellberg als lüsterne Rollstuhlpilotin. Manches, besonders in den Hauptpartien, klingt forciert, erkämpft. Wie man Schmäh, vokale Geschmeidigkeit und hochtourige Eleganz musterhaft verbindet, führen dagegen Jasmina Sakr (Valencienne) und Lucian Krasznec (Rosillon) vor.

In seiner ersten Premiere als Chefdirigent lässt Anthony Bramall hören, wohin seine Reise mit dem Gärtnerplatz-Orchester geht: zu einem präzise gefassten, hochflexiblen Spiel. Schnellkraft und sehniges Musizieren sind wichtiger als Klangschaumbäder. Das wirkungsvolle Verbremsen, das Auskosten von Lehárs Rubati, ohne sich zu sehr an der Musik zu weiden, dies hat der Brite im Blut. Auch, wie man dabei den präzisen Chor mitnimmt. Eine, wenn man so will, moderne, unprätentiöse „Witwe“. Dass die Titelheldin im Kriegsnebel den Todeskuss empfängt, ist im Premierenjubel schnell vergessen. Davon geht die Welt nicht unter.

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