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Hairspray

Musical in zwei Akten
Buch von Marc O'Donnell und Thomas Meehan, Songtexte von Scott Wittman und Marc Shaiman
basierend auf dem New Line Cinema Film, Drehbuch und Regie von John Waters
Orchestrierung von Harold Wheeler, Arrangements von Marc Shaiman
Deutsche Fassung von Jörn Ingwersen (Dialoge) und Heiko Wohlgemuth (Songs)
Musik von
Marc Shaiman

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 2h 45' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 21. Oktober 2017




Theater Dortmund
(Homepage)
Willkommen in den 60ern

Von Thomas Molke / Fotos von Björn Hickmann (Stage Picture)

Wenn man den Dortmunder Kammersänger Hannes Brock gefragt hat, welche Rolle ihm in seiner nun bald 45-jährigen Bühnenkarriere noch fehle, hat er in den letzten Jahren immer folgende Antwort gegeben: Edna Turnblad. Schon im ursprünglichen Film von John Waters aus dem Jahr 1988 war diese Figur mit Harris Glenn Milstead, der besser als Dragqueen Divine bekannt ist, mit einem Mann besetzt worden. Und diese Idee blieb auch in dem Musical, das Marc O'Donnell und Thomas Meehan mit der Musik von Marc Shaiman 2002 mit riesigem Erfolg am Broadway produzierten, erhalten. In der Verfilmung des Musicals schlüpfte 2007 kein geringerer als John Travolta in diese Rolle. Anders als bei Albin / Zaza in La Cage aux Folles - übrigens eine weitere Paraderolle von Brock, die er in Dortmund in zwei Produktionen interpretiert hat - geht es bei Edna allerdings nicht darum, einen Mann in Frauenkleidern zu zeigen. Edna ist und bleibt eine Frau, auch wenn sie auf den ersten Blick vielleicht nicht so wirkt, und unterstreicht die Kernaussage des Musicals, das bei all den fröhlichen Songs trotzdem ein ernstes Plädoyer für Integration und Toleranz hält. Nun hat der Dortmunder Opernintendant Jens-Daniel Herzog Brocks Wunsch erfüllt, ihn in seiner offiziell letzten Spielzeit als festes Ensemble-Mitglied diese Rolle spielen zu lassen. Mit Melissa King als Regisseurin und Choreographin und einem größtenteils jungen Ensemble, das mit zahlreichen Musical-Studenten aus Osnabrück besetzt ist, avanciert Dortmund erneut zur Musical-Hochburg und bringt das Publikum im nahezu ausverkauften Haus zum Toben.

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Edna (Ks Hannes Brock, oben links), Wilbur (Fritz Steinbacher, oben) und Penny (Annakathrin Naderer, oben) beobachten im Fernsehen Tracy (Marja Hennicke, vorne 2. von links), die in die Show von Corny Collins (Morgan Moody, Mitte) aufgenommen worden ist (vorne links: Amber (Marie-Anjes Lumpp), vorne rechts: Link Larkin (Jörn-Felix Alt), dahinter: Ensemble).

Erzählt wird die Geschichte der jungen Tracy Turnblad, die aufgrund ihres Übergewichts nicht den Idealen der schlanken und schönen Jugend Baltimores in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts entspricht. Trotzdem setzt sie alles daran, in die "Corny Collins Show", die sie jeden Nachmittag nach der Schule mit ihrer Freundin Penny Pingleton am Fernseher verfolgt, aufgenommen zu werden. In dieser Show präsentieren Schülerinnen und Schüler aus Baltimore zu den aktuellen Songs die neuesten Tanzschritte. Produziert wird die Sendung von der ehrgeizigen Velma von Tussle, der ehemaligen "Miss Baltimore Crabs", die alles daran setzt ihre Tochter Amber zur "Miss Teenage Hairspray 1962" küren zu lassen. Tracys Vortanzen wird nicht zuletzt durch Velma eine Katastrophe, da diese natürlich keine "pummelige" Schülerin in der Sendung haben will. Doch Tracy lässt sich nicht unterkriegen und freundet sich beim Nachsitzen in der Schule mit Seaweed an, dessen Mutter Motormouth Maybelle den sogenannten "Negro Day" einmal im Monat moderiert. Von ihm lernt sie neue Tanzschritte und überzeugt Corny, sie sehr zum Missfallen Velmas ins Komitee aufzunehmen. Doch damit ist Tracy noch nicht zufrieden. Sie ist nicht bereit zu akzeptieren, dass Schwarze und Weiße nicht gemeinsam in der Show auftreten dürfen, und beschließt am nächsten Tag, gemeinsam in der Show mit den anderen gegen die Rassentrennung zu demonstrieren. Die Demonstration wird jedoch aufgelöst, und die Frauen werden alle inhaftiert. Obwohl Tracys Vater Wilbur eine Kaution für alle Frauen hinterlegt, sorgt Velma über ihre Kontakte dafür, dass Tracy im Gefängnis bleiben muss. So will sie sicher gehen, dass die steigende Popularität Tracys unter den Kids ihrer Tochter Amber bei der Wahl zur "Miss Teenage Hairspray" nicht gefährlich wird. Ambers Freund Link, der ebenfalls ein Star der Show ist, erkennt, dass er von Amber nur für ihre Zwecke benutzt wird und er sich eigentlich zu Tracy hingezogen fühlt. Er befreit sie aus dem Gefängnis und erscheint im letzten Moment mit ihr in der Show.

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Velma (Sarah Schütz, links) will ihre Tochter Amber (Marie-Anjes Lumpp, rechts mit Jörn-Felix Alt als Link Larkin) zur "Miss Teenage Hairspray 1962" machen (im Hintergrund: links: Corny Collins (Morgan Moody) und rechts: Mr. Spritzer (Andreas Christ)).

Das Regie-Team um Melissa King präsentiert eine knallbunte Show, die dem 60er-Jahre-Flair der Handlung optisch treu bleibt. Natürlich dürfen die hochtoupierten Frisuren genauso wenig fehlen wie die glitzernden Kostüme der Baltimore Dynamites, drei dunklen Sängerinnen, die als Chor zahlreiche Nummern begleiten. Dabei lassen Taryn Anne Nelson, Denise Lucia Aquino und Anneke Dacres mit kräftigen Stimmen aufhorchen. Judith Peter gelingt es, mit ihren Kostümen die Grenzen zwischen den Weißen, die in der "Corny Collins Show" sauber und adrett wie der stereotype Vorzeige-US-Amerikaner auftreten, und den Schwarzen, die in ihrem Stil wesentlich lockerer und weniger grell daherkommen, wunderbar aufzuzeigen. Eine besondere Entwicklung machen dabei Tracy, ihre Freundin Penny und Edna durch. Während Tracy von der grauen Maus, die anfangs eigentlich nur durch ihre hochtoupierten Haare auffällt, zu einem Show-Star in silbernem Paillettenkleid mutiert, entwickelt sich Penny von einem unscheinbaren Mädchen mit langweiligen Zöpfen, dem von ihrer Mutter stets die Schranken aufgezeigt werden, durch Seaweed zu einer selbstbewussten jungen Frau, die von ihrer Mutter zunächst gar nicht mehr erkannt wird. Sehr schön wird auch die Entwicklung Ednas durch die Kostüme deutlich. Während sie zunächst nur mit Kittel und Lockenwicklern im Haus zu sehen ist, das sie schon viele Jahre nicht mehr verlassen hat, gelingt es ihr durch ihre Tochter, sich trotz ihres Übergewichtes der Welt draußen zu stellen. So tritt sie am Ende der Show in einem pinkfarbenen Glitzerkleid auf.

Knutz Hetzer hat ein flexibles Bühnenbild entworfen, das schnelle Szenenwechsel ermöglicht und die Atmosphäre der einzelnen Spielorte gut einfängt. Auf der linken Seite befindet sich über zwei Etagen Tracys Zuhause. Während Edna in der ersten Etage meistens mit Bügeln beschäftigt ist und Wilbur im Erdgeschoss an neuen Scherzartikeln für seinen Laden arbeitet, hat Tracy in der zweiten Etage ihr kleines Reich mit einer Couch und einem Fernseher, an dem sie die "Corny Collins Show" verfolgt. Motormouth Maybelles Plattenladen ist in sanften Orangetönen gehalten und zeigt als Rückwand einen Ausschnitt einer Schallplatte mit einer glitzernden Showtür in der Mitte. Im Gefängnis, in dem die Damen auf zwei Ebenen gefangen gehalten werden, erinnern die riesigen Gitterstäbe an weiß-rote Zuckerstangen, und auch das Studio entspricht in der Ausstattung einer Show der 60er Jahre. Ein weiterer Gag ist die große Spraydose, die bei der Live-Show am Ende in das Studio geschoben wird und in der Velma zunächst Tracy befürchtet. Doch diese kommt ganz normal durch die Vordertür hereinspaziert. An dieser Stelle wird dramaturgisch übrigens nicht ganz klar, wie ihr das gelingt, da Velma doch alle Aus- und Eingänge gesichert hat. Aber das Sicherheitspersonal entpuppt sich als Motormouth Maybelle und die Motormouth Dancers. Der Spraydose entsteigt am Ende mit einem riesigen Knall, der auch noch goldenes Konfetti in den Zuschauerraum schießt, Edna und leitet ein großartiges Finale ein.

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"Du bist zeitlos für mich": Edna (Ks Hannes Brock, links) mit ihrem Mann Wilbur (Fritz Steinbacher, rechts)

Edna Turnblad stellt für Kammersänger Hannes Brock nicht nur eine Traum-, sondern auch eine weitere Paraderolle dar. Mit feinfühligem Spiel gelingt es, diese Figur in keinem Moment der Lächerlichkeit preiszugeben. Dabei zeichnet er die Entwicklung von einer wegen ihres Äußeren leicht verunsicherten Frau, die sich damit begnügt, im Haus ihre Wäsche zu bügeln, zu einem Menschen, der wie die Tochter Tracy zu den Pfunden steht und mit neuen Kleidern etwas aus sich macht, sehr einfühlsam nach. Fritz Steinbacher präsentiert Ednas Gatten Wilbur als stets fröhlichen und positiven Menschen, der seine Frau und seine Tochter bedingungslos liebt und den beiden die Kraft gibt, zu sich selbst zu stehen. Ein musikalischer Höhepunkt des Abends ist das Duett zwischen Brock und Steinbacher "Du bist zeitlos für mich", in dem sich Edna und Wilbur ihre gegenseitige Liebe versichern und daraus Kraft für ihr weiteres Leben schöpfen. Das Publikum ist von der Interpretation der beiden so aus dem Häuschen, dass es sie bei der Reprise gar nicht zu Ende singen lässt, bevor bereits ein frenetischer Jubel im Saal ausbricht. King entwickelt für diesen Song eine zarte und einfühlsame Choreographie, die sich deutlich von den schnellen und lebenslustigen Tänzen der jüngeren Generation abhebt. Mit Deborah Woodson steht eine Motormouth Maybelle auf der Bühne, die diese Partie schon in vielen anderen Inszenierungen, unter anderem auch in der deutschen Erstaufführung in Köln, interpretiert hat. Woodson begeistert mit einer kräftigen Soulstimme und bringt mit dem großartigen Song "Ich weiß, wo ich war", in der sie den Kindern Mut macht, Tracys Vorhaben zu unterstützen und sich weiterhin für die Rechte der Schwarzen einzusetzen, den Saal zum Toben.

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Motormouth Maybelle (Deborah Woodson, links) schmiedet mit Tracy (Marja Hennicke, Mitte), Link (Jörn-Felix Alt, Mitte), Penny (Annakathrin Naderer, rechts) und Seaweed (Michael B. Sattler, rechts) Pläne für die Show am nächsten Tag.

Auch die Partie der Tracy Turnblad ist mit Marja Hennicke großartig besetzt. Hennicke begeistert als absolutes Energiebündel mit großartigen Tanzschritten und beherrscht sowohl den Stil der "Nicest Kids in Town" in der "Corny Collins Show" als auch die Bewegungen, die ihr Seaweed beim Nachsitzen in der Schule beibringt. Absolut glaubhaft überträgt sie die positive Einstellung, die Tracy als Figur so liebenswert macht, und steckt das Publikum direkt mit der Eröffnungsnummer "Good Morning Baltimore" mit ihrer guten Laune an. Jörn-Felix Alt gestaltet den Mädchenschwarm Link Larkin mit einem Schuss Selbstironie. Wie er seine Frisur mit dem Hairspray immer wieder in die richtige Form bringt, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Eigentlich versteht man nicht, was Tracy an ihm findet. Doch Alt zeigt im Laufe des Abends, dass Link auch innere Werte hat, wenn er sich in dem Song "Ohne dich" zu Tracy bekennt und sie aus dem Gefängnis befreit. Marie-Anjes Lumpp legt Links Ex-Freundin Amber von Tussle wunderbar zickig an. Sarah Schütz ist eine herrlich intrigante Velma von Tussle, die als knallharte Geschäftsfrau versucht, ihre Interessen durchzusetzen, und ihre eigenen Wünsche auf ihre Tochter projiziert. Annakathrin Naderer überzeugt als Penny Pingleton mit wunderbar naivem Spiel. Großartig choreographiert ist der Song "Mama, ich bin nicht mehr klein", in dem Tracy, Amber und Penny gegen die Bevormundung ihrer Mütter rebellieren. Michael B. Sattler punktet als Seaweed mit eindrucksvollen Moves. Dapheny Osterwoolde gefällt als kleine Schwester Inez mit frechem Spiel. Morgan Moody mimt einen auf den ersten Blick recht glatt wirkenden Showmenschen Corny Collins, der sich jedoch mehr von Talent als von Äußerlichkeiten beeindrucken lässt und deshalb Tracy gegen Velmas Willen in seiner Show aufnimmt.

Ein weiterer choreographischer Höhepunkt ist Tracys "Glocken klingen hell", wenn sie bei ihrem ersten Besuch im Studio mit Link zusammenstößt, und bereits die Hochzeitsglocken läuten hört. Die Szene friert hierbei ein, und nur Tracy taumelt wie in Trance durch den Raum, stößt dabei die anderen Personen an, die dann in Tracys Traum einbezogen werden, in dem Tracy mit Link vor den Traualtar tritt. Zum Ende des Liedes drehen sich alle wieder in ihre Ausgangsposition zurück. Einen weiteren Glanzpunkt stellt der Song "Willkommen in den Sixties" dar, in dem Tracy ihre Mutter zu ihrer Agentin macht und sie sich gemeinsam bei Mr. Pinky im einem Laden für Übergrößen neu einkleiden lassen. Bewegend umgesetzt wird auch der Song "Ohne dich", bei dem Link Tracy aus dem Gefängnis und Seaweed gleichzeitig Penny aus dem Bett befreit, an das ihre Mutter sie gefesselt hat. Bei dem Schlusslied "Niemand stoppt den Beat" möchte man am liebsten direkt mittanzen. So gibt es im Anschluss stehende Ovationen mit großem Jubel, in den sich neben dem hervorragenden Ensemble auch das Regie-Team und der musikalische Leiter Philipp Armbruster einreihen.

FAZIT

Das Theater Dortmund avanciert mit dieser Produktion zur Musical-Hochburg, die es mit den kommerziellen Musicals in jeder Hinsicht aufnehmen kann. Musical-Fans sollten sich diese Produktion nicht entgehen lassen.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
*Philipp Armbruster
Ingo Martin Stadtmüller

Regie und Choreographie
Melissa King

Bühne
Knut Hetzer

Kostüme
Judith Peter

Licht
Florian Franzen

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek

 

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Tracy Turnblad
Marja Hennicke

Edna Turnblad, ihre Mutter
Ks Hannes Brock

Wilbur Turnblad, ihr Vater
Fritz Steinbacher

Motormouth Maybelle
Deborah Woodson

Seaweed, ihr Sohn
Michael B. Sattler

Inez, ihre Tochter
Dapheny Osterwoolde

Corny Collins, Showmaster
Morgan Moody

Link Larkin
*Jörn-Felix Alt /
Tobias Joch

Velma von Tussle, Produzentin
Sarah Schütz

Amber von Tussle, ihre Tochter
Marie-Anjes Lumpp

Penny Pingleton, Tracys Freundin
Annakathrin Naderer

Prudy Pingleton, ihre Mutter /
Gefängniswärterin
Johanna Schoppa

Mr. Pinky / Mr. Spritzer u. a.
Andreas Christ

Pearl, Dynamite
Taryn Anne Nelson

Peaches, Dynamite
Denise Lucia Aquino

Cindy Watkins, Dynamite
Anneke Dacres

Motormouth Dancers
Danilo Brunetti
Lorenzo Kolf
Giovanni Eduard Menig

Das Komitee
Karina Kettenis
Myriam Küppers
Andre Kuhmann
Romina Markmann
Anton Schweizer
Jendrik Sigwart
Simon Staiger
Sara Taimouri

 


Weitere
Informationen

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