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Premiere in Kassel: Nicolais' Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“

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„Das ist wirklich doch zu keck!“: Frau Reich (Marie-Luise Dreßen, links) und Frau Fluth ( Lin Lin Fan) erhalten gleichlautende Liebesbriefe.
„Das ist wirklich doch zu keck!“: Frau Reich (Marie-Luise Dreßen, links) und Frau Fluth ( Lin Lin Fan) erhalten gleichlautende Liebesbriefe. © Klinger

Kassel. Während der Ouvertüre schält sich ein schlanker, muskelbepackter Riese im Unterhemd aus dem Orchestergraben.

Vermutlich besitzt er nicht mehr als das, was er bei sich trägt. In einer durch Hecken geschützten Eigenheimsiedlung lässt er einen Stapel Liebesbriefe zurück – und löst damit ein Beben aus.

So einen Sir John Falstaff wie den von Florian Spiess verkörperten hat es in der Otto-Nicolai-Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ wohl kaum je gegeben. In Sonja Trebes’ Kasseler Inszenierung, die am Samstag im ausverkauften Opernhaus Premiere hatte, ist er es, der die Verhältnisse umdreht. Kein beleibter alter Schwerenöter, der zum Gespött wird, sondern ein viriler Kerl, der die Fantasien der Frauen zum Tanzen bringt.

Was entsteht daraus? Zunächst einmal ein Lustspiel, das eher an Ohnsorgtheater erinnert als an Shakespeare, dessen Komödie „The Merry Wives of Windsor“ hier veropert ist. Wie die beiden Damen, Frau Fluth (Lin Lin Fan) und Frau Reich (Marie-Luise Dreßen), in ihrer häuslichen Spießeridylle (Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Jula Reindell) durch die gleichlautenden Liebesbriefe aufgeschreckt werden, wie sie dann beim Anblick des attraktiven Schreibers in Gefühlsverwirrung geraten, das ist gekonntes, pointenreiches Slapstick-theater – zumal sich die neu ans Staatstheater gekommene Marie-Luise Dreßen in der Rolle der „Hallöchen-Piccolöchen“-Frau Reich als begnadete Ulknudel entpuppt.

Doch Ehemänner, die mit alten Gewehren auf die Jagd gehen (Sebastian Noack, Marc-Olivier Oetterli), drei verschrobene Eheanwärter fürs Punk-Töchterchen Anna (Ani Yorentz) und ein Dorf-Panoptium, das wirklich jedes Klischee bedient (dargestellt vom präsenten Opernchor), wirken nicht heutig, sondern angestaubt. Lediglich die Mülltonne, die Falstaff hier anstelle eines Wäschekorbs als Versteck dient, ist aktueller Entsorgungsstandard.

So fällt es schwer, die Akteure nicht als Karikaturen ihrer selbst zu erleben, während die Inszenierung zugleich davor zurückschreckt, das Stück in die Groteske weiterzudrehen.

Falstaff wird zum Magier: Florian Spiess. 
Falstaff wird zum Magier: Florian Spiess. © Klinger

In eine andere Realitätsebene gleitet zum Schluss das nächtliche Verwirrspiel im Wald. Ein tranceartiges Jede-mit-Jedem-Spiel, bei dem die ursprüngliche Sicherheits-Hecke sich in kleine Liebesnester verwandelt. Doch im großen Rausch verschwimmen auch hier die Identitäten – und Falstaff, der als Gott Pan unsichtbar die Fäden zieht, verabschiedet sich von der derangierten Gesellschaft mit Gelächter.

Dass Otto Nicolai ein großer Bewunderer Mozarts war, ist in seiner „komisch-fantastischen“ Oper immer wieder zu hören, schon in der berühmten Ouvertüre. Doch auch das operettige Einhüllen mit Dreier-Rhythmen (etwa im Duett über die „Weiberlist“) und schmissige Tutti-Chöre sowie ausgedehnte Rezitativstrecken gehören zum Repertoire. Die Erste Kapellmeisterin Anja Bihlmaier erzeugte bei der Premiere, die im Deutschlandradio Kultur live übertragen wurde, daraus einen eingängigen Soundtrack.

Neben Florian Spiess als Falstaff setzen im soliden Ensemble Lin Lin Fan als koloratursichere Frau Fluth und Marie-Luise Dreßen (Frau Reich) mit feiner Mezzo-Präsenz Akzente. Ani Yorentz verleiht der Anna mit berührendem Soprantimbre Gefühlstiefe, und Daniel Jenz stattet den verträumten Liebhaber Fenton mit reichlich Tenorschmelz aus.

Herzlicher, aber kein überbordender Beifall.

Wieder am 25. u. 28.10., 1. u. 3.11. Karten: 0561 / 1094-222. www.staatstheater-kassel.de

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