Christof Loys "Figaro" in München

Kein Mozart zum Zurücklehnen und Genießen

Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter
Mezzosopranistin Anne Sofie von Otter © dpa / Stephan Görlich
Von Franziska Stürz · 26.10.2017
Bei Mozarts und Da Pontes Meisterwerk "Le nozze di Figaro" versagt die psychologische Deutungskraft des hochdekorierten Regisseurs Christof Loy. Die Inszenierung in München leidet nicht nur unter atemlos überdrehten Passagen.
Der vielfach preisgekrönte Regisseur Christof Loy kann aus so mancher vermeintlich langweiligen Oper spannende Aspekte herausarbeiten, doch bei Mozarts und Da Pontes Meisterwerk "Le nozze di Figaro" nach Beaumarchais versagt seine psychologische Deutungskraft. Zu Beginn noch arbeitet er mit Theater im Theater und lässt ein Mini-Portal der Bayerischen Staatsoper mit Marionetten bespielen. Dazu rast die Ouvertüre unter Constantinos Carydis' engagiertem Dirigat aus dem hoch gefahrenen Orchestergraben. Der überaus spielfreudige und hervorragend singende Alex Esposito steckt als Figaro seinen Kopf zwischen die Puppen und weiter geht es auf der großen Bühne. Die zeigt einen weißen Altbau-Saal mit gemaltem Ausblick ins Grüne und viel zu kleinen Türen. Ist es ein Hotel, ein Sanatorium, oder ein Theater? - Wer weiß.
Der Raum wird aktweise herangezoomt, die Türen immer größer, bis zuletzt nur noch eine Riesentür übrig bleibt. Was die wachsende Tür im Gesamtkonzept bedeuten soll ist schwer zu erschließen. Die Menschen, die den Rätselraum bevölkern, sind Anzugtypen und Abendkleid-Tussis. Das durchaus aggressive Chor-Volk trägt bordeauxrote Uniformen oder schwarze Cocktailkleider. Figaro grapscht gerne an Susannas Hintern und Susanna scheint mehr traumatisiert als clever.

Spießige Duttfrisur und ausladendes Brautkleid

Mit Rehblick nimmt sie die Sache mit dem Jus primae noctis ziemlich schwer und bleibt den ganzen Abend ätherisch retardiert, obwohl Hausdebütantin Olga Kulchynska über eine wunderschöne Stimme und ebenso attraktives Äußeres verfügt. Leider muss sie mit einer spießigen Duttfrisur und einem ausladenden Brautkleid herumlaufen. Auch die stimmliche Entdeckung des Abends, die junge Federica Lombardi als Gräfin hätte einen besseren Typberater verdient. Ihre pastellfarbenen Abendroben stigmatisieren sie als walkürenartige Operndiva, und auch sonst lässt die Regie die Figur bis auf eine Imelda Marcos- Schuhsammlung und arrogantes Gehabe völlig allein.
Der Graf von Christian Gerhaher erinnert mehr an Mr. Bean als an einen Testosteron gesteuerten Machtmenschen; er wird trotz seiner gesanglichen Gestaltungskunst mit seinem konstanten Bodenblick darstellerisch der Figur nicht gerecht. Der eigentlich schillernde Cherubino von Solenn' Lavanant-Linke bleibt nach der Verkleidungs-Szene mehr Lesbe als pubertierender Jüngling, und die gar nicht so unwichtigen Nebenfiguren wie Bartolo, Basilio oder Marcellina, bleiben blass.

Anne-Sofie von Otter mit wenig Glanz in der Stimme

Anne-Sofie von Otter singt diese mit wenig Glanz in der Stimme. Und statt der mütterlichen Arie bringt sie die wehmütige "Abendempfindung" zum Hammerklavier als Einlage, doch das "Warum" erschließt sich auch szenisch nicht. Es verstärkt nur die manisch-depressive Gesamtstimmung des Abends. Constatinos Carydis setzt mit dem Bayerischen Staatsorchester ebenfalls auf die Extreme. Neben atemlos überdrehten Passagen und den in Schnellsprache durchgezogenen mit Cembalo, Hammerklavier und auch Orgel begleiteten Rezitativen fallen lange Denk- und Betonungspausen auf, gelegentlich bezaubern auch wunderbar empfindsam und fein gesponnene Momente. Alles in Allem ist dieser "Tolle Tag" aber nicht wirklich schlüssig, wenig witzig, liefert keine neuen Einblicke in die Figuren oder gar gesellschaftliche Bezüge und ist musikalisch kein Mozart zum Zurücklehnen und Genießen.
Mehr zum Thema