Mozarts Le nozze di Figaro zählt wohl unangefochten zum klassischsten, was Oper überhaupt zu bieten hat. Auch wenn der Stoff im letzten Jahrhundert in einer schier unüberschaubaren Anzahl an Varianten, Filmen und Büchern aufgenommen worden ist, stellt sich bei diesem beliebten Repertoirestück immer wieder die Frage eines prägnanten Akzents. Eine Frage, die sich am Montag auch Christof Loy mit seiner jüngsten Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper stellen musste.

Antworten scheint er aber nicht gefunden zu haben. Die Personenführung bleibt gefällig, mit wenigen anzüglichen Ausreißern, die ein biederes Fünkchen über das Libretto von Lorenzo Da Ponte hinausgehen versuchen. Die Kostüme (Klaus Bruns) sind ein abstrahiertes Mittelding zwischen Rokoko und moderner Abendgarderobe. Übrig bleibt lediglich die karge weiße Bühne mit ihren wenigen Requisiten. Mit jedem Akt werden die Dimensionen größer und wachsen den Darstellern, sowie der sich immer weiter verstrickenden Intrige in Mozarts opera buffa, zunehmend über den Kopf. Ein echter Augenöffner ist aber auch diese Idee, die ein wenig an Alice im Wunderland erinnert, nicht.

Cristof Loy wollte den Schwerpunkt ganz offenbar auf den musikalischen Freiraum setzen, den diese aufs wesentliche reduzierte Inszenierung den Solisten bieten soll. Aufgrund der schnell wechselnden Tempi und dem auch sonst sehr ambitioniertem Dirigat von Constantinos Carydis konnten die Sänger dieses Vakuum nur bedingt füllen. Viele Szenen wirkten eher gehetzt, als galant beschwingt. Trotz entsprechend vieler auffälliger Blicke zum Pult, legte Federica Lombardi, die an diesem Abend Gräfin Almaviva gab, bei aller Klarheit, unglaublich viel Sinnlichkeit und Emotion in ihre Stimme. Mit jeder kraftvoll-melancholischen Note strafte sie so jedem einzelnen ihrer jungen Jahre Lügen. Tatsächlich war sie die einzige, die sich gegenüber dem Orchester nachhaltig durchsetzen konnte.

Selbst der so subtile Christian Gerhaher, als ihr gräflicher Ehemann, geriet da bisweilen ins Hintertreffen. Auch wenn er, wie nicht anders zu erwarten, jede Schattierung seiner Rolle feinfüllig ausdifferenzierte, legte er in seine Stimme dennoch ungewöhnlich viel Charakter, bei bisweilen fast kernigem Timbre. Ob der Graf Almaviva nun seine Paraderolle werden wird, bleibt freilich fraglich, dennoch zeigte sich das Publikum sichtlich begeistert von seiner italienischen Seite.

Auch Alex Esposito in der Hauptrolle überzeugte durch eine präzise stimmliche Nuancierung des Figaros, gab sich lebhaft und wechselfreudig, schaffte es aber leider trotzdem nicht nachhaltig in Erinnerung zu bleiben. Ebenfalls nicht restlos überzeugen konnte Solenn‘ Lavanant-Linke als Cherubino. Gewollt oder nicht gewollt, wirkte sie in dieser Hosenrolle eher wie eine lesbische Karikatur und laß stimmlich etwas Facettenreichtum vermissen. Auch Olga Kulchynska als Susanna wirkte, trotz ihrer angenehm warmen Stimme, stellenweise eher blass.

Für wirkliche Überraschung sorgt am Ende vor allem Loys und Carydis musikalische Entscheidungen. So wird Marcellinas Arie im vierten Akt kurzerhand durch Mozarts Lied „Abendempfindung an Laura“ ersetzt. Eigentlich hätte Figaros Mutter in „Il capro e la capretta vom Leiden der Frauen unter den Machomännern singen müssen. Stattdessen geht es in Mozarts deutschem Lied nun genau um das Gegenteil: Der Wehgesang eines sterbenden Mannes für seine Liebste.

Sollte hiermit dem Rollenspielklamauk von Figaros Hochzeit noch eine weitere Dimension hinzugefügt werden? Die „Abendempfindung“ hätte ja, vom Inhalt her, eigentlich von Graf Almaviva gesungen werden müssen. War dieser dramaturgische Kniff also Ausdruck für dessen Unvermögen, seine ehelichen Gefühle zu offenbaren und muss deswegen die emphatische Marcellina diesen Part übernehmen? Fernab jeglicher Deutungsversuche muss dabei in jedem Fall festgestellt werden, dass Anne Sofie von Otter der emotionalen Tiefe des Liedes, wenngleich sonst durchweg brillant an diesem Abend, stimmlich nur bedingt gewachsen war.

Das ist aber sicherlich Kritik auf höchsten Niveau. Wirklich befremdlich wirkten lediglich die ausgedehnten Generalpausen, die Carydis dem Ensemble wiederholt zwischen den Rezitativen gewährte. Was sollte hier betont werden, während auch die Handlung einfror? Das bedrückte Schweigen des Publikums oder das Fehlen eines wirklich profunden Moments?

Durchweg zu begrüßen war allerdings die Entscheidung, mit historischen Blechbläsern, Hammerklavier und Cembalo einen authentischen Mozart-Klang zu suchen. Auch das Arrangement des Bayerischen Staatsorchester, dass an diesem Abend, wie auf einer Hebebühne, deutlich aus dem Orchestergraben hervorlugte, gab ihm die Möglichkeit, die verschiedenen Einzel- und Begleitstimmen markant herauszuarbeiten. Insgesamt klang dieser Mozart erstaunlich frisch, wenngleich stellenweise vielleicht etwas zu forsch.

Am Ende drängte sich dennoch ein wenig die Frage auf, ob eine Neuinszenierung des Figaros wirklich notwendig war. Klanglich ging Carydis sicherlich neue Wege, aber auf der Bühne selbst sorgte Christof Loy für keinen neuen Blickwinkel auf Mozarts Standardwerk. Gleichwohl kommt diese nüchterne Inszenierung ohne Kanten und Tabubrüche aus, bleibt gefällig und kann so sicherlich ein ungewöhnlich breites Publikum ansprechen. Vielleicht ist das auch schon Grund genug.

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