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Die lustigen Weiber von Windsor

Komisch-phantastische Oper in drei Akten
Libretto von Salomon Hermann Ritter von Mosenthal nach Shakespeares gleichnamigem Lustspiel
Musik von Otto Nicolai

in deutscher Sprache mit Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden 40 Minuten (eine Pause)

Premiere im Opernhaus des Staatstheaters Kassel am 21. Oktober 2017
(besuchte Aufführung am 3. November 2017)

 



Staatstheater Kassel
(Homepage)

Falstaff in der Mülltonne

Von Bernd Stopka / Fotos von N. Klinger

Ein alter, fetter, heruntergekommener Ritter, der sich immer noch einbildet, jede Frau erobern zu können und dies mit charmanten, aber allzu durchschaubaren Mitteln versucht, macht sich zwar lächerlich, aber nicht notgedrungen auf peinliche Weise. Im Gegenteil: Feine Komik entsteht durch die aufeinandertreffenden Kontraste zwischen Ernsthaftem und Komischem oder Groteskem und je filigraner die Fäden gesponnen sind, umso feinsinniger, geistreicher und im besten Sinne humorvoller wird das Ganze. Die Geschichte des Ritters Sir John Falstaff ist eine wahre Fundgrube dieses feinen und zuweilen auch anspruchsvollen Humors, der in seinen Vertonungen für die Opernbühne durch die Musik kongenial ergänzt wird. Bei Verdi, wenn auch in anderem musikalischen Stil, ebenso wie bei Otto Nicolai – die beiden Falstaff-Opern, die sich im Repertoire fest etabliert haben.

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Lin Lin Fan (Frau Fluth), Florian Spiess (Sir John Falstaff), Marie-Luise Dreßen (Frau Reich)

Feiner, anspruchsvoller, tiefsinniger, nicht oberflächlicher Humor sollte eine komische Oper von billigem Slapstick, alberner Comedy oder plumpen Zoten unterscheiden. Natürlich ist Theater und Oper auch Unterhaltung und nicht jede Operninszenierung muss die Welt beschreiben und/oder retten, aber man sollte doch ein etwas anderes Niveau erwarten können, als in den unzähligen unkomischen Comedy-Sendungen im Fernsehen.
Otto Nikolais Die lustigen Weiber von Windsor ist eine ganz entzückende deutsche Spieloper  mit Humor und Unterhaltungswert der besten Sorte, die weder textlich noch musikalisch in biedermeierlicher Gediegenheit steckenbleibt und daher auch nicht in Ähnlichem verankert werden sollte. Doch genau dies widerfährt diesem Werk in der Inszenierung von Sonja Trebes für das Staatstheater Kassel. Zwischen hohen Hecken, Reihenhäusern mit Blumenfenster und Gartenlaube zum Skatspielen (Bühne: Dirk Becker, Kostüme: Jula Reindell) führt sie eine simple Welt von Spießbürgern, Kleingärtnern, Schützenvereinsmitgliedern usw. vor, die nicht liebevoll und geistreich karikiert oder grotesk überzeichnet, sondern böse überzogen verspottet werden. Das soll wohl komisch sein – ist es aber nicht. Vielleicht soll es auch nur witzig sein – ist aber auch nicht. Es ist billig und wirkt irgendwie auch überheblich.

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Marie-Luise Dreßen (Frau Reich), Marc-Olivier Oetterli (Herr Reich), Hee Saup Yoon (Dr. Cajus), Sebastian Noack (Herr Fluth), Younggi Moses Do (Junker Spärlich)

Da wird in der durchaus vielfältigen Personenregie ebenso wie im Kostümunwesen jedes noch so einfache Klischee bedient, was zuweilen zu hochnotpeinlichen Momenten führt, modernisierte Dialoge, Eingriffe in Text und Handlung und eine Musikeinspielung vom Band inklusive. Natürlich kann Falstaff dann auch in nicht einem Wäschekorb versteckt werden, sondern muss in eine Mülltonne. Und wenn sich durch Annas Intrige Cajus und Spärlich versehentlich das Ja-Wort geben, protestiert einer der Spießbürger „Keine Ehe für alle!“. Ist das nicht alles ein bisschen zu einfach gedacht?

Gänzlich ärgerlich, noch nicht einmal unfreiwillig komisch, wird die Sache, wenn die Regie auch noch bedeutend sein will, z. B. wenn die Szene bei der Ballade vom Jäger Herne surreal eingefroren wird oder wenn Herr Reich, nicht als Herne verkleidet, den ebenfalls nicht als Herne verkleideten Falstaff des Betrugs überführen sollte. Das funktioniert nicht, wirkt aber hochbedeutend und entschlüsselnd – und sowas von unnötig.
Dabei zeigen sich gerade in der Waldszene durchaus stimmungsvolle und eindringliche Bilder und Ideen, die die Shakespeare-Stoffe Falstaff und Sommernachtstraum miteinander verweben und zeigen, dass die Produktion durchaus auch Potential zu einer gelungenen Interpretation hätte.

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Florian Spiess (Sir John Falstaff)

Die Crux der ganzen Sache bleibt aber die Idee, den Spieß umzudrehen und nicht Falstaff von den Spießbürgern, sondern die Spießbürger von Falstaff vorführen zu lassen. Dazu wurde die Figur der Ritters gänzlich uminterpretiert. Hier ist es kein dicker alter Mann, der seine besten Zeiten hinter sich hat – sondern ein junger, schlanker, großer, gutgebauter, cooler Verführer voller Charme, der für seine erotischen Blicke einen Waffenschein bräuchte. Ihm verfallen nicht nur die Damen Fluth und Reich durchaus gewillt, sondern auch Töchterchen Anna während sie mit ihrem eigentlich geliebten Fenton duettiert – und die Hälfte des Publikums sowieso. Geld hat er nicht, seine Zimmermannshose ist schmutzig und am Knie (erotisch?) eingerissen, sein Hemd fleckig. Aber wenn er sein verführerisches Lächeln aufsetzt, ist er ein Don Giovanni in seinen besten Jahren. Er bringt die scheinbar geordnete Welt von Windsor kräftig durcheinander und beschwört wie Puck im Sommernachtstraum die dunklen, lüsternen Seiten dieser Gesellschaft herauf. „Auf! Ihr Geister groß und klein! Stürmet alle auf ihn ein!“ singt er dann auch selbst und malträtiert die anderen – anstatt, dass er gepiesackt gedemütigt und geläutert wird. Das liest sich besser, als es sich auf der Bühne mit der Musik zusammen präsentiert. Anders gesagt: es geht nicht auf. Da helfen auch nicht die szenischen Leitmotive grüne Luftballons und Liebesbriefe, von denen er ganz am Schluss reichlich unter den Damen im Publikum verteilt.

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Marie-Luise Dreßen (Frau Reich), Daniel Jenz (Fenton), Sebastian Noack (Herr Fluth), Bernhard Modes (Der Wirt), Hee Saup Yoon (Dr. Cajus), Ani Yorentz (Anna Reich), Marc-Olivier Oetterli (Herr Reich), Younggi Moses Do (Junker Spärlich), Lin Lin Fan (Frau Fluth)

Als Sir John Falstaff in dieser Charakterisierung ist Florian Spiess eine Idealbesetzung mit noblem, kultiviertem Bass, dem aber in der Tiefe ein bisschen mehr Volumen zu wünschen wäre. Lin Lin Fan singt die Frau Fluth bestens einstudiert mit ausgereifter Stimmtechnik. Sie beeindruckt mit glasklarer Intonation und perlenden Koloraturen, man könnte sich aber ein bisschen mehr stimmliche Substanz wünschen. Szenisch nimmt man  ihr die biedere Hausfrau nicht wirklich ab. Als ihr eifersüchtiger Gatte hat Sebastian Noack reichlich baritonale Stimmkraft und lässt sie wohlgeformt klingen. Marie-Luise Dreßen ist als Frau Reich von der Personenregie am unvorteilhaftesten bedacht, was sie aber glücklicherweise nicht daran hindert die Partie angemessen zu singen und vor allem mit der eindrucksvoll gestalteten Ballade vom Jäger Herne zu begeistern. Als Herr Reich hat Marc-Olivier Oetterli hinter der Stärke und Durchschlagskraft seiner Frau zurückzustehen, ordnet sich ihr auch stimmlich unter und interpretiert die Partie regiewunschadäquat.
Als Anna ist Karola Sophia Schmid eine Offenbarung von Innigkeit, Stimmkultur und Stimmsubstanz mit ebenso klarem wie seelenvollem Sopran. „O süße Anna“ seufzt Junker spärlich immer wieder –  „O wundervolle Anna“ möchte man ergänzen.
Daniel Jenz bewältigt die höllisch anspruchsvolle Partie des Fenton beachtlich, agiert stimmlich eher vorsichtig, lässt dabei aber immer wieder auch sanft strahlende  und vor allem in der Höhe besonders vibratoreiche Töne hören. Als Junker Spärlich und Dr. Cajus schlagen sich Younggi Moses Do und Hee Saup Yoon wacker durch ihre Partien. Als Wirt ist Chormitglied Bernhard Modes ein prägnanter Charakter.
Mariano Chiacchiarini hält die Fäden am Pult zusammen, was im Zusammenspiel mit der Bühne nicht immer exakt klappt, das mag aber dem Umstand des Nachdirigats geschuldet sein – diesem vielleicht auch, dass man sich zuweilen noch einen Funken Elan und Schwung mehr wünscht. Das Staatsorchester macht seine Sache sehr ordentlich, wenn auch nicht patzerfrei und der Chor klingt besonders im finalen Waldbild wunderschön.

FAZIT

Wenn man etwas Komisches komischer machen möchte, geht das meistens schief. Auch hier. Gleiches gilt für die immer wieder auflebenden Versuche etwas ganz anderes sehen zu wollen, als es ist. So geht auch diese Umdeutung des Falstaff-Themas baden - aber nicht in der Themse, sondern auf der Müllhalde. Musikalisch ordentlich, wenn auch nicht berauschend, aber gesanglich mit ein paar hell glänzenden Sternen erleuchtet.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Anja Bihlmaier /
Xin Tan /
*Mariano Chiacchiarini

Inszenierung
Sonja Trebes

Bühne
Dirk Becker

Kostüme
Jula Reindell

Licht
Dirk Thorbrügge

Chor
Marco Zeiser Celesti

Dramaturgie
Christian Steinbock

 

Staatsorchester Kassel

Opernchor
des Staatstheaters Kassel

Statisterie
des Staatstheaters Kassel


Solisten

*rezensierte Aufführung

Sir John Falstaff
Florian Spiess

Herr Fluth
Sebastian Noack

Herr Reich
Marc-Olivier Oetterli

Fenton
Daniel Jenz

Junker Spärlich
Younggi Moses Do

Dr. Cajus
Hee Saup Yoon

Frau Fluth
Lin Lin Fan

Frau Reich
Marie-Luise Dreßen

Anna Reich
Ani Yorenz /
*Karola Sophia Schmid

Der Wirt
Bernhard Modes


Weitere
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Staatstheater Kassel
(Homepage)



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