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Was will uns dieses Märchen sagen?
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Saad Hamza Wenn die Premiere von Hänsel und Gretel auf den Nachmittag gelegt wird, dann hat das Theater da wohl das junge Publikum im Blick. Es inszeniert Marie-Helen Joël, langjähriges Ensemble-Mitglied am Aalto-Theater und seit ein paar Jahren Leiterin der Theaterpädagogik. Auch wenn das ihre erste "richtige" Operninszenierung ist, sollte das eine sichere Bank sein: Experimentelles Musiktheater ist da kaum zu erwarten, vielmehr Oper für die ganze Familie. Und bei Hänsel und Gretel kann man ja auch nicht so fürchterlich viel falsch machen. Vater Peter liest Gretel (links) und Hänsel ein Märchen vor ...
Aber ach, warum müssen diese Erwachsenen immer so furchtbar viel und furchtbar kompliziert denken! Marie-Helen Joël hat neben der Regie nicht nur auch noch das Bühnenbild entworfen, sondern gleich einen längeren einleitenden Aufsatz für das Programmheft geschrieben, in dem sie einige ihrer Gedanken (und davon gab es wohl noch viel mehr) darlegt, und die Inhaltsangabe gleich dazu, weil die vielen Gedanken sich eben auch auf die Handlung niederschlagen. Was bedeuten uns Märchen, das ist eine der Grundfragen, und in diesem Fall fasst sie das für sich in einem Satz zusammen: "Es waren einmal zwei Kinder, die sich ganz alleine - ohne fremde Hilfe - von der bösen Hexe befreiten." Nun umfasst das in der Opernfassung nur ein paar Minuten (von fast zwei Stunden Spieldauer), und deshalb gibt das für die Regie eigentlich nicht so sehr viel her. ... aber schlafen wollen die beiden Kinder nicht.
Ist es wichtig, dass Hänsel ein Junge ist? Nein, sagt die Regisseurin, und versucht gar nicht erst, Karin Strobos jungenhaft aussehen zu lassen. (Ist es aber eigentlich schon, denn - ein paar Seiten weiter hinten im Programmheft wird das übrigens angedeutet - die Märchenoper verwendet natürlich die Geschlechtsstereotypen des bürgerlichen Märchens, und da müsste man dann schon klarer Stellung beziehen, wenn man diesen Aspekt aufgreifen will). Märchenwelt oder Realität? Irgendwie beides, und es wird leider überhaupt nicht klar, wann die beiden einigermaßen modernen Kinder (Elektronik gibt es im Kinderzimmer nur bei der Beleuchtung, Plastik dagegen gehäuft) sich in der Wirklichkeit und wann im Traum befinden. Es gibt keine "richtige" Hexe (sondern "eine Person mit schrägen Eigenschaften, die sich ihren Traum erfüllen will, ein Lebkuchenhaus zu bauen"), und deren Auftritte sind verschenkt - zur Hexenritt-Arie darf Darsteller Albrecht Kludszuweit ein bisschen das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagern und zurück (choreographische Mitarbeit: Michelle Yamamoto). Weniger ist kaum vorstellbar. Das Tau-Sandmännchen ist permanent auf der Bühne (warum, das kann man im Programmheft nachlesen, aber es spielt nicht wirklich eine Rolle). Und welche Bedeutung hat hier der Chor der "befreiten" Kinder? In Lebkuchen verzauberte Kinder gab es vorher ja gar nicht. Traum oder Märchenrealität? Sand-Tau-Männchen auf Gebäckstück.
Das Kunststück muss man erst einmal fertig bekommen: Hänsel und Gretel so zu erzählen, dass die Handlung unverständlich wird. Aber genau das passiert hier, und es ist keineswegs so, dass die böse Pranke des Regietheaters zuschlägt und dem Stück einen Überbau verpassen oder Tiefenschichten freilegen will. Im Gegenteil, vieles ist reichlich bieder geraten (die Kostüme von Ulrich Lott werden auch durch die tollen Gummistiefel der Kinder nicht wirklich peppig). Aber es ist alles viel, viel zu kompliziert geworden. Noch dazu ist vom Text so gut wie nichts zu verstehen, und Übertitel gibt es diesmal nicht. Einigermaßen versöhnlich ist das (ein bisschen zu) niedliche Bühnenbild. Das eigentliche Theater muss die Musik liefern. Eine Hexe? Nein, "[...]eine Person mit schrägen Eigenschaften, die sich ihren Traum erfüllen will, ein Lebkuchenhaus zu bauen.". Da wundert sich auch das Taumännchen (hinten).
Die hervorragenden Essener Philharmoniker spielen bezaubernd schön, wobei unter der Leitung von Friedrich Haider (der den Titel "1. Gastdirigent" trägt) eine mehr symphonische als dramatische Interpretation entsteht - nicht immer scheinen die Sänger mit den Tempi ganz glücklich. Haider spielt im süffigen, aber nie "dicken" spätromatischen Sound, bei dem auch die volksliedhaften Elemente zu großer Musik werden, und lässt es zwischendurch auch gerne nach Wagner klingen. Betörend singt der (um Damen des Extrachores verstärkte) Kinderchor (Einstudierung: Patrick Jaskolka). Sängerisch überzeugt vor allem Heiko Trinsinger als fulminanter Vater Peter; Albert Kludszuweit ist eine akzeptable Hexe. Liegt es am offenen Bühnenbild, dass die Frauenstimmen recht dünn klingen? Karin Strobos als jugendlicher, immerhin stimmlich burschikoser Hänsel zeigt noch die größte vokale Präsenz; Elbenita Kajtazi klingt als Gretel mitunter angestrengt, Rebecca Teem bleibt als Mutter Gertrud unauffällig. Christina Clark trillert sich mit ihrer kleinen, aber beweglichen Stimme ganz hübsch durch die Partien von Sand- und Taumännchen und ist zudem darstellerisch sehr agil.
Ach, hätte die Regisseurin doch einfach "nur" die Märchenhandlung erzählt - das hätte die Familientauglichkeit sicher erhöht. So kommt die Produktion über eine Aneinanderreihung mehr oder weniger hübscher Bilder, hinter denen das Märchen nahezu unkenntlich wird, nicht hinaus. Musikalisch durchwachsen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten
Peter, Besenbinder
Gertrud, sein Weib
Hänsel
Gretel
Die Knusperhexe
Sandmännchen / Taumännchen
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