Ein phantastisches Revival

Die Genfer Oper wagt sich an eine Rarität von Jacques Offenbach: die Opéra comique «Fantasio» – eine überaus lohnende Wiederentdeckung.

Lotte Thaler, Genf
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Phantasie hilft immer: Katija Dragojevic und das Ensemble der Genfer Oper in «Fantasio» von Jacques Offenbach. (Bild: Grand Théâtre de Genève)

Phantasie hilft immer: Katija Dragojevic und das Ensemble der Genfer Oper in «Fantasio» von Jacques Offenbach. (Bild: Grand Théâtre de Genève)

Gelb ist die Farbe der Phantasie, so gelb wie das Kostüm, das sich Fantasio in der gleichnamigen Opéra comique von Jacques Offenbach massschneidern lässt. Denn damit will er die Rolle des soeben verstorbenen Narren Saint Jean am Hofe des bayrischen Königs übernehmen und so die Prinzessin Elsbeth vor der unglückseligen Hochzeit mit dem Prinzen von Mantua bewahren. Was sich wie ein Märchen aus den Voralpen anhört, kommt am Genfer Opernhaus als grosses Wort-Musik-Theater auf die Bühne: eine Hommage an die Theatertradition der Grande Nation.

Das Produktionsteam aus Thomas Jolly, der mit «Fantasio» seine erste Opernregie übernommen hat, Thibaut Fack (Bühnenbild), Sylvette Dequest (Kostüme) sowie Antoine Travert und Philippe Berthomé (Licht) verlegt den Schauplatz nach Frankreich in die Zeit der Eisenkonstruktionen – eine dunkle Zeit zwischen Krieg und Frieden, in der das Volk (fabelhaft: der Chor der Genfer Oper) immer auf Strassen oder Plätzen unterwegs ist, als wären wir schon in Giacomo Puccinis winterlicher Künstleroper «La Bohème».

Durch die Linse

Darüber erhebt sich, nach hinten versetzt, eine zweite Spielebene für manch überraschende Parallelaktion wie etwa einen Passanten, der lauthals den Anfang der Barkarole aus Offenbachs «Les contes d'Hoffmann» anstimmt. Vor allem aber ermöglicht die Oberbühne Ausblicke auf weitere Spielorte durch eine Kameralinse, die Assoziationen an alte Schwarz-Weiss-Fotografien stützt.

Erfüllt wird dieser grossstädtische Geist von einem bravourösen Ensemble aus überwiegend französischen Muttersprachlern. Jeder Einzelne ist zugleich als Sänger und Schauspieler gefordert, um die Gesangspartien mit den vielen gesprochenen Dialogen in hohem Spieltempo zu verbinden. Dabei übertreffen sich die Protagonisten Pierre Doyen (Prinz von Mantua), Loic Félix (sein Adjutant Marinoni), Melody Louledjian (Prinzessin Elsbeth) und Heloise Mas (ihre Kammerzofe Flamel) in ihren komödiantischen, dem Sprachwitz abgelauschten Kapriolen.

Doch mit Scherz und Ironie ist es in dieser Oper nicht allein getan. Sonst hätte es Offenbach auch sicher nicht gewagt, sein Werk ausgerechnet dem Wiener Kritikerpapst Eduard Hanslick zu widmen. Für tiefere Bedeutung sorgen schon die literarische Vorlage von Alfred de Musset und natürlich die Titelfigur: Fantasio, eigentlich ein Antiheld, verschafft dem Stück als Personifikation der Phantasie einen raren Zauber aus Melancholie, gepaart mit Kritik an der Hierarchie, politischer Utopie und Aufforderung zum selbstbestimmten Leben –vorsichtshalber in der Maske des Hofnarren.

Glänzendes Korrektiv

Die wendige, warm timbrierte lyrische Mezzosopranistin Katija Dragojevic verkörpert diesen romantischen Phantasten gewissermassen als Lebensphilosophen. Ihn hat Offenbach mit traumversunkenen Balladen und Romanzen, oft in Moll, aber auch in schwärmerischen Duetten mit Elsbeth als musikalischen Gegenpol zur Buffo-Welt ausgezeichnet. Es ist dem Regisseur dabei hoch anzurechnen, dass er es bei der Hosenrolle des Fantasio belassen und daraus nicht weitere Gender-Verwicklungen abgeleitet hat.

Mit dem Dirigenten Gergely Madaras steht ein Mann am Pult des Orchestre de la Suisse Romande, der ein glänzendes Korrektiv zu mancher Übertreibung auf der Bühne bietet. Er lenkt die Aufmerksamkeit immer wieder auf die Musik, auf ihre melodischen Schönheiten, ihre rhythmische Rasanz mit dem gleichsam eingebauten Lachen, ihre Behutsamkeit und ihre Ironie. Ein phantastisches Revival.