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Kritik - "Die lustige Witwe" in Nürnberg Mit Karl Marx als Stimmungskanone

Beim Staatstheater in Nürnberg stand am 5. November die Premiere von Franz Lehárs Operette "Die lustige Witwe" auf dem Programm. Unter dem Motto "Nach uns die Sintflut" feiert die Witwe, bis der Adel zur Neige geht oder Karl Marx kommt. Operetten-Routinier Thomas Enzinger setzt auf Entertainment und Kostümpracht, die Titelpartie hingegen enttäuschte, meint BR-KLASSIK-Kritiker Peter Jungblut.

Léhars "Die lustige Witwe", Staatstheater Nürnberg, November 2017 | Bildquelle: Jutta Missbach

Bildquelle: Jutta Missbach

Die Kritik zum Anhören

Auch als Saxophon-Spieler wäre Karl Marx sicher revolutionär gewesen - fragt sich nur, ob er mit seiner Musik genauso viele Monarchen weggeblasen hätte wie mit seiner Philosophie. Wo Marx aufkreuzt, ist der Untergang jedenfalls besiegelt, sagte sich wohl der Regisseur Thomas Enzinger, und ließ den rauschebärtigen deutschen Denker immer wieder als ebenso fidele wie jazzige Stimmungskanone in der "Lustigen Witwe" aufspielen.

Marx als Feierbiest in Utopia

Dabei wurde Paris, wo die Handlung spielt, bekanntlich gar nicht kommunistisch, und auch sonst ging dieser Karl Marx keineswegs um wie ein Gespenst in Europa, sondern wie ein Feierbiest in Utopia. Die Pariser Botschaft des fiktiven Pleitestaats Pontevedro - die allerdings hat Marx offenbar schon halb in Trümmer gelegt: Aus der Decke rieselt der Staub, die Akten gehen sämtlich ins Altpapier, die Bilder sind versandfertig verpackt, das Land ist so gut wie pleite. Natürlich kann nur die titelgebende "Lustige Witwe" die Katastrophe verhindern, schließlich hat sie zwanzig Millionen auf dem Konto.

Prächtige Kostüme

Léhars "Die lustige Witwe", Staatstheater Nürnberg, November 2017 | Bildquelle: Jutta Missbach Szenenbild "Die lustige Witwe" mit Chor und Ensemble | Bildquelle: Jutta Missbach Wie üblich bei den Inszenierungen von Thomas Enzinger, der übrigens Chef des sommerlichen Lehár-Festivals in Bad Ischl ist, übernahm der Magdeburger Bühnenbildner Toto die Ausstattung.
Insbesondere die Kostüme, die ja bei einer Operette nicht ganz unwichtig sind, waren in dieser "Lustigen Witwe" so fantasievoll wie prächtig, mal inspiriert vom koketten Varieté, mal von prunküberladenen Staatsbanketten. Pfauenfedern schienen es Toto dabei besonders angetan zu haben - seine Kostüme führen fast ein Eigenleben.

Flott und bunt

Die Bühne selbst war dabei eher sparsam dekoriert: ein halbrunder Vorhang, davor ein Laubengang, vor allem aber viel Spielfläche für Chor und Solisten, die erst von Luftballons und dann von Geld überschüttet werden. Keiner hat behauptet, dass Operette realistisch ist. Unterhaltsam ist sie, diese Nürnberger "Lustige Witwe", flott choreographiert, bunt bebildert - und doch gab es Ärgernisse.

Ärger mit den Mikrofonen

Léhars "Die lustige Witwe", Staatstheater Nürnberg, November 2017 | Bildquelle: Jutta Missbach Isabel Blechschmidt als Hanna Glawari | Bildquelle: Jutta Missbach Um die Sprechtexte verständlicher zu machen, waren am Bühnenboden Mikrofone aufgestellt, die nur leider vor allem die Trittgeräusche verstärkten. Zu verstehen war wenig. Stimmlich war Isabel Blechschmidt in der Titelrolle völlig überfordert und handelte sich vor der Pause einige vernehmliche Protestrufe ein. Dabei spielte sie durchaus glaubhaft, neigte aber leider selbst in der Mittellage zu sehr schrillen Tönen. Ludwig Mittelhammer war ein ausgesprochen ansehnlicher Graf Danilo, der die Grisetten im Maxim sicherlich nicht lange zum Rendezvous überreden musste.

Zu wenig "Schmäh"

Publikumsliebling, wie so oft bei diesem Stück, war der allzeit hilfsbereite und herrlich beschränkte Botschaftsgehilfe Njegus, sehr souverän gespielt von Pius Maria Cüppers. Dirigent Guido Johannes Rumstadt hätte ruhig etwas mehr Wiener Schmäh hinein zaubern können in diese "Lustige Witwe", die eine oder andere Passage also etwas weniger partyselig und dafür schräger, doppelbödiger gestalten können. Das hätte auch die Anwesenheit des Untergangspropheten Karl Marx plausibler gemacht.

Im Duell mit dem Münchner Gärtnerplatztheater

Jetzt steht es im Léhar-Duell zwischen Nürnberg und München eins zu eins: Gerade kam die "Lustige Witwe" ja auch am Münchner Gärtnerplatztheater neu heraus, von den meisten Kritikern eher distanziert besprochen, weil auch in München der Glamour in diesem Fall wichtiger war als eine irgendwie aktuelle oder gar provokante Deutung. Mit anderen Worten: Es ging um volle Kassen. In beiden Fällen freilich war in den jeweiligen Programmheften Interessantes über das viel diskutierte Verhältnis von Adolf Hitler zu diesem Stück nachzulesen: Er regte sich in seinen Reden einerseits furchtbar darüber auf, dass Lehár mit diesem, so Hitler wörtlich, "größten Kitsch" Millionen verdiente, während der Klassiker Friedrich Schiller gedarbt habe.
Andererseits ließ sich Hitler kaum eine Aufführung der "Witwe" entgehen und fand gerade die betont amerikanisch-jazzige Fassung im damaligen Gärtnerplatztheater in München besonders unterhaltsam, obwohl der Jazz doch bei den Nazis verpönt war. Lehárs jüdische Frau Sophie erklärte Hitler persönlich wegen seiner Begeisterung für die "Witwe" zur "Ehren-Arierin". Verlogener und bizarrer als derartige Politik ist nicht mal die "Lustige Witwe".

"Die lustige Witwe" am Staatstheater Nürnberg

Premiere: Sonntag, 05.11.2017

Operette in drei Akten von Franz Lehár
Musikalische Leitung: Guido Johannes Rumstadt
Regie: Thomas Enzinger

Mit Steven Scheschareg,  Ina Yoshikawa, Ludwig Mittelhammer, Isabel Blechschmidt und anderen

Weitere Infos finden Sie auf den Seiten vom Staatstheater Nürnberg.

Sendung: Allegro am Montag, 6. November, ab 6.05 Uhr auf BR-KLASSIK

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