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Weltflucht in den erträumten SelbstmordVon Stefan Schmöe / Fotos: Carl BrunnRussische Provinz im 19. Jahrhundert; eine junge Frau leidet unter ihrer despotischen Schwiegermutter, der Ehemann ist ein Schwächling, der attraktive Tenor allzu verlockend - Katja Kabanova geht allzu leicht als Genre-Stück durch. Dabei ist Komponist Leoš Janáček ja nicht einmal Russe. Hat die Vorlage, Alexander Ostrowskijs Schauspiel Gewitter aus dem Jahr 1860, die Moralvorstellungen in seinem Land und seiner Gegenwartvor Augen, so verschiebt Janáček rund 60 Jahre später an anderem Land und Ort die Akzente auf das Liebesbedürfnis seiner Titelfigur, die ja nur indirekt an den Zuständen scheitert - würde sie kühlen Kopf bewahren und nicht selbst das verbotene Verhältnis zum (nur auf den ersten Blick) feschen Kaufmannssohn Boris offen legen, es wäre womöglich nichts weiter passiert. Erzwungene Abreise des Ehemanns: Katja und Tichon
Also alles Kopfsache? Der junge, aus Tschechien stammende Regisseur Tibor Torell, spitzt diese These noch zu, indem er die Geschichte als Vision Katjas erzählt, vielleicht eine Wahnvorstellung, in der Katja am Ende ihren eigenen Selbstmord von außen mit ansieht. Schon wenn der Zuschauerraum geöffnet wird, steht Katja (die in den folgenden rund 100 Minuten immer präsent sein wird) auf einer Verlängerung der Bühne, die ein Stück weit über den Orchestergraben ragt, vor dem Vorhang. Was eigentlich nicht nötig wäre, aber auch an anderer Stelle ist die Ökonomie der Mittel nicht gerade die Stärke der Regie - den Chor als Geistergestalten im Brautkleid zu verkleiden, das verweist vielleicht auf den Ursprung von Katjas Traumata, nämlich die unglückliche Verheiratung, ist aber ebenfalls eine etwas umständliche szenische Lösung. Und man hätte die tapfere Sängerin Irina Popova, nicht mehr ganz jung und nicht ganz schlank, schon ein wenig attraktiver ausstaffieren dürfen als in ihrem unglaublich biederen Kleid, das ständig "Provinz" zu schreien scheint, aber Katja eben auch jede erotische Ausstrahlung nimmt, derer es doch auch bedürfte. Sängerisch dagegen beglaubigt sie die Rolle mit imponierender Präsenz; die Stimme ist nicht übermäßig groß (und braucht gelegentlich etwas lange, um einzuschwingen), aber gesungen ist das mit flammender Intensität. Boris, der Mann vor dem Fenster, ist mehr Vision als reale Erscheinung: Katja mit Pflegeschwester Varvara
Bühnenbildner Piero Vinciguerra hat als Einheitsbühnenbild einen geschlossenen, nach hinten spitz zulaufenden Raum gebaut, der an einer Seite eine große Fensterfront hat, hinter der permanent Regen fällt. Immer wieder schaut Katja hinaus, sieht dort die geisterhaften Brauterscheinungen, aber immer wieder auch Boris. In der Mitte des Raums steht ein etwas überdimensionierter Laufstall, dessen Funktion nicht ganz klar wird - Symbol für die Frauenrolle, vor der Katja sich fürchtet? Jedenfalls kurzzeitig Gefängnis für Pflegeschwester Vasrvara (von Viola Zimmermann energisch und draufgängerisch gesungen). Ein paar Felsen machen deutlich, dass dies kein realer Raum ist, wohl eher der Seelenraum Katjas oder der Bezirk der (Wahn-)Vorstellungen. Der Regie gelingen ein paar beklemmende Szenen, etwa wenn Katja ihren Gatten Tichon (mit solidem Tenor: Johan Weigl) mit Gewalt von der Geschäftsreise abhalten will - da entwickelt sich ein regelrechter Ringkampf, der Katjas Gewissenskonflikt eindrucksvoll verdeutlicht. Liebhaber Boris (strahlend und vokal wie optisch elegant: Alexey Kosarev) hat dann leichtes Spiel, bleibt aber - und das ergibt in dieser Konstellation Sinn - mehr Traumvorstellung als reale Person. Der starke Beschützer, zwei Köpfe größer als Katja. Um ihn kämpft sie nicht. Kudrjasch, der Rationalist, der ein Gewitter naturwissenschaftlich erklärt und nicht metaphysisch, dem gelingt (vielleicht) die Flucht nach Moskau - für Katja keine Option.
Die Fokussierung auf die Titelfigur geht auf. Schwiegermutter Kabanicha, von Katja Starke mit der nötigen Schärfe und vokaler Durchschlagskraft gesungen, darf da ruhig als Zerrbild erscheinen; ein wenig schade ist es um die Figur des Rationalisten Kudrjasch (eher leichtgewichtig, aber klangschön: Patricio Arroyo), der mit Varvara nach Moskau durchbrennen will, was aber in dieser Konstellation belanglos bleibt. Was in Torells Inszenierung deutlich wird: Schon in dem Moment, in dem sich Katja auf das Stelldichein mit Boris einlässt, denkt sie das tragische Ende mit, und es ist ihr eigenes Schuldbewusstsein (und nicht der Druck der Gesellschaft), an dem sie zerbricht. Die ganze Affäre scheint beinahe darauf angelegt, sich in vollem Bewusstsein schuldig zu machen und diese Schuld auch, ja, auszukosten: Eine Wirklichkeitsflucht der pathologischen Art, und das nimmt der Oper jede falsche Romantik. Boris und Katja
Es wäre schön, wenn dieses Konzept auch orchestral zum Zuge käme - aber das insgesamt ordentliche, stellenweise wacklige Sinfonieorchester Aachen hat unter der Leitung des kommissarischen Generalmusikdirektors Justus Thorau seine Stärken eindeutig in den lyrischen und "romantischen" Passagen, die oft auch sehr schön gelingen. Die "modernen" Züge der Musik, die abrupten Wechsel, vor allem aber die innere Unruhe, kommen dagegen zu kurz (da fehlt es teilweise auch an der Präzision im Zusammenspiel). Musikalisch ist es dann doch wieder eine konventionelle Katja Kabanova, was die Regie doch eigentlich vermeiden wollte.
Tibor Torell gelingt eine sicher nicht in allen Details gelungene, vom Ansatz her aber überzeugende und zunehmend spannende Inszenierung, die zudem sehr gut gespielt und gesungen ist. Ihre Meinung ? Schreiben Sie uns einen Leserbrief |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Sawjol Prokofjewitsch Dikoj
Boris Grigorjewitsch
Marfa Ignatjewna Kabanowa (Kabanicha)
Tichon Iwanytsch Kabanow
Katherina (Katja)
Wanja Kudrjasch
Varvara
Kuligin
Glascha
Fekluscha
Eine Frau aus dem Volk
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- Fine -