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Todeskuss für den Vater

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Patricia Andress findet für Rusalkas seelische Not eine Vielzahl von Nuancen. - Foto: Jörg Landsberg
Patricia Andress findet für Rusalkas seelische Not eine Vielzahl von Nuancen. - Foto: Jörg Landsberg © -

Bremen - Von Ute Schalz-Laurenze. Natürlich ist es längst üblich, den Weg der Nixe Rusalka aus der Wasser- in die Menschenwelt tiefenpsychologisch zu verstehen: Antonín Dvoráks 1901 uraufgeführte Oper, die tschechische Variante des Undinenthemas, erzählt von Rusalkas Sehnsucht, eine andere zu sein. Genauer gesagt will sie ein Mensch werden, weil sie sich in den badenden Prinzen verliebt hat. Mithilfe der Hexe – übertragen so eine Art böse Stiefmutter – gelingt ihr das zunächst auch, aber sie ist stumm geworden. Der Prinz heiratet Rusalka sogar, aber eine Akkulturation gelingt ihr nicht – sie bleibt in der Menschenwelt eine Fremde.

„Rusalka“, die man zu den großen Opern des späten 19. Jahrhunderts zählen muss, wird zur Zeit an vielen deutschen Bühnen aufgeführt. Der Grund dafür mag neben der überragenden Qualität der Komposition auch die aktuelle Psycho-Thematik sein.

Regisseurin Anna-Sophie Mahler, die zum vierten Mal eine große Frauengestalt im Theater am Goetheplatz inszeniert, führte nun die Bremer Neuinszenierung zu einem bejubelten Ereignis, indem sie sich auf einen Aspekt ganz besonders konzentriert. Dafür hat sie der Musik gut zugehört und aus der dauernden Verschränkung der Motive des immer wieder dazwischenfunkenden Wassermannes sowie des tröstenden Mondes ihre Geschichte um Erwachsenwerden und Emanzipation gebaut.

Gewalt ist dabei das favorisierte Mittel des Wassermanns, um seine Lieblingstochter in der Familie zu halten. So spielt der erste Akt dann auch nicht im Wasser, sondern auf dem verkommenen Dachboden einer bürgerlichen Familie mit bröckelndem Putz und zerrissenen Tapeten (Bühne: Duri Bischoff). Ein „Seelenhaus“, wie Mahler mit Bezug auf Sigmund Freud sagte. Doch Rusalka setzt auf der Suche nach einem eigenen sinnerfüllten Leben ihren Willen durch, im „Glanz der Sonne“ zu leben: Patricia Andress findet sowohl stimmlich – ständig zwischen lyrisch und hochdramatisch – als auch darstellerisch eine Fülle von Nuancen für Rusalkas seelische Not. Einer der Höhepunkte ist ihr stummer Schrei während des polternden oberflächlichen Festes, nur im Orchester ausgedrückt.

Mahler bleibt strikt bei ihrer Sichtweise, dass sich hier ein Kind vom Vater lösen will. Dessen widerlichen, immer auch sexuell konnotierten Umgang mit seinen Töchtern singt und spielt Claudio Otelli ebenso mitreißend wie erschütternd. Bei so viel Widerwärtigkeit reicht es nicht, dass dieser Mann einfach verschwindet. Und so verändert Mahler kurzerhand den Schluss der Oper: Rusalka tötet mit ihrem Kuss nicht wie im Original den Prinzen – der stirbt von alleine unter ihren Hochzeitskleidern begraben an der Illusion, Rusalka lieben zu können. Stattdessen gilt ihr Todeskuss dem Wassermann.

Durch diesen Kniff betont Mahlers Inszenierung die Hoffnung, dass Rusalka nicht gescheitert ist, sondern dass sie mit ihrer entschlossenen Tat einen Lebensweg für sich gefunden hat – nicht mehr im Wasser und auch nicht bei den Menschen.

Der Abend im Theater Bremen ist auch der offizielle Einstand des neuen ersten Kapellmeisters Hartmut Keil – vor ein paar Monaten hatte er schon Puccinis „Gianni Schicchi“ dirgiert. Keil kann sich auf einen fabelhaften Orchesterklang mit wunderbaren Solostellen stützen und gestaltet die unerhörten Kontraste – Wagners Leitmotivik ebenso wie tschechischer Ton – geradezu gemeißelt in einem soghaften Schwung: Musik, die den Hörer nicht so schnell wieder loslässt. Weitere sängerische Akzente setzen Nadine Lehner als fiese „fremde Fürstin“, Romina Boscolo als Hexe und Loren Lang. Luis Olivares Sandoval als Prinz rundet die homogene Sängerbesetzung ab.

Die nächsten Termine: 17., und 25. November, 13., 21., 25., und 29. Dezember sowie am 7. und 20. Januar, Theater Bremen.

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