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Nur noch kurz die Welt operettenVon Stefan Schmöe / Fotos von Bernd Uhlig
"Die Operette ist nicht aus der Welt gefallen, sondern die Welt aus der Operette". Rund zwei Stunden läuft diese Fledermaus bereits und steht an einem Punkt, an dem sie endgültig zu kippen droht - da stürzt Kabarettist Jochen Busse auf die Bühne und hält ein Plädoyer für das Genre. Er fordert den Walzer ein, den es bis dahin nicht gab (und den er prompt bekommt). "Walzer ist die Operettung der Welt", kalauert er. Dabei war Busse schon am Anfang mit dabei, hat ein Bühnenbildmodell ausgepackt, Figuren hineingestellt. Nur ist das irgendwie aus dem Ruder gelaufen. Gabriel von Eisenstein ist allerlei erotischen Verlockungen ausgesetzt
Regisseurin Petra Luise Meyer - die Namensgleichheit zur Intendantin Birgit Meyer ist kein Zufall, die beiden sind Schwestern - unterläuft so manches Operettenklischee, allen voran den historischen Blick auf selige K.u.K.-Zeiten. Rosalinde kommt gerade von der Shoppingtour quer durch die etwas teureren Läden, Gatte Eisenstein schlürft Austern, und ein Notar ist dieser schmierige Typ namens Blind ganz sicher nicht, eher schon ein Kleinkrimineller. Alles ziemlich gegenwärtig wie auch so mancher Seitenhieb auf das Tagesgeschehen. Die Regie gibt sich nicht allzu viel Mühe, eine stringente Geschichte zu erzählen, stattdessen verschieben sich die Akzente Richtung Revue. Dabei geht es zunehmend frivol zu. Immer wieder taucht von irgendwo ein weitgehend unbekleidetes Bein auf, in den Ritzen der Couchlandschaft findet sich so manches Stück Reizwäsche. Auf der Party des Prinzen Orlofsky steigert sich das immer weiter, wird schriller und schriller, bis auch die letzten Hüllen bei allen Geschlechtern zu fallen drohen. Dann schreitet Busse ein. Die Frage nach dem Geschlecht stellt man besser nicht: Prinz Orlofsky mit seinem merkwürdigen Begleiter Ivan
Einen gewissen Reiz hat das Konzept ja - wenn es denn nicht so halbherzig umgesetzt wäre. Ganz von der Operette verabschieden mag sich Frau Meyer offenbar nicht. Vieles bleibt trotz allem zu brav, nur ein Bruchteil der Pointen zünden (das betrifft die originalen wie die hinzugetexteten), und letztendlich fehlt der Clou. Dazu ist der Abend mit dreieinhalb Stunden mindestens eine Stunde zu lang geworden. Sicher, wenn man einen formidablen Kabarettisten wie Busse auf der Bühne hat, soll der auch Entfaltungsmöglichkeiten bekommen und darf eine geschätzte Viertelstunde (oder noch mehr) aus dem Stück heraustreten und sich hintergründig über Kölner Befindlichkeiten auslassen, bevor er (mit Charme, aber ziemlich konventionell) den betrunkenen Gefängniswärter Frosch spielt. Der Humor des eigentlichen Stücks wird gleichzeitig immer eigentümlicher. Wer über Exekutionen herzlich lachen kann, bekommt einen echten Schenkelklopfer geliefert, und die vorletzte Pointe ist ziemlich unappetitlich. Obwohl ein sehr spielfreudiges Ensemble auf der Bühne steht, dem man subtilen Humor mit dem richtigen Gespür für Timing zutraut (in ganz wenigen Momenten gibt es auch das), bleibt das Gefühl, dass man die Inszenierung am besten erst nach angemessenem Alkoholgenuss degustieren sollte. Adele auf Getränkeschrank
Ziemlich viel Glanz gibt es auf der musikalischen Seite. Das gut aufgelegte Gürzenich-Orchester spielt unter der Leitung von Marcus Bosch ausgesprochen delikat; ob es dabei noch ein bisschen mehr "Wiener Schmäh", soll heißen: keine Verzögerungen, Rubati und so weiter, geben sollte, ist Geschmackssache. Wobei die Distanz zwischen Bühne und dem seitlich postierten Orchester die Sache nicht gerade einfach macht; der klangschöne Chor (Einstudierung: Sierd Quarré) hat zu Anfang einige Mühe, die Tempi von Dirigent und Orchester exakt zu übernehmen. Aber die Musik hat jederzeit den nötigen Esprit, und weil Bosch die Bläser immer wieder sehr leise spielen lässt, bekommt es auch eine Hintergründigkeit, die der oft eher groben Regie fehlt. In Partylaune: (von links) Eisenstein, Rosalinde, Ida, Gefängnisdirektor Frank, Adele und Dr. Falke
Miljenko Turk ist ein charmanter und eleganter Eisenstein, mit strahlender Höhe gut bei Stimme. Ivana Rusko hat in den gesprochenen Passagen ein paar Probleme mit der deutschen Sprache, ihr trompetenhafter Sopran ist von bestechender Präsenz. Wolfgang Stefan Schwaiger gibt einen formvollendeten Dr. Falke, der auch angesichts der erlittenen Demütigungen Haltung bewahrt, Oliver Zwarg ist ein kumpelhafter und stimmgewaltiger Gefängnisdirektor Frank. Dem Tenor Alfred gibt Marco Jentzsch mit hell timbrierter Stimme Format; Countertenor Kangmin Justin Kim als Orlofsky hat eine recht feminin gefärbte Stimme, was den Effekt, die Partie mit einem Mann zu besetzen, ein wenig abmildert - etwas mehr Substanz wäre ganz schön. Claudia Rohrbach spielt mit beweglichem Sopran die Adele mit großer Souveränität. Schade nur, dass die Regie sich oft auch dann in Nebenaktionen verzettelt, wenn eigentlich jeder auf der Bühne auf den Sänger im Zentrum fokussiert sein müsste - etwa Orlofskys "Ich lade gern mir Gäste ein", Adeles "Mein Herr Marquis" oder Rosalindes "Klänge der Heimat". Ob die Operette die Welt rettet oder nicht - das sind exzellente Solonummern, denen die entsprechende Aufmerksamkeit gebührt.
Um in der Sprache der Fledermaus zu bleiben: Musikalisch gibt's Champagner, szenisch Wodka. Im Versuch, die Operette schrill zu überdrehen, bleibt die Regie allzu zerfahren, zu ungenau und vor allem deutlich zu lang. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme
Licht
Choreographie
Choreinstudierung
Dramaturgie
Solisten* Besetzung der Premiere
Gabriel von Eisenstein
Rosalinde
Frank, Gefängnisdirektor
Prinz Orlofsky
Alfred
Dr. Falke, Notar
Dr. Blind
Adele
Ida
Frosch
Ivan
Tänzerinnen und Tänzer
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