Es gibt Operetten, die von Hit zu Hit eilen während das Libretto Witz auf Witz serviert, wodurch sie unabhängig von der Inszenierung zu Selbstläufern werden. Nun fällt die Johann Strauß'sche Nacht in Venedig leider nicht wirklich in diese Kategorie. Nachdem die Uraufführung 1883 gefloppt war, mussten Textfassung und musikalische Einrichtung etliche Überarbeitungen über sich ergehen lassen. Der einzige richtige Schlager blieb jedoch der Schmachtfetzen „Komm in die Gondel“ und auch der Text der Dialoge ist immer noch mehr bemüht als lustig.

Dass man daraus trotzdem ein riesiges Spektakel machen kann bewiesen unlängst die Festspiele in Mörbisch, die gar ein ganzes Kreuzfahrtschiff in den Neusiedlersee bauen ließen und das Publikum mit viel Brimborium, Wasserballett, Feuerwerk und dem ein oder anderen Achterl Wein über musikalische und dramaturgische Längen hinwegtrösteten. Die Premiere des Grazer Opernhauses musste nun naturgemäß ohne diese sommerlichen Event-Komponenten über die Bühne gehen und offenbarte dadurch gnadenlos die Schwächen der Handlung, woran die Inszenierung in diesem Fall aber mindestens eine Teilschuld hat.

Verwechslung, Verwirrspiel und Verkleidung wirkten in der uninspirierten Regie von Peter Langdal vor allem statisch und konstruiert, die Charaktere hektisch und überzeichnet; warum der Herzog Guido von Urbino ausgerechnet als Karl-Lagergeld-Verschnitt auftreten muss blieb mir bis zum Schluss ein großes Rätsel. Die Dialoge und das komödiantische Timing wollten den ganzen Abend über nicht so recht in Schwung kommen; die einzige erfreuliche Ausnahme bildete das Paar Ciboletta/Pappacoda, verkörpert von Sieglinde Feldhofer und Ivan Oreščanin, die operettenerfahren und ungekünstelt für die kurzweiligsten Passagen des Abends sorgten. Zwischen schiefen Ebenen mit psychedelischen Mustern gab es im Bühnenbild von Ashley Martin-Davis zwar Kanäle und Brücken sowie einen Steg rund um den Orchestergraben, aber insgesamt zu wenig Platz für zu viele Farben und Menschen, wodurch die Bühne konstant unruhig bis überladen wirkte. 

Weitaus Positiveres gibt es glücklicherweise über die musikalische Seite des Abends zu berichten. Das Grazer Philharmonische Orchester läuft bei der leichten Muse verlässlich zur Hochform auf und lieferte Walzerseligkeit de luxe sowie glänzende, musikgewordene Donauwellen. Am Pult ließ sich Marius Burkert auch nicht von Regieeinfällen ablenken, dirigierte etwa kurz mit einem Plastikfisch oder probierte einen Drink im Palazzo des Herzogs. Dabei behielt er die musikalischen Fäden in der Hand und schuf mit dem Orchester Augenblicke des Innehaltens ebenso überzeugend wie die der galoppierenden Lebensfreude.

Die Protagonisten der venezianischen Maskerade sorgten großteils ebenso für schöne Momente; ganz oben in der Publikumsgunst standen dabei eindeutig Sieglinde Feldhofer und Ivan Oreščanin. Energisch beherrschten die beiden als Zofe Ciboletta und Pastakoch Pappacoda alle ihre Szenen und verliehen der Vorstellung Spritzigkeit und Charme. Und auch die gesangliche Harmonie stimmte rundum: Feldhofer konnte ihre Stimme vor allem in der warm timbrierten Mittellage schmeichelnd einsetzen und punktete darüber hinaus mit hoher Wortdeutlichkeit und augenzwinkernder Textgestaltung auch in den gesungenen Passagen. Oreščanin eröffnete den Abend mit Pappacodas beschwingter Auftrittsarie und fand zwischen präziser vokaler Gestaltung mit geschmeidig geführtem Bariton stets noch genug Zeit für allerlei Späßchen. 

Als Fischerin Annina übertrieb es Elena Puszta etwas mit der Laszivität und Quirligkeit, was sich auch in der Stimme niederschlug, die des Öfteren unruhig klang und in der Höhe zu schrillen Momenten neigte. Umso mehr überzeugte dagegen der Caramello an ihrer Seite, Alexander Geller. Wie schon letzte Saison als Mister X in Kalmans Zirkusprinzessin bewies er, dass er ein idealer Operettensänger ist. Verschwenderisch malte er schmelzende Passagen um zum Einsteigen in seine Gondel zu bewegen und veredelte das nächtliche Venedig mit bombensicher glänzenden Spitzentönen. Der einzige, der schon bei der ersten Premiere dieser Inszenierung an der Opéra National de Lyon dabei war, war Lothar Odinius in der Rolle des Herzog Guido von Urbino, ein Charakter den er spürbar gerne darstellt. Blasiert und selbstherrlich warf er sich in den venezianischen Eroberungsfeldzug und hatte lediglich zu Beginn etwas mit der eng werdenden Höhe seines Tenors zu kämpfen, fand dann aber zu hellem Glanz und echter Operettenseligkeit. Angesichts der verlässlichen Qualität ist es in der Oper Graz immer erfreulich, wenn dem Chor eine große Aufgabe zufällt. So konnten die Damen und Herren des Chors einmal mehr mit Spielfreude und Tanzbegeisterung bestechen und dabei auch ihre vokale Präzision in zarten Piani und beeindruckend nuancierten Crescendi und Decrescendi demonstrieren. 

Wahnsinnig hektisch und bedrohlich nahe an der Grenze zum Hysterischen siedelte Elisabeth Pratscher die Senatorengattin Barbara Delaqua an, sorgte mit ihrem Schwipslied dann aber für locker flockige Heiterkeit. An ihrer Seite schmachtete sich Benjamin Rufin amüsant selbstironisch durch seine Szenen. Der Senator Bartolomeo Delaqua, der das ganze Verwirrspiel der Handlung in Gang setzt, lag bei Götz Zemann in guten, pointen-sicheren Händen. Unauffällig blieben hingegen die weiteren kleinen (Sprech-)Rollen, die im Laufe der Nacht einige Chancen auf Lacher verschenkten. Insgesamt wenig Spektakel und Schmäh, aber musikalisch ein gelungener und deswegen durchaus unterhaltsamer Abend. 

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