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Die Schönheit ewiger Jammerei

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Zum Abschluss des „Opera napoletana“-Zyklus im Rokokotheater Schwetzingen: Nicola Antonio Porporas „Mitridate“.

Anders als Mozarts Mitridate ist der König von Pontos in dieser Version noch nicht damit befasst, seine Söhne auf viel zu kompliziert gedachte Proben zu stellen. Stattdessen verlobt er sich erst mit der großen Liebe des einen Sohnes, um sich dann in die Geliebte des anderen Sohnes zu verlieben. Das ist nicht klug, aber immerhin ein Akt von reinstem Egoismus. Auch mag dies ein Grund dafür sein, dass in Nicola Antonio Porporas Opera seria „Mitridate“, 1736 in London uraufgeführt, so überdurchschnittlich viel gejammert wird. Denn die Söhne können sich nicht recht zur Offensive gegen den Vater ermannen. Ironischerweise will der eine, Farnace, gar noch die eben entlobte Ismene aufwiegeln. Diese denkt nicht dran, obwohl sie energischer wirkt als die zwitschernde Semandra, Königs neue Flamme, die aber allein für Sifare lodert.

Das große Selbstmitleid zerfällt nach Art der Opera seria in eine Perlenkette von Arien, auch einige – köstliche – Duette darunter, und am schönsten jammern zweifellos Semandra und Sifare Seit’ an Seit’. Aber so begreiflich es ist, dass man sich bei einer Deutschen Erstaufführung nach 280 Jahren nicht kurzfassen will, so stellt sich doch die Frage, ob es nicht klüger gewesen, mit einer etwas knapperen Variante für das Werk zu werben (obwohl der Abend mit drei Stunden Gesamtdauer gar nicht so lang ist). Porporas „Mitridate“ ist jedenfalls der Abschluss, aber nicht der Höhepunkt des ambitionierten und sehr gelungenen siebenteiligen Zyklus „Opera napoletana“: Seit 2011 führte das Theater Heidelberg im Schwetzinger Rokokotheater Neu- und Wiederentdeckungen des Opernschaffens der neapolitanischen Schule auf, ein Ausgrabungsparcours, der fast jedes Mal die Bühnenwirksamkeit der Arbeiten prächtig unter Beweis stellen konnte.

Inszenierung mit wenig Esprit

Vielleicht lag auf „Mitridate“ schon seinerzeit etwas viel Druck – Porporas Werk gehörte zu einem offenbar größer angelegten Versuch, die italienische Oper in England zu stärken, gar Händels Einfluss zu übertrumpfen. Vielleicht ist in der hinreißenden Umgebung des Schlosstheaters die Inszenierung von Jacopo Spirei zu bescheiden, um die Arienkette in interessante Schwingungen zu versetzen. Letzteres ist umso überraschender, als die Akteure wie gemacht wirken für etwas mehr Lebhaftigkeit. Einsatzbereit auch die Bühne von Madeleine Boyd, die einen im weitesten Sinne exotischen Palast in bereits versehrtem Zustand zeigt. Ein schweres Teil ist durch die Decke gestürzt. Nach der Pause hat es die Rückwand zerrissen. Ja, da draußen tobt der Konflikt mit den Römern. Dennoch erscheint der späte Einsatz der in vielen Inszenierungen derzeit obligaten Handfeuerwaffen unglücklich und wie ein ironischer Tupfer in einer weitgehend ironiefreien Situation. Naiv wirkt der Einsatz der Statisten, stiller Diener, die sich zunehmend gequält zeigen und am Ende als Selbstmordattentäter präsentieren. Sarah Rolkes Kostüme changieren zwischen biblischer und heutiger Zeit, modebewusste, schöne, androgyne Menschen werden vorgeführt, aber viel dürfen sie nicht unternehmen.

Das Philharmonische Orchester Heidelberg unter Leitung von Felice Venanzoni (Oper Frankfurt) macht deutlich, wie problemlos es sich auf die alte Musik einstellen kann. Das Ensemble setzt Glanzpunkte vor allem mit den beiden großen Counter-Partien: David DQ Lee zeigt sich als eindrucksvoller Charaktercounter, schneidend, füllig und beweglich, auch lässt sein Mitridate zumindest ahnen, was für ein kecker Darsteller er ist. Ray Chenez ist sein ebenbürtiger Sohn Sifare. Das Spiel mit der Androgynität perfekt macht Shahar Lavi als Farnace. Yasmin Özkan überzeugt als leiderfüllte, wirklich extrem leiderfüllte Semandra, Katja Stuber als murrige Ismene. Trotzdem ist es diesmal eher ein Vergnügen für Hardcore-Opera-seria-Freunde, die es freilich in großer Zahl gibt.

Rokokotheater Schwetzingen:
8., 10., 16., 19., 28. Dezember.
www.theaterheidelberg.de

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