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Macht verdirbt den Charakter
Von Roberto Becker / Fotos: © Bettina Stöß Seit 2012 ist Dietmar Schwarz Intendant der Deutschen Oper in Berlin. Zu den Programmschwerpunkten, die er seither beharrlich verfolgt, gehört die Grand Opéra. In der deutschen Hauptstadt gehört es sich schon aus historischen Gründen, dem 1791 in Berlin geborenen und 1864 in Paris gestorbenen Giacomo Meyerbeer historische Gerechtigkeit angedeihen zu lassen. Denn es hat immer noch etwas von einer Ausgrabung, wenn es in Deutschland (und nicht nur da) eine Grand Opéra wieder ins Repertoire schafft. Und das liegt nicht nur an den puren Ausmaßen. Zu den schönen Episoden aus dem Leben dieses Propheten gehört es, dass während der Uraufführung am 16. April 1849 die zeitgleich tagende Nationalversammlung beschlussunfähig gewesen sein soll, weil mehr Abgeordnete in der Oper als im Parlament waren. Das waren Zeiten! Hierzulande hat Richard Wagner seinem einstigen Förderer in Paris zu Lebzeiten übel mitgespielt. Die Dominanz seiner Werke und die politische Schützenhilfe der fiesesten antisemitischen Machart in den Jahren nach 1933 haben den Rest besorgt. Korrigiert ist das noch lange nicht. Die Mächtigen machen, was sie wollen Wenn aber die Wiederbelebung der Grand Opéras mit solcher Musizierlust im Graben und mit solchem vokalen Luxus auf der Bühne versehen wird, wie es an der Deutschen Oper Berlin zum Standard gehört, dann bietet dieses Genre obendrein jene Opulenz, die heute mitunter etwas zur kurz, aber beim Publikum gut ankommt. Dass man zugleich bei der szenischen Umsetzung auch Ehrgeiz walten lassen kann, belegen zumindest die Einladungen von Schwarz an Vera Nemirova für Vasco da Gama (2015), David Alden für die Hugenotten (2016) und jetzt auch die an den streitbaren Franzosen Olivier Py für den Propheten. Zu diesem Zyklus mit den Filetstücken aus Meyerbeers Schaffen müsste man natürlich die Trojaner von Berlioz dazu rechnen, die David Pountney 2010 noch unter der Intendanz von Schwarz Vorgängerin an der Bismarckstraße inszeniert hat. Für Olivier Py ist es seine dritte Grand Opéra. Richtig "abgeräumt" hat er vor allem mit den Hugenotten 2011 in Brüssel. Auch seine Jüdin von Jacques Fromental Halévy in Lyon 2016 war ein Erfolg. Berthe hat keine Chance auf Glück Die von düsterer Betonästhetik dominierte Bühne von Pys Dauerausstatter Pierre-André Weitz rückt das Geschehen aus dem 16. Jahrhundert unverkennbar an die Gegenwart heran. Ohne dabei allzu konkret zu werden. Nur die Aufschrift auf dem als Grabstein verkleideten Souffleurkasten "Jean de Leyde 1509-1539" verweist auf die eigentlich vorgesehene Zeit der Handlung. Werbeplakate erst mit viel nackter Haut, dann mit dem Reiseziel Jerusalem, schließlich mit Blick ins Universum sind die einzigen, hintersinnig gemeinten Farbtupfer in der grauen Tristesse. Der allseits unbeliebte, ja verhasste Willkür-Machthaber vor Ort, Graf Oberthal, lässt sein Konterfei plakatieren und sich von Lakaien einen Kaffee reichen, den er unterm Regenschirm zu sich nimmt. Ein Bild, dass den Auftakt liefert und den Schlusspunkt eines Es-bleibt-alles-beim-Alten setzt. Willkür heißt hier: inklusive einer Vergewaltigung in aller Öffentlichkeit auf der Kühlerhaube. Das Volk hat hier konsequenterweise einen proletarischen Zuschnitt. Zum Personaltableau gehören diesmal aber die Tänzer, inklusive eines mit Pappflügeln ausgestatteten Engels der Geschichte(n), die sich gleichsam wie in einer traumhaft psychologisierenden Parallelwelt bewegen. Der Prophet in seinem Element Aus so einer Welt der anderen Art scheinen auch die drei puritanisch schwarz gekleideten Wiedertäufer Zacharie (Derek Welton), Jonas (Andrew Dickinson) und Mathisen (Noel Bouley), denen sich Jean nach anfänglichem Zögern erst anschließt, als er von Oberthal erniedrigt wird und sich zwischen dem Leben seiner Mutter und der Auslieferung seiner Braut Berthe an den Oberfiesling entscheiden muss. Aber in dieser Oper nehmen sich der Terror der althergebrachten Herren und der religiös verbrämte der Wiedertäufer nichts. Jean, den die drei Strippenzieher als Propheten aufbauen und inszenieren, wird schnell zum Paradebeispiel dafür, wie Macht den Charakter verdirbt. Was mit einem revolutionären Impuls beginnt, wird schnell selbst zum Terror im Namen eines höheren Rechts. Wie all das zwangsläufig in die Katastrophe führt, wird von Py zur ausgedehnten Ballettmusik in einer narrativen Katastrophen-Choreographie für seine 16 Tänzerinnen und Tänzer penibel ausgemalt. Das traf nicht nur auf Zustimmung im Saal, besticht aber vor allem mit seiner in sich stimmigen Ästhetik und der perfekten Umsetzung durch die Tänzer. Die werden am Ende (und wieder mit unterschiedlicher Aufnahme beim Publikum) noch einmal in einem autonomen Bild gefordert. Da illustrieren sie im Breitbandformat einer Swinger-Partie im Rotlichtambiente mit Kleiderverbot all das, was in den Augen religiöser Eiferer das Sinnbild für Dekadenz schlechthin ist. Abgesehen von diesen beiden ästhetischen Überhöhungen erzählt Py die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Wiedertäuferkönigs im Grund gradlinig durch. Der Prophet als König Am Pult des Orchesters der Deutschen Oper Berlin steht diesmal Enrique Mazzola. Er liefert einen spannenden und farbig opulenten Meyerbeer, bei dem auch die Bläser nur angenehm auffallen. Unter den Protagonisten überzeugt Tenor Gregory Kunde als Jean de Leyde mit Strahlkraft, Farbe und technischer Mühelosigkeit. Clémentine Margaine spielt als Mutter Fides dezidiert ihre vokale Kraft aus. Während Elena Tsallagova als Berthe mühelos zartere Töne anschlägt. Kraftvoll in Darstellung und Gesang ist Seth Carico als Graf Oberthal. Auch die übrigen Sänger und der von Jeremy Bines einstudierten Chor tragen zum hohen musikalisch sängerischen Niveau dieser Produktion bei.
Die Deutsche Oper Berlin schließt mit diesem streitbaren, aber insgesamt überzeugenden Le Prophète seinen beispielhaften Meyerbeer-Zyklus ab. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne und Kostüme
Licht
Chor
Kinderchor
Dramaturgie
Solisten
Jean de Leyde
Fidès
Berthe
Zacharie
Jonas
Mathisen
Graf Oberthal
1. Bäuerin
2. Bäuerin
1. Bauer / 1. Wiedertäufer / Bürger / Soldat
2. Bauer / 2. Wiedertäufer
Offizier
3. Bürger
4. Bürger
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