Verwirrspiel im Goldrahmen: „Die Fledermaus“ von Johann...

Carsten Süss lässt sich in der Darmstädter „Fledermaus“ als Gabriel von Eisenstein gern von der Tänzerin Valerie Vercelot (links) und Kyra Galal als Minnie (Mitte) umgarnen.Foto: Martina Pipprich  Foto: Martina Pipprich
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Gegen Ende der Ouvertüre torkelt Dr. Falke im aufgeplusterten Fledermaus-Kostüm durch den Orchestergraben. Er klettert auf die Bühne und kommt dort unter höhnischem...

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DARMSTADT. Gegen Ende der Ouvertüre torkelt Dr. Falke im aufgeplusterten Fledermaus-Kostüm durch den Orchestergraben. Er klettert auf die Bühne und kommt dort unter höhnischem Gelächter der Volksmenge zu Fall: Eine gelungene Idee der Regisseurin Nicole Claudia Weber, die damit klarmacht, worum es eigentlich geht. Die „Rache der Fledermaus“ ist Triebfeder für die verwickelte Handlung dieser Operette, die sich dank ihrer Musik als Prototyp der Gattung etabliert hat.

Ein Goldrahmen im Rokokostil umgibt die Bühne und schafft historische Distanz. Das Ambiente des reichen Kleinbürgers Gabriel von Eisenstein verweist auf die Gegenwart, während sich auf einer zweiten Ebene die Traumwelt des Prinzen Orlofsky auftut. Friedrich Eggert als Bühnen- und Kostümbildner versteht sich darauf, solche Gegensätze prägnant in Bilder zu fassen, um dem Verwirrspiel, in dem bei einem Ball jeder vorgibt, jemand anders zu sein, den geeigneten Rahmen zu geben. Der Originaltext wurde für die Darmstädter Aufführung bearbeitet und gekürzt, jedoch so, dass die Handlungsstränge bei aller Verzwicktheit verfolgbar bleiben. Dazu verhelfen auch die Übertitel zu den Gesangsnummern, während die gesprochenen Dialoge dank der geschliffenen Diktion aller Akteure gut verständlich bleiben.

Schon zu Beginn zeigt sich, wie Nicole Claudia Weber es versteht, die Handlung mit der Musik von Strauß zu verbinden. Ihre Gestik ist genau auf die Klänge abgestimmt, sodass Wort, Ton und Gestik gleichsam Hand in Hand gehen. Staubsauger und Bügelbrett bestimmen den Aktionsradius von Madame Rosalinde von Eisenstein, dem Kammermädchen Adele, dem Hausherren und dem verführerischen Gesangslehrer. Das Künstlerfest beim Prinzen Orlofsky entfaltet sich zunächst etwas schwerfällig, bis der Auftritt der im Kostüm einer ungarischen Gräfin auftretenden Rosalinde für Belebung sorgt. Hübsch die eingestreuten eleganten Tanznummern, originell der Einfall, das Fest schon während der Pause mit Bühnenmusik wieder aufleben zu lassen. Dass die Szenerie des Gefängnisses weitgehend dem Zuhause der Familie Eisenstein gleicht, ist ein gelungener Fingerzeig: Da schließt sich ein Kreis zwischen Bürgerlichkeit und Verführbarkeit.

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Carsten Süss, stimmlich und darstellerisch auf der Höhe, macht die Wandlungen des Rentiers Gabriel Eisenstein in jeder Phase glaubhaft. Seine Frau Rosalinde wird von der Sopranistin Katharina Persicke ansehnlich verkörpert, flexibel singend bis hin zum betörenden Csárdás in der fulminanten Verkleidung als Ungarin. Katharina Ruckgaber schafft mühelos den Spagat zwischen poppiger Kammerzofe und ambitionierter Möchtegern-Künstlerin, und David Lee ist der wendige, fensterlnde Gesangslehrer Alfred, ein Tenor mit biegsamer Stimme. Der Bariton Christoph Filler erweist sich in der Figur des Notars Dr. Falke als abgefeimter Drahtzieher des Rache-Geschehens. Im Zentrum des Maskenfests steht Xiaoyi Xu als Orlofsky, eine schillernde Gestalt im glitzernden Goldkostüm.

Dem turbulenten Finale im Gefängnis verleiht der Schauspieler Walter Renneisen in der Paraderolle des Gerichtsdieners Frosch eine ganz besondere Note. Mit eigengeprägtem Text preist er sein Gelass als „seriöses Etablissement“, stärkt sich mit Hochprozentigem aus dem Erste-Hilfe-Kasten und wartet schließlich mit einer Hommage ans Heiner-Deutsch auf – alle Paris- und Wien-Anklänge dieser Operette links liegen lassend. Georg Festl als Gefängnisdirektor und Michael Pegher als stotternder Advokat Dr. Blind beteiligen sich im Slapstick-Stil nachhaltig an den fälligen Enthüllungen, bis schließlich die Erkenntnis reift, dass alles nur ein Scherz war.

Zündende Walzer- und Polkamelodien

Die musikalische Leitung liegt bei Michael Nündel in sicheren Händen. Er heizt mit dem Staatsorchester Darmstadt die tänzerischen Rhythmen kräftig an, ohne den Kontakt und die Balance zur Bühne zu verlieren, weiß aber auch die gefühligen Passagen ins rechte Licht zu rücken. Von zündenden Walzer- und Polkamelodien über fesche Couplets bis zum besinnlichen „Brüderlein und Schwesterlein“-Chor erstreckt sich ja eine ganze Skala der wechselnden Gefühle. Die von Thomas Eitler-de Lint, Elena Beer und Alessandro Zuppardo vorbereiteten Chöre nehmen gewandt am prickelnden Geschehen teil.

Es gab am Premierenabend am Samstag einhelligen, begeisterten Applaus im Großen Haus.