Ein drittes Kind wäre ja schon schön. Aber es kommt nicht dazu. Sam möchte seine Susan bei der Geburt schließlich nicht alleine lassen. Allerdings ist er beruflich für die Eisenbahn immer so viel unterwegs, dass das Paar einfach keinen Zeugungstermin findet, der zu Sams Agenda neun Monate später passen würden. Also lassen sie es einfach sein. Sam ist ohnehin zu müde von der dauernden Reiserei. Da war es in der Fabrik ja noch besser. Doch immer, wenn es gut lief, so klagt er, hat die Firma expandiert – und schon war er seinen Job los.

Das wunderbare kleine Stück Kapitalismuskritik stammt von 1948. Sam und Susan Cooper aus Kurt Weills Broadway-Stück „Love Life“ sind der Prototyp eines US-amerikanischen Ehepaars. Eine Besonderheit allerdings gibt es: Sie altern nicht. 1791 kommen sie mit ihren beiden Kindern in den noch jungen Vereinigten Staaten nach Connecticut. Eine kleine heile Welt. Doch die ändert sich in den folgenden 150 Jahren rasant. Industrialisierung, Kapitalismus, Frauenrechtsbewegung. Die Coopers kommen da nicht mehr mit. Es bleibt keine Zeit mehr, nicht mal mehr für die Zeugung eines Kindes. Die Liebe zerbricht.

Eigentlich ein bitterer Stoff, den Kurt Weill und sein Texter Alan Jay Lerner („My Fair Lady“) dem Broadway-Publikum 1948 zumuteten. Freilich, nach dem Unhappy End mit Scheidung kriegen Weill und Lerner doch noch irgendwie die Kurve zum Happy End, aber vielleicht war die seltsam sperrige Dramaturgie letztlich auch ein Grund dafür, das das Stück nach einem vergleichweise guten Start in der Versenkung verschwand.

Jetzt macht sich das Theater Freiburg um eine Wiederbelebung in Form der deutschen Erstaufführung verdient. Die Weill Foundation in New York hat die Rechte freigegeben, Freiburgs Chefdramaturg hat das Stück mitsamt den Songs ins Deutsche übersetzt und griffige, erstaunlich geschmeidige Texte geschaffen. Vor allem aber hat sich das Freiburger Team mit dem Dirigenten James Holmes (der bei der Premiere wegen Erkrankung allerdings von Daniel Carter ersetzt wurde) und den beiden grandiosen Sängerdarstellern Rebecca Jo Loeb (Susan) und David Arnsperger (Sam) die nötige Kompetenz in Sachen Musical und Erfahrung im Umgang mit dem amerikanischen Kurt Weill ans Haus geholt.

Formal ist „Love Life“ eine Art Nummern-Revue. Vaudeville nannte man das in den USA. 1948 war diese uramerikanische Form eigentlich schon wieder out – überholt vom Musical und dem Trend zum Filmmusical. Vielleicht war auch das ein Grund für die schwache Rezeption von „Love Life“.

Wer hingegen Kurt Weill vor allem aus den Songs der Dreigroschenoper“ kennt, wird seine Ohren erstaunt aufsperren. Weill war ein Verwandlungskünstler. Ein aus amerikanischer Sicht Vorbild an Integration. Nachdem er wegen seiner jüdischen Herkunft vor den Nazis in die USA geflohen war, setzte er seine gesamte kreative Energie daran, neue Formen des amerikanische Musiktheaters zu schaffen.

Ein Ergebnis davon ist „Love Life“. Es steckt voller schmissiger Musik, sinfonischem Jazz à la Gershwin, Ragtime, Blues und amerikanischer Folklore. Nur gelegentlich meint man noch den einstigen Kurt Weill von „Mahagonny“ zu vernehmen. Eines aber ist geblieben: Weills Experimentierlust und die Ohrwurmtauglichkeit seiner Songs. Sie sind es, die über manche Länge des Stücks hinwegtragen. Hut ab vor dem Philharmonischen Orchester, das sich immer wieder in eine veritable Big Band verwandelt. Der amerikanisches Weill verlangt ihnen einiges ab.

Und auch der Opernchor (Leitung: Norbert Kleinschmidt) ist weit über das Maß gefordert, das er im gängigen Opernbetrieb gewohnt ist. Er muss nämlich auch tanzen, und zwar nicht zu knapp. Revuetreppe hoch, Revuetreppe ab. Die Sänger und Sängerinnen sollen noch in ihrer Freizeit geübt haben. Das Ergebnis lässt sich sehen – auch wenn es nach den Maßstäben des Broadway noch Luft nach oben gäbe.

Dass aus „Love Life“ in Freiburg nicht einfach ein Varieté-Theater mit Cancan tanzenden Revue-Girls geworden ist, ist nicht zuletzt dem Regisseur Joan Anton Rechi zu verdanken. Den musikalischen Stil-Mix beantwortet er mit einem genialen Kniff: Er kleidet jede Nummer in ein anderes Filmgenre und zitiert dabei aus bekannten amerikanischen Filmen wie „Vom Winde verweht“ oder „Der Zauberer von Oz“.

Wo es in „Love Life“ um Kritik an der Industrialisierung geht, verwandelt sich der Männerchor in eine Gruppe Charlie Chaplins aus „Modern Live“. Und wenn Sam und Susan Cooper im Zuge ihrer Scheidung Abschied voneinander nehmen, stehen sie da wie Humphrey Bogart und Ingrid Bergman in „Casablanca“.

So bebildert der Regisseur den Ritt der Coopers durch die sich wandelnde Welt, ohne dafür einen schulbuchartigen Realismus zu bemühen. Und schafft gleichzeitig noch ein heiteres Kompendium der Filmgeschichte. Kostümbildnerin Mercè Paloma konnte für jede Szene erneut loslegen aus dem Vollen schöpfen. Insofern ist „Love Life“ ein Kostümschinken der angenehmen und unbeschwerten Art geworden.

Wer hier die Bissigkeit der Brecht-Weill-Kooperationen sucht, wird freilich enttäuscht sein. Trotz der ironischen Spitzen, die Alan Jay Lerner in seinen Text einstreut, und obwohl man immer wieder staunt, wie wenig sich seit 1948 an den Problemen zwischen Mann und Frau verändert hat und wie aktuell manche Gesellschaftsanalyse ist, wirkt der Text doch seltsam harmlos. Das Verdienst des Freiburger Theaters, dem Stück endlich auf die deutsche Bühne verholfen zu haben, schmälert das allerdings keinen Deut.

Die kommenden Aufführungen von „Love Life“: am 14., 16. 21., 31. Dezember; 14. und 31. Januar im Theater Freiburg. Weitere Informationen und Tickets im Internet unter: www.theater.freiburg.de

Der Komponist

Kurt Weill (1900-1950) ist vor allem durch seine Zusammenarbeit mit Bertolt Brecht bekannt geworden. Das Duo schuf unter anderem die „Dreigroschenoper“ sowie „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. 1933 floh Weil vor den Nationalsozialisten in die USA. Dort etablierte er sich als Musicalkomponist. Seine europäischen Anhänger haben ihm diesen Wandel übel genommen weil er sich damit an den kommerziellen Musikbetrieb Amerikas verkauft habe. Daher wurden seine amerikanischen Werke hier nur selten aufgeführt. Das ändert sich langsam – wie jetzt in Freiburg, wo „Love Life“ die deutsche Erstaufführung erlebt. (esd)