Schweizer Roger Vontobel inszeniert Beethovens „Fidelio“...

Ludwig van Beethovens einzige Oper „Fidelio“ ist einer der großen Problemfälle der Musikgeschichte – und dennoch heiß geliebt. Die Mischung von harmlosen...

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MANNHEIM. Ludwig van Beethovens einzige Oper „Fidelio“ ist einer der großen Problemfälle der Musikgeschichte – und dennoch heiß geliebt. Die Mischung von harmlosen Genrespielszenen, pathosgetränktem Gerechtigkeitsdrama und heiklem, quasi-sinfonischem Oratorienschluss widersetzt sich der zwingenden Darstellung auf der Bühne. Ein Gemeinplatz, der die Regie eigentlich zu Höchstleistungen anspornen sollte. Eigentlich.

Die Wirklichkeit ist (meist) eine andere. Auch bei Roger Vontobel, der in Mannheim manchem als der neue Wundermann gilt. Natürlich hat er bei den umständlichen Sprechtexten gekürzt (auch Essentielles) und neuen Text hinzugefügt, das ist Usus, also geschenkt. Skurril werden die sprachlichen Eingriffe, wenn Regieanweisungen und Beschreibungen dessen, was gerade geschieht, in der neu eingeführten deutsch-englischen Übertitelung nur in englischer Sprache erscheinen. Hier stellt sich doch die Sinnfrage solchen nach „Bedeutung“ heischenden Tuns. Da erinnern wir uns lieber mal an den Germanisten Hans Mayer, der dem „Fidelio“ einst einen Bodensatz von Trivialität, gar vulgärer Belustigung attestierte.

Rocco wird jede Feinzeichnung verwehrt

Vontobel hat einen Verdacht: Dass die kleinbürgerliche Idylle im Hause des Kerkermeisters Rocco (der vorzügliche Sebastian Pilgrim als buckliger Glöckner von Notre Dame) gar nicht wahr sein kann in dieser bösen Welt. Also lässt er den schreienden, dreckbesudelten Schauspieler Michael Ransburg als dauerpräsenten zweiten Florestan auf schräger Ebene (Bühnenbild: Claudia Rohner) im Angesicht des zu erwartenden Todes die vermeintliche Idylle als Tagtraum inszenieren. Zum Finale darf er – tot oder lebendig, das bleibt die Frage – Himmelfahrt halten, während der mit Engelsflügeln bestückte Chor nebst dem Schurken Pizarro (gesungen von Thomas Jesatko) den Sieg der Gattenliebe besingt. Bis der von Anfang an über der Szene schwebende schwarze Kubus sich senkt und alle nebst dem insektenartig ausstaffierten Minister (gut: Thomas Berau) einfach wegschließt: Ende der Utopie. Dazwischen: Figuren – eher in umwerfend hässliche Klamotten (von Dagmat Fabisch) gesteckte kasperleartige Beweisstücke für ein Regie-Konzept mit noch weniger Tiefenschärfe als Beethoven ihnen beigemessen hat. Was es mit der seltsamen Vernarrtheit der Marzelline (Ji Yoon vom Opernstudio, ein Glücksfall) in Fidelio auf sich hat, warum Jaquino (Raphael Wittmer) noch blasser herumsteht als in anderen Inszenierungen oder dem Rocco jede Feinzeichnung verwehrt wird – man weiß es nicht. „Gespenster einer halbwahnsinnig gewordenen Imagination“ seien das, heißt es im Programmheft. Erlösung? „Höchstens in der Musik.“ Was leider nun auch ausbleibt. Florestan Will Hartmann von der Partie überfordert, die Leonore von Annette Seiltgen ohne rechten dramatischen Aplomb, das Orchester unter der Leitung von GMD Alexander Soddy auf einen singspieltauglichen Pauschalton eingeschworen – es klingt immer nett und in der Kerkerszene erschreckend unentschieden bis belanglos. Muss man so nicht haben.