Italianità – von Klischees und Kitsch befreit

Mit «Il trittico» hat Kirill Petrenko seine erste Puccini-Premiere in München dirigiert. Der Abend wurde zum fesselnden Hörerlebnis.

Marco Frei
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Giacomo Puccinis Oper «Il trittico», neu Inszeniert von Kirill Petrenko und Lotte de Beer (Regie). (Bild: Wilfried Hösl)

Giacomo Puccinis Oper «Il trittico», neu Inszeniert von Kirill Petrenko und Lotte de Beer (Regie). (Bild: Wilfried Hösl)

Zwischen Traum und Wirklichkeit klaffen oftmals tiefe Gräben. Auch an der Bayerischen Staatsoper in München wird geträumt. Seit dem Beginn der Intendanz von Nikolaus Bachler soll das italophile Profil der Stadt auch auf der Opernbühne stärker geschärft werden. Doch leider möchte es bisher mit der Italianità am Münchner Nationaltheater nicht so recht gelingen, was vor allem der Auswahl der Dirigenten geschuldet ist. In der Regel bleibt es bei ermüdenden Klischees: viel «Um-Pa-Pa» und sentimentales Pathos.

Auch Kirill Petrenko, der Generalmusikdirektor des Hauses, hat in München nicht immer eine glückliche Hand im italienischen Repertoire. Seine erste Belcanto-Premiere, die Oper «Lucia di Lammermoor» von Gaetano Donizetti, blieb 2015 recht zwiespältig, mit zuweilen arg behäbigen, schwerfälligen Tempi. Ganz anders Giacomo Puccini: Hier fühlt sich Petrenko wohl. Das zeigte sich bereits 2016 bei einer «Tosca»-Wiederaufnahme. Und jetzt dirigierte er mit «Il trittico» seine erste Puccini-Neuproduktion in München.

«Originalklang-Puccini»

Das Ergebnis zählt zum Besten im Puccini-Repertoire. Es fasziniert, wie Petrenko scharfsinnig mit Klischees bricht und Puccinis Musik von jedwedem Kitsch befreit. Aus dem Bayerischen Staatsorchester liess er eine schier atemlose Spannung erwachsen. Ob brutale Zuspitzung, fragile Klangsinnlichkeit oder frecher Humor: Mit Agilität und Hellhörigkeit wurden die klanglichen Mittel und die Ausdrucksvielfalt durchleuchtet, ein «Originalklang-Puccini» gewissermassen.

Dabei gelang es Petrenko zugleich, aus den drei Einaktern des 1918 uraufgeführten Triptychons «Il trittico» jeweils eigene Klanglichkeiten herauszustellen. Unheilvoll und verdüstert wirkte das Kolorit in «Il tabarro», wobei der abgründig verstimmte Walzer der Drehorgel eine besonders schauerliche, groteske Reibung erzeugte. Dagegen erwuchs in «Suor Angelica» ein Klang nicht mehr von dieser Welt: berauschend luzid und jenseitig. In «Gianni Schicchi» schliesslich machten Petrenko und die Musiker exemplarisch hörbar, wie sehr Puccini tradierte Semantiken durch den Kakao zieht: so zu Beginn die Klage-Sekunden.

Für die Regie wurde Lotte de Beer verpflichtet. Als künstlerische Leiterin des Ensembles Operafront in Amsterdam und einstige Meisterschülerin von Peter Konwitschny für sozialkritische Deutungen bekannt, wirkte ihr Münchner «Trittico» ausgesprochen werkgetreu: solide und insgesamt eindrücklich. Für die Inszenierung hat Bernhard Hammer einen quadratischen Korridor entworfen, der durch das Licht von Alex Brok und die Kostüme von Jorine van Beek eine jeweils differierende Atmosphäre atmet.

Tödliches Dreieck

In «Il tabarro» wirkt die Szenerie düster, was das tödliche Liebesdreieck zwischen Michele, seiner Ehefrau Giorgetta und ihrem Liebhaber Luigi passend in Szene rückt. Gleich zu Beginn wird ein Kindersarg fortgetragen, womit Beer ein zentrales Motiv für den Ehebruch Giorgettas in den Raum stellt: der Tod des gemeinsamen Kindes. Am Ende wird der Sarg mit der Leiche des von Michele erwürgten Luigi fortgetragen. Schon versammeln sich an der Bühnenrampe die Nonnen aus «Suor Angelica», womit Beer «attacca» in den nächsten Einakter überleiten möchte.

Leider gelingt dies nicht wirklich, weshalb an der Premiere vereinzelt applaudiert wurde. Auch der tödliche Zweikampf zwischen Michele und Luigi entwickelt nur bedingt eine dramatische Wirkung. In dieser Szene weiss Luigi, dass er vor Michele seine Liebe zu Giorgetta leugnen muss, um nicht zu sterben. Er kann es nicht, steht bedingungslos zu seiner Liebe bis in den Tod.

Diesen dichten Moment lässt Beer sich weit im Hintergrund der Bühne abspielen. Da hilft es auch nicht, dass sich die Leiche Luigis im Quadrat einmal kopfüber dreht: Die kammertheatralische Wirksamkeit dieser Szene ist verpufft. Dafür aber macht der Gesang eine besondere Psychologie hörbar. Im reifen Timbre von Eva-Maria Westbroeck wirkt Giorgetta fast schon mütterlich, zumal in Verbindung mit dem jugendlichen – wenn auch etwas gaumigen – Tenor von Yonghoon Lee. Es scheint fast schon, als ob Giorgetta zu Luigi eine Art Ersatzfürsorge entwickelte, um über den Tod des Kindes hinwegzukommen.

Das dunkle, raue Timbre von Wolfgang Koch lässt wiederum Michele nicht nur einfach schroff und brutal erscheinen, sondern zugleich schmerzlich verwundet. Generell glänzte diese Premiere mit einer durchwegs klugen Wahl der Solisten, was auch für «Gianni Schicchi» galt. Den Erbschleicher-Klamauk inszeniert Beer als kunterbunte Maskerade, in der Ambrogio Maestri die Titelpartie mit viel Humor und Gerissenheit würzt. Von seiner Tochter Lauretta wird er ähnlich schlau um den Finger gewickelt. Und so sang Rosa Feola die berühmte Arie «O mio babbino caro» nicht tragisch leidend, sondern eher frech.

Sie möchte Rinuccio, solide gestaltet von Pavol Breslik, heiraten, und dazu bezirzt sie ihren Vater. Der eigentliche Höhepunkt ist jedoch «Suor Angelica». Hier lässt Beer eine konzentrierte Kammertheatralik wirken, was zuvor in «Il tabarro» nicht gelingt. Davon profitiert der verbale Zweikampf zwischen der harten Fürstin von Michaela Schuster und der leidvoll zerbrechlichen Schwester Angelica von Ermonela Jaho. Als die Fürstin im Nonnenkloster auftaucht und Angelica berichtet, dass deren Sohn verstorben sei, entwickelt sich ein todestrunkener Sog.

Todestrunken

Bald vergiftet sich Angelica selbst, um angesichts der Todsünde im Sterben um Vergebung zu bitten. Ein riesiges, grell leuchtendes Kreuz fährt in die Szene, mit dem toten Kind und der Fürstin. Wie Jaho diese finale Szene ausgestaltete, war ein Ereignis. Mit zartem, lichtem Timbre gelang der Sopranistin aus Albanien generell eine betörende Verbindung aus Gebrochenheit und Weltentrücktheit. An der Premiere wurde Jaho denn auch ähnlich frenetisch gefeiert wie Petrenko.