1. Startseite
  2. Kultur

Der Tod steht ihnen gut

KommentareDrucken

Puccinis "Il Trittico"
Mit Puccinis "Il trittico" glückte der Bayerischen Staatsoper ein legendärer Abend © dpa

Lotte de Beer inszenierte Puccinis „Il trittico“ an der Bayerischen Staatsoper; Kirill Petrenko dirigierte den Abend. Eine exemplarische Produktion, urteilt unser Kritiker nach der Premiere.

München – Wenn der Tod kommt, ist es aus mit der Schwerkraft. Dann löst sich ein Segment dieser Röhre aus der Verankerung, dreht sich, wahlweise mit der Leiche des Lovers Luigi, der irgendwann wie ein Gehenkter herabbaumelt. Oder mit dem gleißenden Kreuz, in dem sich Suor Angelicas Kind festkrallt, während man im Publikum vergeblich nach einer Sonnenbrille fingert. Ein Coup, ein grandioser Trick der Theatermaschinenkunst. Der einzige Knaller übrigens an diesem Abend: Wozu, so sagt die Regie ganz klug (und etwas im Widerspruch zur hausüblichen Praxis), mit Tand blenden, wenn uns doch die Menschen viel mehr zu interessieren haben?

Angespülte sind sie hier, Gefangene, teils verwahrlost, vor allem aber versehrt weniger an Leib als an Seele und Charakter. Existenzen in einer Situation, die sich Regisseurin Lotte de Beer und Bühnenbildner Bernhard Hammer als Zeittunnel denken. Eine trocken gelegte Kanalisation könnte es auch sein – bereit zum nächsten Wasserschwall, der alles und alle davonspült mitsamt der stummen, immer wiederkehrenden Sargträger. Wie in Giacomo Puccinis „Il trittico“ mit seinen drei Einaktern alles zusammenwachsen soll, was scheinbar nicht zusammengehört, das bleibt die härteste Nuss. Man kann mit Doppel- und Dreifachbesetzungen in den Hauptrollen arbeiten, wie es andere Häuser pflegen. Man kann aufs Mittelstück „Suor Angelica“ gleich ganz verzichten, wie es die Bayerische Staatsoper in den Achtzigerjahren tat. Oder man nimmt das Naheliegendste, das Modell Einheitsbühne wie in der aktuellen Premiere, die so heftig gefeiert wurde wie schon lange keine mehr.

Versehrte: Luigi (Yonghoon Lee, li.) und Michele (Wolfgang Koch).
Versehrte: Luigi (Yonghoon Lee, li.) und Michele (Wolfgang Koch). © Wilfried Hösl

Als Grundidee ist das hier im besten Fall schlüssig, manchmal auch nur akzeptabel, weil es nicht stört. Gleich am Anfang ist das so, bei „Il tabarro“, den Puccini über den italienischen Verismo hinaus in einen lakonischen, nihilistischen Realismo treibt, in dem sogar Autohupe und verstimmter Leierkasten ihr Partiturplätzchen haben. Lotte de Beer belässt es in der konventionellen Dreiergeschichte weitgehend beim Konventionellen. Alles vom Blatt, wie es sich gehört – und nur eine Frage offenlässt: Warum verliert dieser kreuzbrave Michele-Bär so die Fassung, dass er dem Nebenbuhler an die Gurgel geht? Weder die Regie noch Wolfgang Koch, der die Figur im kraftvollen Einheitsgrau verortet, finden darauf so recht eine Antwort.

Doch der ganze „Trittico“-Abend, nur durch eine Pause zwischen zweitem und drittem Stück unterbrochen, ist als Steigerung angelegt – und als große Studie über (Selbst-)Beherrschung und Abtötung, ob als Mord oder als Blockierung innerer Triebe. Viel stärker interessiert sich Lotte de Beer für eine Suor Angelica als für eine Giorgetta, die Eva-Maria Westbroek zuvor mit herber, schmuckloser Dramatik gestaltet. In der Klostertragödie gelingt de Beer das Kunststück: nicht nur eine fast individuelle Führung des Nonnen-Kollektivs, sondern auch das wahrhaftige, kitschfreie Charakterporträt der Titelheldin. Viele Glücksfälle kommen dabei zusammen. Eine Regisseurin, die eine von Anfang an suizidal Gefährdete, am Abgrund Strauchelnde, auch von untergründiger Aggression Durchdrungene ersinnt. Eine intensive Solistin wie Ermonela Jaho, die das vollkommen glaubwürdig spielt und ihre Angelica mit einer manchmal zartbitteren, manchmal ätherisch-feinen Lyrik gestaltet. Vor allem aber ein Dirigent, der mit jeder, wirklich jeder falschen Puccini-Tradition aufräumt.

Wie bei Barock und Wiener Klassik, als uns die Revolutionäre am Pult alles Mozärteln und Bach-Gehäcksel austrieben, verlangt ja Puccini nach Ähnlichem. Entfettung, Verschlankung, das ist es nicht allein, was Petrenko und dem fabulös spielenden Bayerischen Staatsorchester in dieser Premiere gelingt. Es ist ein zuweilen atemberaubender Blick in die Werkstatt eines Komponisten, der im „Trittico“ viel avantgardistischer war, als es die Kulinariker wahrhaben wollen. Petrenko und seine Musiker liefern in den drei so verschiedenen Partituren zwar Kolorit, zeigen aber zugleich, woraus es sich zusammensetzt. Nie ist das nur Grundierung oder Ausruhen auf Dankbarem. Der pochende Tonfall im „Tabarro“, das Sich-Umkreisen der Musik mit ihren unmerklichen Übergängen, die so delikate Schattierungskunst in „Suor Angelica“, die überscharfe, extrem virtuose Detailarbeit in „Gianni Schicchi“, all das gelingt phänomenal. Nicht nur das Wagner-, auch das Puccini-Orchester, das zeigt diese Interpretation, ist also „wissend“.

Angelica (Ermonela Jaho) und die Fürstin (Michaela Schuster).
Angelica (Ermonela Jaho) und die Fürstin (Michaela Schuster). © Wilfried Hösl

Das geht so weit, dass das Finalstück in die hypergrelle Fratze driftet. Puccini wagt hier noch mehr als Verdi mit seinem „Falstaff“: Er ironisiert sich selbst. Petrenko macht das hörbar. Und auch Lotte de Beer übersteigert „Gianni Schicchi“ zur hochtourigen, in Gestik und Gags heillos übertriebenen Karikaturen-Parade. Ganz folgerichtig, dass Laurettas „O mio babbino caro“ nicht als sülziges Intermezzo erklingt, sondern wie von Puccini gedacht: als Parodie einer Liebes-Arie. Rosa Feola singt das dementsprechend, lässt Doppelbödiges durchscheinen – und wird prompt von ein, zwei Wunschkonzertfans mit Buhs abgestraft. Alles richtig gemacht also.

Auch dieses Detail zeigt, wie punktgenau diese Produktion bis zur kleinsten Nebenrolle besetzt ist. Keine Stimmbesitzer begegnen uns, sondern Charakterformer. Vom raumfüllenden Naturkomiker Ambrogio Maestri (Gianni Schicchi), über den schmollmundig überdrehten Pavol Breslik (Rinuccio), die mit kühler Emphase singende Claudia Mahnke (La badessa) und den mächtig aufdrehenden Yonghoon Lee (Luigi) bis zu Michaela Schuster, die Angelicas Tante als monumentale Psychostudie kurz vor der Karikatur gibt. Welch ein verschwenderisch gutes Ensemble – das am Ende gemeinsam und wie zum Ringschluss eines einzigen großen Dramas den Tunnel bevölkert. Legendäre Abende hören sich genauso an.

Auch interessant

Kommentare