Welch' gutbürgerlicher Haushalt kennt das nicht: an den schmucken Tagen zur Feier der Besinnlichkeit und des Jahreswechsels, fernseh-medial von sketchgetragener oder seichter Leichtigkeit begleitet, wurde bei Speis und Trank wieder einmal reichlich zugeschlagen. Bis zum nächsten Mal langt es mit dieser Völlerei oder am besten in Zukunft gar kein ausschweifendes Gehenlassen mehr, und das ist eigentlich noch nicht einmal ein Vorsatz. Das müsste auch dem schon ordentlich beleibten Saufbold Falstaff dämmern, platzte er nicht vor genüsslich ausgearteter Selbstüberschätzung und fremdem Eigenbildnertum. Passend setzte die Opera Vlaanderen die also nicht umsonst publikumaffine Komödie Verdis dafür auf den Spielplan, für dessen Inszenierung nach dem Rosenkavalier, der Strauss'schen Reminiszenz an die Buffa-Maskerade, abermals Christoph Waltz verantwortlich war.

Auch Waltz hat Vor- und Ansätze, die er im Interview mit der New York Times vor der Premiere in Antwerpen preisgab: “I don’t think that I am the right person to voluptuously and elaborately decorate […] I am more the person, with my personality and my interest, to strip away anything that is unnecessary.” Eine gute Idee. Eigentlich. Denn wenn dem die buffoneske Komik zum Opfer fällt und das Reduzierte oder Essentielle nicht mit interessanten Clous aufwartet, geht jede noch so clever gemeinte Regieführung schnell schief. Dem erliegen selbst ausgezeichnete, gar Oscar-prämierte, kulturbeflissene Kinostars. Bezeichnend, wenn in diesem Falstaff die Verwandlung des Tisches, der durch einen schnellen Auszug vom wirtshäuslichen Gelageplatz zur merkwürdigen meterlangen Einlaufplanke ins Hause Ford wird, die größte Regung im Publikum hervorruft. Da lobt man sich doch so manche gelungene konzertante Aufführung.

Gemäß Waltz' Vorstellung ist das Bühnenbild von Dave Warren sehr spartanisch; ohne diese Möbel besteht es bis in den dritten Akt hinein aus einem grauen Vorhang, sonst nichts. Konzentriert werden soll sich auf die Darstellung der Solisten in Verbindung mit Verdis Musik, die in den entscheidenden, dramatischen Momenten „Impetus“ für die Handlung sein soll, was jedoch nicht besonders akzentuiert herauskam. Das Theatralische an sich ließ Waltz in Kontinuität zu seinem ersten Auftritt als Opernregisseur dezent und filigran ausdrücken. Und dieses minimalistische Schauspiel gelang neben Craig Colclough als widerlich verlotterter, versiffter Falstaff mit wachen Augen und elanvollem Gesicht, der mit kernigem, scharfem, inbrünstigem, manchmal ungepflegtem Bariton, bei dem ebenfalls das gewollte Schöne, einfältig bemühte Edle durchblitzte, vor allem Johannes Martin Kränzle und Iris Vermillion.

Wie Falstaff (fokussiert gezeichnet, verärgert und bedient nach der ersten, nassen Falle, um vom Wein besonnen in die zweite zu tappen) haben auch die beiden als Mr. Ford und Mrs. Quickley recht ausdrucksstarke Monologe. Kränzle besticht mit größtem stimmlichen und dramatischen Können, ständischer Haltung, Weichheit und Kraft, verständlicher Diktion, Betonung und Dynamik. In dieser Artikulation und Expressionsvarianz durchschritt er seine Stufen als Gespöttmitspieler, von Unbehagen in Falstaffs Gesellschaft befallen ebenso wie von Entsetzen und Aufbrausen, als er von der Annäherung Falstaffs an seine Frau (flink, sanft-gerissen, nicht ausladend Jacquelyn Wagner) und Nästhäckchen Nannettas Geheimliebelei mit Fenton (Anat Edri und Julien Behr resolut und leidenschaftlich) Wind bekommt sowie als versehentlicher Heiratsvater am Alles-egal-Ende. Vermillion bringt mit ihrem dunklen, galanten, greifenden Alt am meisten Farbe ins Spiel (abgesehen von den schlichten Kostümen Judith Holstes, die zwischen Mittelalter und Irgendetwas in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angesiedelt sind), mit dem sie als Briefbotschafterin und Aushecker-Grande-Dame reüssiert, die allzu gerne das Zepter in der List übernimmt und zumindest ein wenig Lust daran zum Vorschein bringen kann.

Fragte man sich vielleicht, warum die Pause ungewöhnlich unpassend mitten im dritten Akt eingeläutet wurde, lieferte das Bild des Orchesters auf der Bühne die Erklärung. Wunderte das Ankündigungs-Horn vom rechten ersten Rang schon (normalerweise auf der Bühne), posaunte es die Überraschung, als die Musiker zur Mitternachtsszenerie in einem stilisierten Geäst eines Baumes des Windsor-Parks hockten. Unbenommen des Seheindrucks, erzielte die Maßnahme den Effekt, dass das Symfonisch Orkest van Opera Vlaanderen unter der straffen, genauen, grundsoliden, aber nicht zu übereinstimmend aufsehenerregenden Leitung Tomáš Netopil eine bessere Balance als im nicht allzu tiefen Graben des Opernhauses aufwies, verdeckte es doch vormals sehr oft die Solisten. Schade, dass das Bild nicht zu noch mehr Lautmalerei anregte.

Obwohl dieser Einfall nicht völlig neu war, verfehlte er seine Wirkung hier nicht. Und tatsächlich schien sich im dunklen Treffpunkt der ganzen Gesellschaft (mit weißem Umhang als Elfengeister verkleidet) mehr Spannung zu entwickeln, als sie aus dem Orchestergraben auf das Bühnenvordere stieg, um den tierischen Wildling Falstaff ein weiteres Mal zu demütigen, auf ihn einzuschlagen. Doch er entkommt, in seiner Eigenart fast schelmisch, kämpferisch froh darüber, sodass Waltz ihm ein versöhnliches Ende einräumt. Darin, bis auf ihn nun alle einfach normalo-schwarz gekleidet, heißt es „Wer zuletzt lacht, lacht am besten“. Leider viel zu wenig, um in diesem ernsten Falstaff großes Unterhaltungskino zu erleben.

***11