Brigitte Fassbaender inszeniert Strauss-Oper „Capriccio“...

Gleich wird die Gräfin (Camilla Nylund) etwas Praktischeres anziehen und ihrem wartenden Haushofmeister (Gurgen Baveyan) in den Widerstand folgen.Foto: Monika Rittershaus  Foto: Monika Rittershaus
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Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, hat der Philosoph Theodor W. Adorno in einem berühmten Diktum 1949 formuliert. Dass 1942, während in...

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FRANKFURT. Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, sei barbarisch, hat der Philosoph Theodor W. Adorno in einem berühmten Diktum 1949 formuliert. Dass 1942, während in Auschwitz-Birkenau die Gaskammern in Betrieb gingen, eine Oper als „Konversationsstück“ über ästhetische Fragen geschrieben und uraufgeführt werden konnte, könnte man somit als Steigerungsform des Barbarischen lesen.

„Ein neues, gemütvolles Stöffchen“ war gesucht

Es gibt in der Werkgeschichte von „Capriccio“, der letzten Oper von Richard Strauss, noch mehr Schrecklichkeiten der Chronologie: Von Stefan Zweig hatte sich Strauss ursprünglich „ein neues gemütvolles Stöffchen“ gewünscht. Der jüdische Autor, von dem die Idee stammte, den historischen Streit um die Vorherrschaft von Musik oder Wort in der Oper zu thematisieren, nimmt sich im Februar 1942 in der brasilianischen Emigration das Leben. Am 28. Oktober dieses Kriegsjahres tappen die Besucher der Uraufführung dann mit Taschenlampen durch das verdunkelte München – und werden im Nationaltheater vom delikatesten Ausdruck instrumentaler Weltflucht empfangen: Ein Streichsextett eröffnet das Alterswerk des ehemaligen Präsidenten der Reichsmusikkammer mit einem sehr ungewöhnlichen Vorspiel.

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Vor diesem Hintergrund ist es gut nachvollziehbar, dass es Brigitte Fassbaender, der legendären Sängerin und erfahrenen Regisseurin des „Konversationsstücks“, „persönlich ganz unmöglich“ war, „die Handlung von Capriccio eins zu eins umzusetzen“. Aus dem Pariser Rokoko des Jahres 1775, in dem Strauss und der auch die Uraufführung dirigierende Hitler-Günstling Clemens Krauss als Mitautor die Handlung angesiedelt hatten, wird auf Frankfurts Opernbühne das besetzte Frankreich des Vichy-Regimes. Die lichte, gepflegte Idylle im gräflichen Wintergarten, zu dem sich die Bühne des Schlosstheaters öffnet, bekommt zunehmend Risse: Anfangs sieht man ein Kind mit Spielzeugpanzer. Der Knabe zeigt sich mit Hitlergruß als kleiner Kollaborateur und wird vom Haushofmeister tadelnd beiseitegenommen. Wenn der Theaterdirektor La Roche (Alfred Reiter) seine Vision vom „Untergang Karthagos“ entwirft, aktualisieren Kriegsprojektionen den historischen Exkurs.

Das alles bringt den Konversationston, der unter Sebastian Weigles Stabführung auf erwartbar hohem Niveau gepflegt wird, nicht aus dem Takt. Das am Ende des Einakters begeisternd applaudierende Premierenpublikum darf Wort und Ton in Frankfurt in ausgewogener Deutlichkeit und mustergültiger Transparenz genießen. Dass der Text stets verständlich bleibt, ist natürlich auch dem starken Ensemble zu verdanken. Tanja Ariane Baumgartner leiht der Schauspielerin Clairon ihre auch klar deklamierende Stimme, Gordon Bintner gibt dem Grafen das Fundament eines jovialen Herrenreiters. AJ Glueckert vertritt die Position des Komponisten Flamand mit tenoralem Nachdruck. Daniel Schmutzhard überzeugt als ebenfalls intensiv um die Gunst der Gräfin buhlender Dichter Olivier, während Camilla Nylund als grandiose Gräfin ihren Sopran in allerschönsten Strauss-Farben leuchten lässt. Am Ende, unentschieden entflammt zwischen Dicht- und Tonkunst, sucht die Gräfin nach einem Opernschluss, „der nicht trivial ist“.

Brigitte Fassbaender findet diesen Schluss nicht im Schwebezustand des Kunst-Diskurses, sondern in der Entscheidung der Gräfin für die Résistance. Das wird in Johannes Leiackers wunderbarem Wintergarten-Bühnenbild mit einer diskreten Deutlichkeit umgesetzt, in der vermeintlichen Harmlosigkeiten der Subtext eines Geheimcodes zuwächst. „Das Souper ist serviert“ signalisiert am Ende nicht das Essenfassen, sondern den Aufbruch einer Widerstandsgruppe, die ihre Waffen in Geigenkästen mitführt. Die Gräfin legt ihr Rokoko-Kostüm ab und lässt sich vom Haushofmeister (Gurgen Baveyan), der in der Organisation des Kampfes eine Schlüsselrolle zu spielen scheint, in einen unauffälligen Mantel helfen.

Dass sich das musiktheatralische Testament von Richard Strauss aus dem Kriegsjahr 1942 zum Widerstands-Stück mausert, mag ein bisschen viel der Ehre für Text und Autoren sein, steigert seine Genießbarkeit aber doch ganz erheblich.