Die „Carmen“-Premiere an der Deutschen Oper kämpft mit technischen Problemen. Eine Reportage.

Der Regisseur schwankt zwischen Verzweiflung und trotzigem Optimismus. Ole Anders Tandberg nippt in der Kantine der Deutschen Oper an seinem Glas und sagt: „Weihnachten wusste niemand, was passiert. Alles stand infrage.“ Dem freundlichen Gesicht hinter den schweren Brillengläsern sieht man kaum an, dass der Norweger in diesen Wochen einen Albtraum durchlebt.

Durch den Wasserschaden auf der Hauptbühne sind Schnürboden und Untermaschinerie stillgelegt. Das Inszenierungskonzept für die „Carmen“-Premiere am Sonnabend musste gründlich ­angepasst werden. Manches sind Kleinigkeiten. Die Toten werden nicht hinausgefahren, sondern getragen. Dass die Lichtdesignerin mit 30 statt mit 300 Scheinwerfern auskommen muss, wiegt schwerer, und das gilt auch für die eingeschränkten Verwandlungen: „Unser Bühnenbild ist wie visuelle Musik, es bewegt sich zu den Klängen. Auch die wechselnden Lichtstimmungen sind wie ein Teil der Partitur.“

Eigentlich möchte der Regisseur, der früher gern Musiker werden wollte, über das reden, was der Komponist Bizet eine „Operette mit tragischem Ende“ nannte. Und über Carmens gespenstische Seite: „Sie kann die Zukunft vorhersagen, und das macht sie zu einer Person mit unheimlichem Wissen. Carmen überschreitet die Grenze in eine andere, nicht menschliche Welt, in der nur ihr eigener Wille Gesetz ist.“ Vor zwei Jahren hat Tandberg sein Deutschland-Debüt mit Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ an der Deutschen Oper gegeben. Nun hat ihm das Haus die populäre „Carmen“ anvertraut. „Es ist eine Inszenierung, die die Chance hat, lange im Repertoire zu bleiben“, weiß er. „Da möchte man ein erstklassiges Ergebnis abliefern.“

Die Drehbühne braucht er dringend

Auf viele Änderungen hat sich der Norweger nach der Havarie mit der Sprinkleranlage eingelassen, doch es gibt auch Grenzen. Die Drehbühne braucht er dringend, aber sie funktioniert einfach nicht ohne die Untermaschinerie. „Sie haben da etwas gebaut, um das Bühnenbild drehen zu können“, erklärt Tandberg. „Heute Abend um 20 Uhr wird sich zeigen, ob es funktioniert.“ Es wird spannend, denn wenn sich das Bühnenbild nicht dreht, ist alles aus. Ein neues kann der Regisseur in der Kürze der Zeit nicht zaubern. „Es ist ein Kampf“, gibt Tandberg zu. Und irgendjemand trällert leichthin: „Auf in den Kampf, Torero“.

Klappern, bohren, hämmern. Auf der Hauptbühne, die vor drei Wochen komplett unter Wasser stand, herrscht Hochbetrieb. Da steht die Tribüne der Stierkampfarena, die sich unbedingt drehen muss. Unter den Bühnenbild-Segmenten mit den Stufen werden acht Motoren eingebaut, die sie fahrbar machen sollen. Der technische Direktor Uwe Arsand präsentiert nicht ohne Stolz die Erfindung seiner Abteilung: „Links sind schon vier Motoren eingebaut, rechts werden sie gerade fixiert. Wir verkabeln sie miteinander und stimmen sie elektronisch aufeinander ab, damit sie gleichzeitig fahren. In der Mitte haben wir einen Drehpunkt, an dem alles befestigt ist.“ Vereinfacht gesagt haben die Techniker ein Karussell gebaut. Innerhalb von einer Woche hat eine Firma für Veranstaltungstechnik die Einzelteile gekauft und alles zusammengesetzt.

Heiligabend klingelte bei Uwe Arsand das Telefon um zehn nach acht Uhr morgens. „Der Pförtner sagte: ‚Kommen Sie mal zur Bühne, hier regnet’s.‘“ Die mit der Brandschutzanlage verbundene Feuerwehr kam mit 40 Mann, vier Lösch- und zwei Führungsfahrzeugen, weil sie nicht wussten, ob sie Feuer oder Wasser bekämpfen mussten. Sie saugten den Großteil des Wassers ab, und schon um 14 Uhr war eine Firma gefunden, die Entlüfter, Entfeuchter und Trockner aufstellte.

Der Schaden ist immens, die Ursache immer noch nicht geklärt

Uwe Arsand ist es gewohnt, mit Wasser auf der Bühne umzugehen, etwa bei „Pelléas et Mélisande“, „dem „Fliegenden Holländer“ und „La Bohème“. „Aber nicht in den Mengen!“, sagt der technische Direktor. Inzwischen ist alles trocken, aber der Schaden ist immens und die Ursache noch immer nicht geklärt. Der Fußboden muss komplett ausgetauscht werden, Scheinwerfer werden neu gekauft.

Jeden Abend nach der Vorstellung wird alles von der Bühne geräumt, weil dann die Handwerksfirmen kommen. Sie arbeiten von 23 Uhr bis 8 Uhr früh. „Im Moment werden die elektrischen Anlagen, die Kommunikationsleitungen und die Tonanlage geprüft. Firmen reinigen die Ober- und die Untermaschinerie. Erst danach wissen wir, was dort wirklich defekt ist und können es instand setzen lassen“, erklärt Uwe Arsand. Wie lange das alles dauert, kann auch der technische Direktor nicht abschätzen. Man hangelt sich von Vorstellung zu Vorstellung.

Für „Cosí fan tutte“ haben die Techniker statt der großen weißen Rückwand, die aus dem Schnürbogen herabkam, eine kleinere weiße Wand auf Rollen gebaut. Mit dem motorisierten Bühnenbild für „Carmen“ beweisen die Techniker, was alles möglich ist. Sie bewegt sich, dreht sich, in beide Richtungen. Die Erleichterung ist groß. Die graue Tribüne der Stierkampfarena kann sich in einen Marktplatz oder eine Zigarettenfabrik verwandeln.

Inszenierung spielt mit den gängigen Klischees

Die Französin Clémentine Margaine, die an der Deutschen Oper ihr Rollendebüt als Carmen gegeben hat, ist inzwischen in aller Welt in der Traumrolle gefragt. Im roten Kleid mit Rüschen und Volants sitzt sie da und raucht eine Zigarre. Später trägt sie auch eine rote Rose im Mund. Die Inszenierung spielt mit den gängigen Klischees, hält aber auch Überraschungen bereit. Die Sängerin war bei ihren Eltern in Südfrankreich, als sie aus der Zeitung von der Havarie erfuhr. „Wir rechneten erst damit, dass die Oper für drei Monate schließen müsste. Aber dann wurde nach ein paar Tagen schon wieder gespielt, unglaublich!“, sagt die Mezzosopranistin.

„Chor in Position, bitte“, ruft Ole Anders Tandberg, und die Soldaten legen sich auf den Boden. Ist der Dirigent gut genug auf dem Monitor zu sehen? Das Stierkampf-Karussell wird von den spärlichen Scheinwerfern stimmungsvoll beleuchtet. „Vorsicht, Drehscheibe fährt“ ist die Ansage, die jetzt alle am liebsten hören. Es fühlt sich fast an wie eine ganz normale Klavierhauptprobe. „Wir müssen schneller arbeiten als sonst“, meint Clémentine Margaine. „Aber diese etwas surreale Situation schweißt uns alle nur enger zusammen.“