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Power aus allen Kanalrohren: Die "West Side Story" im Staatstheater

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Wem gehört die Straße? Die Jets sehen ihre Vorherrschaft bedroht, (von links) Timothy Roller (Action), Victor Rottier (Diesel), Tom Schimon (Riff), Manuel Dengler (Baby John) und Jan Rogler (Big Deal).
Wem gehört die Straße? Die Jets sehen ihre Vorherrschaft bedroht, (von links) Timothy Roller (Action), Victor Rottier (Diesel), Tom Schimon (Riff), Manuel Dengler (Baby John) und Jan Rogler (Big Deal). © Klinger

Kassel. Wie herausgespült aus riesigen Kanalrohren schlagen sie auf der Bühne auf. Zuerst die Jets. Ihre Farbe ist blau. Sie versuchen, auf die Beine zu kommen. Dann wird ein Roter herausgeschleudert, bald sind es viele – die Sharks. Und es ist klar: Diese von der Gesellschaft Ausgespuckten werden kämpfen.

Mit dieser starken Szene beginnt die Neuinszenierung der "West Side Story" am Kasseler Staatstheater. Regisseur Philipp Rosendahl holt das 1957 uraufgeführte Musiktheater von Leonard Bernstein, Arthur Laurents und Stephen Sondheim – ob man es Musical nennt oder nicht, ist nicht entscheidend – geschickt in die Gegenwart.

Gerade weil Rosendahl die rivalisierenden Gangs nicht platt aktualisierend bestimmten ethnischen Gruppen zuordnet, zeigt sich das Stück in seiner Zeitlosigkeit, aber auch universellen Aktualität. Die englische Sprache und der Slang der aus Puerto Rico zugewanderten Sharks verbinden es zugleich mit dem Original-Schauplatz New York.

Eindrucksvolle Bühne

Dass wir uns allerdings im Theater und nicht in der Gosse befinden, daran lässt der toll choreografierte Kampf der Jets und der Sharks keinen Zweifel aufkommen. Grandios, wie Gastchoreograf Volker Michl und Regisseur Rosendahl den Tanz als Handlungselement einsetzen. Und wie sie Daniel Roskamps eindrucksvolle bewegliche Bühne nutzen: Zwei große Elemente zeigen vorn die Trostlosigkeit des Kanalsystems (gleichzeitig Raum für akrobatische Aktionen), während sich auf der Rückseite Docs Bar und ein Brautladen als Rückzugsorte der Jets und Sharks befinden.

Unspektakulär, und gerade deshalb intensiv beginnt die Romeo-und-Julia-Handlung: Tony (Daniel Jenz) und Maria (Anna Nesyba) sind im Diskokugel-Geflitter der Tanzparty zunächst kaum auszumachen. Doch sie erkennen sich. Die Jets und Sharks erstarren, und die Zeit scheint stehen zu bleiben für zwei, die von der Liebe wie vom Blitz getroffen sind.

Es gibt einige große Momente in dieser Inszenierung, so wenn Anybody (Tina Haas) im Gegenlicht mit ungeschützter Stimme das "Somewhere" anstimmt, den Song, der einen Ort frei von Kummer und Gewalt beschwört. Eine Videoeinspielung, in der die Akteure die Farbe ihrer Gang aus dem Haar spülen und eins werden, gehört ebenso dazu. Und die tödlich endende Kampfszene wird völlig unpathetisch als das gezeigt, was sie ist: ein Drama, das keiner wollte.

Doch die "West Side Story" ist auch Komödie – Dieter Hönig vereint als Doc Komik und Trauer und zeigt als Tanzmeister Glad Hand im schrillen Stars-and-stripes-Outfit (Kostüme: Brigitte Schima) eine Glanznummer. Richtig ab geht es bei "America", wenn Anita (Anna Thorén) und die puertoricanischen Girls New York gegen San Juan ausspielen. Für den Action-Song der Sharks "Gee, Officer Krupke", dem sehr aktuell wirkenden Spottlied auf die soziale Situation der Jugendlichen, gab’s sogar jubelnden Szenenapplaus.

Ein tolles Paar

Mit großer Intensität, aber ohne zu überzeichnen, und mit Gesang, der zu Herzen geht, verkörpert Daniel Jenz den Tony – nicht nur beim Megahit "Maria".

Moment des Glücks: Tony (Daniel Jenz) und Maria (Anna Nesyba) haben sich gefunden.
Moment des Glücks: Tony (Daniel Jenz) und Maria (Anna Nesyba) haben sich gefunden. © -

Anna Nesyba bezaubert als stimmlich wunderbare, dazu mit großer Natürlichkeit agierende Maria. Neben diesem tollen Paar aus Opernstimmen behaupten sich die von Musicaldarstellern und Mitgliedern des Tanzensembles verkörperten Gang-Mitglieder bestens, allen voran Tom Schimon als Riff, Rupert Markthaler als Bernardo und ganz besonders Anna Thorén als Anita. Auch Bernhard Modes als rassistischer Officer Krupke beeindruckt mit seiner Bühnenpräsenz.

Leonard Bernsteins komplexe Musik mit Tänzen von Mambo bis Cha-Cha ist beim Dirigenten Alexander Hannemann und dem präsenten Staatsorchester, aber auch beim Sounddesigner Heiko Schnurpel in guten Händen – auch wenn bei Hits wie "Tonight" noch etwas mehr geschwelgt werden dürfte. Am Ende gab’s lauten Jubel und ausgiebige Standing Ovations.

Wieder am 27. und 28.1. sowie am 11.,16. und 18.2. Karten: Tel. 0561 / 1094-222

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