Draußen tobt der Sturm. »Ihr selbst bestimmt das Schicksal«, ruft Herzogin Hélène die Sizilianer zum Widerstand gegen die Franzosen auf. Blitze und Gewitter kündigen die unaufhaltsame Katastrophe schon zu Beginn des Opernabends an. Mit Giuseppe Verdis Werk »Die sizilianische Vesper« bringt das Mainfranken-Theater Würzburg erneut eine Grand Opéra auf die Bühne.
Der US-amerikanische Regisseur Matthew Ferraro siedelt die blutigen Ereignisse des späten 13. Jahrhunderts um in die Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg und erzählt sie, wie er selbst sagt, als einen großen Abenteuerroman. Er zeichnet starke Charaktere und lässt das Publikum mitfiebern. Das jubelt am Ende nicht nur den Sängern und dem Philharmonischen Orchester Würzburg unter Generalmusikdirektor Enrica Calesso zu. Sondern es belohnt - völlig zurecht - auch das Regieteam mit Bravorufen.
Brief einer Toten
Ferraro hat sich wohl sehr bewusst dagegen entschieden, seinen »Abenteuerroman« in der Gegenwart zu erzählen. Das ist gut so, weil man sich doch schwertut mit jenem allzu patriotischen Denken mancher Opernepen des 19. Jahrhunderts. Zumal das Libretto von Eugène Scribe und Charles Duveyrier bietet, was es für ein spannendes Abenteuer braucht: Revolution und Attentatsversuche, eine Hinrichtung mit Begnadigung kurz vor knapp, der Brief einer Toten, ein verschollener Sohn, ein privater Rachefeldzug, ein Verliebter, der alles täte für eine mit allen Wassern gewaschene Frau. Und schließlich die große Katastrophe.
Nicht nur die Erzählung selbst, auch manche Szenen im Detail - etwa die Verschwörungsszene am Boxring-Rande - erinnern eher an Film denn an Theater. Bewusst arbeitet Ferraro immer wieder mit dessen Mitteln: Während die Verschwörer sprechen, läuft der Boxkampf in Zeitlupe weiter. Blende auf den Kampf in Echtzeit, Blende zurück zu den Verschwörern.
Gleichzeitig bietet das Jahr 1914 Ferraro, der selbst auch fürs Bühnenbild verantwortlich zeichnet, die Möglichkeit zur wunderbaren Kulisse: ein altes Filmtheater, die verwinkelten Gassen Palermos, die Verschwörer im maroden Gewölbe, besagter Boxring. Charmant sind vor allem auch die vielen, vielen optischen Details: das alte Telefon im Holzschränkchen, die Grabsteine an der Hauswand, die reich gedeckte Hochzeitstafel, der aufbrausende Sturm, unheilschwangerer Nebel, drohende Blitze. Gleiches gilt für Carola Volles Kostüme. Sie entführt das Publikum mit Kleidern wie Frisuren ins Jahr 1914, ergänzt um dezenten sizilianischen Lokalkolorit.
Markante Akzente
Natürlich lässt es sich der gebürtige Italiener Enrico Calesso nicht nehmen, bei einem Verdi-Werk selbst im Orchestergraben zu stehen. Anfangs erstaunt es, dass der Generalmusikdirektor das Philharmonische Orchester Würzburg eher zurückhaltend in die Ouvertüre starten lässt. Er setzt dann aber schnell markante Akzente - und lässt intensiv spüren, was »Die Sizilianische Vesper« charakterisiert: Das laute, dramatische Massaker ist Rahmenhandlung, eigentlich aber geht es um zwischenmenschliche Dramen, um die komplette leise wie laute Gefühlspalette.
Natürlich kommen sie in Verdis Auseinandersetzung mit der Gattung der historischen Oper vor: die großen Massenszenen. Choreinstudierer Anton Tremmel hat mit dem hauseigenen Opernchor gute Arbeit geleistet, sorgt mit aufbrandendem Klangrausch und volltönendem Fortissimo für Gänsehaut, wenn die Sizilianer ihr »Edles Vaterland« besingen. Eine nette Idee: Am Ende schlüpft Tremmel auch schauspielernd auf der Bühne in die Rolle des Dirigenten.
Aber eigentlich folgt »Die Sizilianische Vesper« einer anderen Stoßrichtung. Es geht Verdi um die Psychologie seiner Charaktere. So erzählen die Protagonisten in Arien von ihren Gefühlen und suchen in Duetten die direkte Auseinandersetzung mit den Akteuren. Entsprechend starke Sänger braucht es - und Operndirektor Berthold Warnecke hat sich für einen risikoarmen Weg entschieden: Er holt - wie schon im Vorjahr bei den »Hugenotten« - Sopranistin Claudia Sorokina als Herzogin Hélène und Tenor Uwe Stickert als den jungen Sizilianer Henri nach Würzburg.
Sorokina bewegt sich mit souveräner Sicherheit durch die Partien, beeindruckt aber vor allem auch durch ihre schauspielerischen Qualitäten. Hélène hat die Verschwörungsfäden in der Hand und weiß ihr Umfeld mit allen Kniffen für ihre Zwecke zu manipulieren. Und falls Blicke töten können, weiß Sorokina als Hélène zweifelsohne wie. Manche Partien singt sie erstaunlich hart, das fällt gerade in den Höhen auf. Zu ihrer Interpretation der Hélène aber passt dies.
Uwe Stickert gibt als Henri sein Verdi-Debüt. Der lyrische Tenor kann Pianissimo, versteht es, gesanglich zu strahlen. Doch würde man sich von ihm mehr Bühnenagitation, mehr schauspielerische Emotion wünschen. An Sorokinas Seite wirkt er recht blass.
Gesangliche Wucht
Für vielleicht den bewegendsten Moment des Abends sorgt ein anderer: Federico Longhi als Guy de Montfort, Gouverneur von Sizilien. Der ist eine gesangliche Wucht. Auf sein Klagelied um den verlorenen Sohn folgen im Publikum Bravorufe. Und was ferner besonders freut: Der junge Bass Igor Tsarkov, neues Ensemblemitglied des Mainfranken-Theaters, kann mit den Gastsängern ohne Frage mithalten.
Die »Sizilianische Vesper« als doch eher unbekannte Bühnenarbeit des Opernkönigs Verdi, uraufgeführt im Juni 1855 in Paris, reicht in ihrer Opulenz vielleicht nicht an Giacomo Meyerbeers »Hugenotten« der vorigen Spielzeit heran. Aber sie besticht durch die detailreiche Ausarbeitung - schon einst kompositorisch wie auch jetzt als Regiearbeit von Matthew Ferraro. Man kann davon ausgehen, dass das Mainfranken-Theater mit seinem Mut zur großen Oper erneut für Aufsehen über die Stadtgrenzen hinaus sorgen wird.
b»Die sizilianische Vesper«: am Mainfranken-Theater Würzburg, Theaterstraße 21, Dauer: 200 Minuten (mit Pause); nächste Vorstellungen: 24. Januar, 7. und 9. Februar, 2., 13. und 24. März, 19. April, 9. und 28. Juni, 7. und 27. Juli (je 19.30 Uhr); 8. April, 24. Juni (je 15 Uhr); 30 Minuten vor Vorstellungsbeginn jeweils Einführung in die Oper im Oberen Foyer
Michaela Schneider