„La clemenza di Tito“ überzeugt in Mainz eher musikalisch...

Die Macht ist angeknackst beziehungsweise angekokelt: Steven Ebel als Tito am Rednerpult mit Stephan Bootz als Publio.Foto: Andreas Etter  Foto: Andreas Etter
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Basteln mit Mozart hat gerade im Fall seiner letzten Oper, „La clemenza di Tito“, eine gewisse Tradition. Zuletzt haben der designierte SWR-Chefdirigent Teodor Currentzis...

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MAINZ. Basteln mit Mozart hat gerade im Fall seiner letzten Oper, „La clemenza di Tito“, eine gewisse Tradition. Zuletzt haben der designierte SWR-Chefdirigent Teodor Currentzis und Peter Sellars 2017 bei den Salzburger Festspielen in die Werkstruktur eingegriffen und den „Titus“ um allerlei Trauermusiken erweitert. Während diese noch aus Mozarts Feder stammten, setzen Samuel Hogarth und Katrin Sedlbauer nun am Staatstheater Mainz auf einen Fremdkörper, der die dramatische Entwicklung brutal abblockt und eine politisch-historische Relevanz behauptet, die vom Rest der Inszenierung kaum beglaubigt wird: Während Sesto, der beste Freund des Kaisers Titus, als verliebter, von Vitellia angestifteter Verräter mit seinen Gewissensbissen kämpft, betritt der Chor die Bühne und intoniert das italienische Partisanenlied „Bella ciao“.

Partisanenlied aus dem italienischen Widerstand

In seiner Originalversion übt das Lied Machtkritik, indem es von der Ausbeutung auf den Reisfeldern erzählt. Ob es nun Sesto, der ja eher erotisch motiviert ist und bei der machtgeilen Vitellia punkten will, nun politisch sensibilisieren soll? Klar ist: Im Opern-Rom laufen die Fäden zusammen. Titus ist sozusagen Vorgänger Mussolinis, und die Gnade des am Ende verzeihenden Kaisers in Mozarts Versöhnungsoper ist nur die Kehrseite, die Schokoladenseite seines absoluten Machtanspruchs.

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Von diesem hätte man auf der Bühne aber dann doch gerne noch mehr gesehen als die handelsüblichen Klischees von Anzugträgern, die in einer Art multifunktionaler Messehallen-Architektur (Bühne: Stefan Heyne) mit Kaffeetassen konferieren und mal wieder auf Damen in glänzenden Abendkleidern treffen (Kostüme: Kirsten Dephoff). Im Finale scheint der Bürokaiser erstaunt darüber zu sein, dass an seinen Händen Blut klebt, während sich die frisch angetraute Vitellia offenbar so tödlich mit dem Brautschleier verheddert wie der mythische Laokoon mit der Schlange. Anzüge haben freilich den unbestreitbaren Vorteil, dass man ihre Jacken an- und ausziehen kann, was zwecks Belebung der Bühnenaktion in Mainz weidlich genutzt wird. Sesto müsste in Jacke wie Hose allerdings erst hineinwachsen: Schlabber-Schnitt und aufgemalter Backenbart machen Geneviève King in der Hosenrolle dieses Verräters aus Liebe zu einer chaplinesken Witzfigur.

Virtuoses aus dem Orchestergraben

Es ist also an der Musik, Klischees zu durchbrechen und den Figuren eine Statur zu geben, die Katrin Sedlbauers Regie ihnen versagt oder nur ahnen lässt. Der Dirigent Samuel Hogarth kommt da am Pult des Philharmonischen Staatsorchesters (und am Hammerflügel) erfreulich weit. Nicht im Sinne der schon die Ouvertüre grotesk verzerrenden Subjektivität des Musikextremisten Currentzis, sondern auf der Basis einer historisch informierten Belebung, die vom Orchester nicht nur in herausragenden Soli wie der atemberaubend virtuosen Klarinettenbegleitung von Sestos großer Arie „Parto, parto“ überzeugend getragen wird. Unbedingt hörenswert sind auch die Sängerdarsteller, selbst wenn Leidenschaft bisweilen mit Lautstärke verwechselt wird und auch die Partie des Sesto feinere dynamische Differenzierung vertragen hätte. Als Tragödin, die großes Format mit erstaunlicher Beweglichkeit verbindet, lässt Nadja Stefanoffs hoheitsvoll-intrigante Vitellia aufhorchen, während Steven Ebels Tito die „Clemenza“, die Milde des Titels, schon im schönen, weichen Timbre seines Tenors trägt. Zu den jungen, vielversprechenden Stimmen des Ensembles, das am Ende vom Premierenpublikum ausdauernd herzlich gefeiert wird, gehören Alexandra Samouilidou als brillante Servilia und Vero Miller als deren Geliebter Annio. Die eher finstere Seite der Macht personifiziert der Bass Stephan Bootz nicht zuletzt mit angemessen grimmigem Gesichtsausdruck als Publio, Chef der Prätorianergarde.

Dass ein Trio kleiner, leitmotivisch auftretender Nachwuchs-Fechter im weißen Habit schon in der Ouvertüre die römischen Machtspiele als freundschaftlich-konfliktuöses Kinderspiel vorführt, das tödlich enden kann, gehört zu den eher netten Ideen einer ziemlich blass bleibenden Inszenierung.