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Der römische Kaiser lässt großzügig Gnade walten

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Die junge Regisseurin Katrin Sedlbauer erzeugt in Mozarts leicht angestaubter Seria „La clemenza di Tito“ einen mitreißenden Sog, der forensische Detailgenauigkeit vorangeht.

Welche Opfer darf ein Liebender bringen, wie manipulativ kann Gnade sein? Und überhaupt: Wer ist Haupttäter in diesem letzten Werk des Musikgenies aus Salzburg? Mozart, der knapp drei Monate nach der Prager Uraufführung des „Tito“ 1791 starb, schrieb seine „wahre Oper“, wie er sie nannte, in einer politischen Umbruchszeit. Die alte Welt des Absolutismus zerbrach. Doch Mozarts Auftraggeber war der österreichische Kurzzeit-Kaiser Leopold II., der seiner Schwester Marie-Antoinette nahestand. Und so stattete Mozart den römischen Kaiser Titus Vespasianus mit unendlicher Güte, Stärke und Gnade aus, obwohl dessen bester Freund Sesto ein Attentat auf ihn ausführt und das Kapitol in Schutt und Asche legt. Lange galt die Oper als trocken, hölzern und schlichten Schwarz-Weiß-Mustern verhaftet, doch Katrin Sedlbauers Regie zeigt exemplarisch auf, warum man das Werk unbedingt spielen sollte.

Von Motten zerfressen

Sedlbauer verlegt die Handlung in die heutigen gläsernen Vorstandsetagen der Macht und steckt Tito samt Entourage in Jackett, Schlips und Businesshosen. Die später ermordete Kapitolsmenge trägt einfache bürgerliche Kluft, und die machtversessene, rachsüchtige Vitellia einen bodenlangen Goldrock, der bereits von Motten zerfressen ist. Auf der kühlen Glasbühne Stefan Heynes spiegelt sich dieses absolutistische Überbleibsel ebenso glutwarm, wie das von ihr angestiftete Kapitolsfeuer hinter milchigen Wänden bedrohlich flackert. Bereits in der schmissigen Ouvertüre bedenkt Sedlbauer Tito und Sesto mit einer Vorgeschichte: Sie zeigt zwei Kinderfreunde, die sich im Fechtkampf üben, und deutet an, wie Titus ein Mädchen (ist es Vitellia?) schwer verletzt. Dass am Ende der Kaiser seinem Freund Sesto verzeihen kann, dass Vitellia offen zugibt, den Aufstand gegen Tito angezettelt zu haben, und Sesto an dem Zwiespalt zwischen Freundestreue und Liebe zu Vitellia fast zugrunde geht, findet hier ihren Anfang. Ein Herrscher, der sich daran erinnert, einst selbst Schuld auf sich geladen zu haben, kann eher verzeihen – so die Lesart.

Auch das musikalische Niveau in Mainz ist hoch und besonders das weibliche Quartett eine echte Wucht. Geneviève King ist ein leidenschaftlicher Sesto, die mit ihrem warmen Mezzo viel Seele mitbringt für die in sich zerklüfteten Rondo-Arien und viel Gestaltungsspielraum für die Momente, in der sie aus reiner Liebe genau den Freund zerstören muss, den sie einst liebte. Nadja Stefanoff ist eine Vitellia mit voluminöser Höhe und wütendem Koloraturstrahlen, der man ihre Wandlung vom Rachebiest zum emphatischen Wesen tatsächlich abnimmt.

Chorischer Schlussjubel

Alexandra Samouilidou ist eine unschuldig reine Servilia, Vero Miller (als Einzige nicht zum Ensemble gehörend) ein ausdrucksstarker Annio. Aus dem Orchestergraben dringt dazu ein federnder, passionierter Mozart, den Samuel Hogarth bis in Klarinetten- und Bassetthorn-Soli meisterhaft evoziert.

Allein Steven Ebel hat in der Titelpartie Anlaufschwierigkeiten, befreit sich aber in seiner Arie „Se all’impero“ nicht nur von Schlips und Schuhen, sondern auch von allen Hemmungen. Seine großzügige Gnade gegenüber dem Freund löst allerdings nicht nur Freude, sondern auch Bitterkeit aus. Denn die vielen Toten, die in Plastikplanen anklagend herumliegen, kann man die so einfach verzeihen? Was sagen die Angehörigen dazu, was die römischen Gesetze? Vielleicht gelingt Tito das „Schwamm drüber“ leichter, weil die Ermordeten nicht zu seiner Elite gehören? Mitten im chorischen Schlussjubel schaut Tito auf seine Hand. An ihr klebt Blut. Das Publikum reagiert begeistert.

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