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Donizettis „Lucia di Lammermoor“ nach 30 Jahren wieder am Theater Bremen

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Vor und im Wald baut Lucia (Nerita Pokvytyté) ihre Wahnwelt auf. - Foto: Landsberg
Vor und im Wald baut Lucia (Nerita Pokvytyté) ihre Wahnwelt auf. © Landsberg

Bremen - Von Ute Schalz-Laurenze. Seit 30 Jahren gab es Gaetano Donizettis „Lucia di Lammermoor“ (1835) nicht mehr am Theater Bremen. Dabei ist das „Dramma tragico“ die berühmteste „Bel Canto“-Oper überhaupt und gehört damit also irgendwie in jeden ambitionierten Spielplan. Das geht aber nur, wenn man die drei Hauptrollen auch wirklich besetzen kann, wie es jetzt in Bremen fabelhaft gelungen ist. Mit Nerita Pokvytyté als Lucia, Birger Radde als Enrico und Hyojong Kim als Edgardo singen im Ensemble herausragende Bel Canto-Stimmen. Bel Canto: Die italienische Gesangstechnik, die heute wieder das A und O der Gesangskunst ist, verlangt, dass die Seele auf dem Ton liegt.

Hans Heinz Stuckenschmidt hat einmal gesagt: „In Gesangsopern wie der Lucia hat der Regisseur keine große Aufgabe, aber auch keinen leichten Stand“. Paul Georg Dittrich, der nach zwei sehr klugen Inszenierungen von Bergs „Wozzeck“ und Berlioz’ „Damnation de Faust“ nun zum dritten Mal am Theater Bremen arbeitete, transportiert die Schauergeschichte aus dem 16. Jahrhundert weg von einer wirklichen Historie in Fantasiewelten, die die Frage nach der wahren Liebe erneut zu stellen vermögen.

Gegensätzliche Fanatsiewelten

Unter dem nicht aushaltbaren Druck des Bruders soll Lucia einen einflussreichen Mann heiraten, was die Familie vor dem politischen und finanziellen Ruin bewahren kann. Lucia, längst verliebt und heimlich dem Erzfeind der Familie Edgardo versprochen, ermordet den Bräutigam in der Hochzeitsnacht, verfällt dem Wahnsinn und stirbt. Edgardo folgt ihr.

Dittrich konstruiert diese zwei Welten als gegensätzliche Fantasiewelten. Futuristisch, maschinell, geisterhaft ist Lucias Herkunft: Menschen sind das nicht, die Gestalten, die hier leben. Alle sind gegen alle und besonders einer macht zweifelhafte Karriere: Der Geistliche Raimondo, der nach dem Tod aller zu einer Art Guru mutiert. Lucias Gegenwelt spielt im beschützenden Wald, in und vor dem Lucia ihre Wahnwelt aufbaut (Bühne und Kostüme von Pia Dederichs und Lena Schmid).

Im zweiten Teil hängen alle an Marionettenfäden

Da gibt es schöne Bilder: die (stumme) Existenz von Lucias Eltern, die Existenz von Lucia und Edgardo als Kindern. Der ungeliebte Bräutigam kommt im Goldmantel aus der Luft gefahren und nimmt Lucia mit. Wenn sie nach dem Mord wieder herunterkommt, hat sie schon den Glasharmonikaspieler bei sich, der ihre anschließende Wahnsinnsarie begleitet. Ein Duett Lucias und Enricos singt Enrico aus dem zweiten Rang, was seine „Argumente“ in Lucias Wahrnehmung als Fantasie ausweist. Im zweiten Teil des Stücks hängen alle an Marionettenfäden, auch Edgardo.

Insgesamt lässt Dittrich den Anforderungen des aberwitzig schönen Gesanges allen Raum – wären da nicht die Videos, die sich derartig in die Szene drängeln, dass sie als schwer erträglicher Widerspruch zum Sinn der Musik daherkommen. Am schlimmsten ist dies in Lucias Wahnsinnsarie. Es werden Striche und böse Masken gekritzelt, nicht nur im Hintergrund, sondern sogar über die Gesichter. Dabei hatte gerade diese Szene eine einzigartige, bestechend schöne Voraussetzung: Lucia allein mit der ihre Seele darstellenden Glasharmonika, deren Part sonst meist von einer Flöte realisiert wird.

Begeisterter Applaus

Nerita Pokvytyté bietet eine wunderbare selbstbewusste Lucia, die mit ihrem Gang in den Wahnsinn über ihr Leben entscheidet und unvergesslich singt: Schwer genug gegen die immer noch präsente Leistung der Maria Callas, die mit mehreren Aufnahmen diese Oper wiederentdeckte. Auch Birger Radde als Enrico versteht es, seinen mitreißenden Gesang in den Dienst der von ihm verkörperten kaputt-wütenden Persönlichkeit zu stellen. Hyojong Kim, der ganz allein den dritten Akt beherrscht, begeistert als Edgardo und Christoph Heinrich als schleimiger Raimondo versieht seine ambivalente Rolle mit vielfältigen Zwischentönen. Louis Olivares Sandoval glänzt wie sein Goldmantel.

Dass die Musik einen so mitreißenden und überzeugenden Eindruck hinterlässt, dafür ist auch maßgeblich der Dirigent Olof Boman mit den Bremer Philharmonikern verantwortlich. Boman, Barockspezialist und Bel Canto-„Fan“, bringt nach „Maria Starda“ zum zweiten Mal ein Donizetti-Feuer ohnegleichen. Begeisterter Applaus mit einigen Buhs für die Regie.

Weitere Termine: Sonntag und Sonntag, 11. Februar, jeweils 19.30 Uhr.

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