Premiere in der Oper Ungeordnete Herzen

Bonn · Brillantes Verwirrspiel: Regisseur Aron Stiehl inszeniert Wolfgang Amadeus Mozarts „Hochzeit des Figaro“ im Bonner Opernhaus

 Die Situation eskaliert: Graf Almaviva (Giorgos Kanaris) nähert sich der Gräfin (Anna Princeva) mit unlauteren Vorsätzen, Susanna (Sumi Hwang) versteckt sich. Szene aus dem Bonner „Figaro“. FOTO: BEU

Die Situation eskaliert: Graf Almaviva (Giorgos Kanaris) nähert sich der Gräfin (Anna Princeva) mit unlauteren Vorsätzen, Susanna (Sumi Hwang) versteckt sich. Szene aus dem Bonner „Figaro“. FOTO: BEU

Foto: Beu

Mozarts „Die Hochzeit des Figaro“ gehört zu jenen raren Opern der Musikgeschichte, die man gemeinhin als Chefsache betrachtet, zu den Werken also, die sich ein Generalmusikdirektor in der Regel nicht entgehen lässt. Dirk Kaftan macht da in Bonn keine Ausnahme – und seine Interpretation dieses leichten Schwergewichts der Opernliteratur gehört gewiss zu den musikalisch aufregendsten Stunden, die man seit langer Zeit im Bonner Opernhaus und vom blendend aufgelegten Beethoven Orchester erlebt hat.

Mit der Ouvertüre gibt Kaftan den Tonfall des ganzen Abends vor: akzentuiert und handfest natürlich, frisch und federnd, dabei von äußerster Behutsamkeit, auch den feinsten Stimmungsschwankungen und Gefühlsveränderungen immer auf der Spur. Die Tempowahl ist in allen Szenen traumwandlerisch sicher, sie erfasst und deutet auf schönste Art, was in den Figuren dieses Opern-Verwirrspiels vor sich geht, nicht zuletzt die Pausen, die der Dirigent setzt, könnten bedeutungsvoller kaum sein. Kurzum: Hier ist ein musikalischer Erzähler am Werk.

Da trifft es sich gut, dass mit Aron Stiehl in Bonn ein weiterer Geschichtenerzähler für den „Figaro“ zuständig ist. Der Regisseur widersteht der Versuchung, aus der Vorlage ein sozialrevolutionäres Drama um das Recht der ersten Nacht zu machen, er konzentriert sich auf ein bittersüßes, turbulentes Beziehungsdurcheinander, in das eine ganze Menge Personen verwickelt sind. Die Geschichte ist ebenso einfach wie verzwickt: Der Kammerdiener Figaro und die Zofe Susanna wollen heiraten, der liebestolle Graf Almaviva möchte sich das hübsche Mädchen vorweg sichern, drumherum gibt’s ungeordnete Herzen en masse, was zu einem immerwährenden Spiel der Vertauschungen und Verkleidungen, der Verstellungen und Verwirrungen führt.

Für diesen atemlosen erotischen Reigen haben die Ausstatter Timo Dentler und Okarina Peter eine durchaus restaurierungsbedürftige herrschaftliche Villa auf die Drehbühne gestellt, die sehr trickreich Weite vorspielt und das Geschehen zugleich auf ein Kammerspiel zuspitzt. Das Ganze spielt zu einer Zeit, als das Dampfbad zur privaten Luxus-Austattung gehörte, zum Telefonieren noch die Drehscheibe betätigt werden musste und geheime Liebesbotschaften auf der Schreibmaschine getippt wurden.

Schlaues Spiel um die Nöte des Herzens

In diesem Ambiente entfaltet Stiehl eine Burleske über die Höhen und Tiefen des Liebeslebens, entwickelt ein temporeiches und schlaues Spiel um die Nöte des Herzens. Der Regisseur, so verrät es diese Inszenierung, mag seine Figuren, auch in ihren Schwächen – und er ist ein Meister der kleinen Gesten. Ein gezielter Augenaufschlag oder eine Hand im falschen Moment an der richtigen Stelle verraten da eine ganze Menge. Man nimmt es hin, dass Stiehl, permanent einfallsreich, manchmal ein bisschen arg heftig die Komödienschraube bis zum Klamauk überdreht und speziell das Hauspersonal ziemlich tölpelig daherkommen lässt, denn in den entscheidenden Momenten tritt Stille ein, schimmert Melancholie auf. Die Liebe ist kein einfaches Spiel.

Mozarts „Figaro“ ist ein Ensemble-Werk par excellence – Bonn erfüllt diesen Anspruch perfekt (und hat ganz nebenbei noch einen prächtigen, von Marco Medved einstudierten Opernchor). Auch kleinere Rollen (Susanne Blattert, Christian Georg, Boris Beletskiy, Marie Heeschen und Martin Tzonev mit einer formidablen Rache-Arie) haben hier musikalisches Gewicht. Giorgos Kanaris, als Graf Almaviva im schicken Morgenmantel ebenso überzeugend wie im sparsamen Badehandtuch, kann seiner noblen und eleganten Stimme durchaus Akzente von aggressiver Verführungskraft beimischen.

Seine Gräfin ist in der Ehekrise bei reichlich Alkohol und Zigaretten gelandet, Anna Princeva stattet die Partie nicht nur mit einem leuchtenden, aufblühenden Sopran aus, sondern auch mit wunderschönen Episoden der Empfindsamkeit und Schwermut. Als ständig verliebter Cherubino vermittelt Kathrin Leidig Leichtigkeit, Klarheit und Frische. Für den Figaro hat man sich aus Graz, der früheren musikalischen Heimat von Dirk Kaftan, Wilfried Zelinka geholt, einen spielfreudigen Bassbariton, der nicht zuletzt seine Rezitative zu kleinen Kunstwerken macht. Zur gewitzten Hammerklavier-Begleitung (Julia Strelchenko) parliert er mit einer Lockerheit und Beredsamkeit, die großes Vergnügen macht. Und schließlich Sumi Hwang als Zofe Susanna: eine sanft erotisch aufgeladene Verführungskünstlerin voller Charme und Süße, in ihrer Stimme findet sich die pure Anmut.

Im Schlussbild der mit Recht heftig umjubelten Bonner Inszenierung gerät die Villa aus den Fugen, der Himmel hängt nicht voller Geigen, sondern voller Gewehre und Geweihe (der Graf ist offenbar auch ein Großwildjäger). Die Akteure gehen verwirrt von der Bühne ab, sie haben viel aufzuarbeiten. So muss das bei Mozart, dem Komponisten der Irrungen und Wirrungen des Herzens, sein.

Die nächsten Aufführungen: 31. Januar, 3., 14. und 23. Februar. Karten bei Bonnticket.

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