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Plädoyer für den Menschen
Von Stefan Schmöe
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Fotos von Karl und Monika Forster
Der Umgang mit der Angst in extremen Krisensituationen ist das große Thema der Dialogues des Carmelites. Darin ist die Oper ja durchaus aktuell, zeigt unsere aktuellste Gegenwart doch Symptome einer Krisenzeit, vielleicht auch Zeit grundlegender Umbrüche. Komponist Francis Poulenc, der das Libretto einem Schauspiel von Georges Bernanos entnahm (das wiederum auf der Novelle Die letzte am Schafott von Gertrud von le Fort basiert) spiegelt das in einer historisch gesicherten Episode aus der französischen Revolution wieder. Kurz zur Handlung: Die von Ängsten geplagte Blanche tritt im Frühjahr 1789 in ein Karmeliterinnenkloster ein, das im Zuge der Revolution aufgelöst wird; da sich die Nonnen dennoch weiterhin versammeln (und in der Oper ein Gelübde zum Martyrium ablegen), werden sie zum Tode verurteilt und am 17. Juli 1794 mit der Guillotine hingerichtet. Die mit sich ringende Blanche schlägt die Gelegenheit zum Untertauchen aus und folgt der Gruppe - die Angst überwunden - aus freien Stücken zum Schafott.
Die Bibliothek ist bereits geplündert, die Ereignisse erscheinen im Rückblick: Blanche ist im vorrevolutionären Paris exitenziellen Ängsten ausgesetzt; rechts Vater und Bruder. Allerlei Schatten sind sowieso allgegenwärtig.
Unproblematisch ist die Oper aus verschiedenen Gründen nicht. Sicher nicht mehr ins Gewicht fällt die gänzlich "unmoderne", neoromantische, durch und durch betörend schöne Klangsprache des Komponisten, die bei der Uraufführung 1957 in Mailand in denkbar großem Kontrast zur musikalischen Avantgarde stand - die einst hitzigen Diskussionen über die "richtige" Moderne sind längst einem pluralistischen anything goes gewichen (die große Textlastigkeit vor allem im ersten Aufzug bleibt dennoch sperrig). Weitaus schwieriger ist da schon die durch passives Erdulden gekennzeichnete Grundhaltung, nicht nur im musikhistorisch (klassen-)kämpferischen Gegensatz etwa zu einem seinerzeit ja noch eminent "linken" Luigi Nono, sondern auch aus aktueller Perspektive: Den Rückzug in die Religiösität als Ideal kann man schon mit einigem Recht infrage stellen. In religiösen Besinnungs- oder Historienkitsch abgleiten darf das Werk schon gar nicht. Die beeindruckende Inszenierung von Ben Baur umschifft nicht nur diese Klippen, sondern findet eine Sprache, die, ohne in die Struktur einzugreifen, das Werk plötzlich aus anderer Perspektive hochbrisant erzählt.
Auch der sterbenden Priorin erscheint der Arzt nur noch als Phantom.
Die Schlüsselszene der Oper ist ganz sicher das Finale. Poulenc komponiert es als eine grandiose vielstimmige Vertonung des Salve Regina , ein Marienantiphon, das häufig als Begräbnismusik gesungen wurde. Eine Nonne nach der anderen wird zum Schafott geführt und verstummt, das schneidende Geräusch des Fallbeils ist Bestandteil der Musik. Bis zuletzt nur noch die junge Constance übrig ist, zu allerletzt noch Blanche hinzu kommt und die Schlussphrase übernimmt. Das absolute Verstummen, die größtmögliche Opernkatastrophe schlechthin, ist an sich schon ein starkes musikalisches Symbol, das ein entsprechendes szenisches Pendant braucht. Gelsenkirchens Intendant Michael Schulz hat die Oper vor 20 Jahren im benachbarten Essen inszeniert und die Anklage gegen die Henker, die Gewalttäter, in den Fokus gerückt. Ben Baur sucht in Gelsenkirchen die Sicht auf die Opfer und findet eine sehr einfache und stille, gleichzeitig tieftraurige Lösung, die man so schnell nicht vergessen wird. Aus diesem fast introvertierten Finale spricht ein im positiven Sinn demütiger Respekt vor dem einzelnen Menschen. In Zeiten, in denen Schicksale im tagespolitischen Diskurs durch Kennziffern abgehandelt werden (Stichwort "Flüchtlingsobergrenzen"), lässt das unversehens eine eminent politische Deutung zu.
Seine Funktion als Schutzraum hat das Kloster in den Revolutionswirren verloren; das Volk bedrängt die Nonnen.
Um dahin zu kommen, erzählt Baur die Geschichte im Rückblick. Blanche befindet sich in der Familienbibliothek, wo der Büchersturm bereits stattgefunden hat, und Bücher gibt es auch nicht mehr (das Bühnenbild hat der Regisseur selbst entworfen). In der ersten Hälfte der Oper ist das der Raum für alle Bilder, ein klösterlicher Schutzraum fernab der Welt; in der zweiten Hälfte bricht er auf, von Volksmassen umgeben, die den Terror in der Spätphase der Revolution andeuten. Die Kostüme (Uta Meenen) sind leidlich historisch, sodass Ambiente wie Erzählrahmen gewahrt bleiben, und wirken doch nie museal. Die Geschichte wird im Wesentlichen realistisch erzählt, dabei aber gleichzeitig auf die entscheidenden Elemente konzentriert - Nebenfiguren wie ein Arzt erscheinen nur als Schatten, wie überhaupt Schattenprojektionen dem Geschehen etwas Irreales verleihen. Es ist ein wenig so, als kämen die Schatten der Vergangenheit herüber zu uns. Die Personenregie ist genau, hält aber gleichzeitig eine respektvolle Distanz, die dem Werk gut tut.
Kurz vor der Hinrichtung: Der Henker wartet schon.
Glänzend ist die weibliche Hauptpartie besetzt. Die junge Bele Kumberger wächst als Blanche mit unglaublicher Intensität über sich hinaus; die nicht große, aber mit hoher Intensität geführte, in jugendlicher Angst wie Eifer lodernde Stimme passt ideal zur Darstellung. Eine Entdeckung ist die noch jüngere Dongmin Lee als glockenreine, glasklar aufleuchtende Constance. Almuth Herbst ist eine solide Mutter Marie mit warmer Stimme. Noriko Ogawa-Yatake gibt eine souveräne Charakterdarstellung der alten Priorin; Petra Schmidt als deren Nachfolgerin Madame Lidonie hat zwar ein paar Probleme mit den dramatischen Spitzentönen, aber eine klangvolle Mittellage. Aus dem Chor der Schwestern fällt eine (aber welche?) durch allzu großes Forcieren ein wenig heraus. Bei den Herren überzeugen Ibrahim Yesilay und Piotr Prochera als Bruder und Vater Blanches.
Chefdirigent Rasmus Baumann dirigiert die insgesamt sehr gute, in den Tutti-Einsätzen mitunter ungenaue, aber sorgfältig phrasierende Neue Philharmonie Westfalen mit viel Sinn für große Klangentwicklungen; wie das abschließende Salve regina klug strukturiert, steht sinnbildlich für eine Interpretation auf orchestral sehr hohem Niveau, die auf einen kompakten und runden Gesamtklang setzt.
Einmal mehr eine Großtat des Musiktheater im Revier mit einer grandiosen Inszenierung, in den Schlüsselrollen toll besetzt und mitreißend dirigiert.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung und Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Dramaturgie
Solisten
Marquis de la Force
Blanche, seine Tochter
Der Chevalier de la Force
Madame de Croissy, alte Priorin
Madame Lidoine, neue Priorin
Mère Marie
Constance
Mère Jeanne
Sœur Mathilde
Beichtvater des Karmel
1. Kommissar
2. Kommissar, Thierry, Javelinot, Kerkermeister
Schwestern des Karmel
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