Die frohe Botschaft: Spielen heilt!

Dani Levy inszeniert die «Dreigroschenoper» in Basel – als Therapeutikum für Kapitalisten.

Alfred Schlienger, Basel
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Alternative asiatische Behandlungsmethoden: Dani Levys Inszenierung der «Dreigroschenoper» von Bert Brecht und Kurt Weill am Theater Basel. (Bild: Sandra Then)

Alternative asiatische Behandlungsmethoden: Dani Levys Inszenierung der «Dreigroschenoper» von Bert Brecht und Kurt Weill am Theater Basel. (Bild: Sandra Then)

Hoppla, da sind wir unversehens in einen «Kongress für humane Psychiatrie» geraten. Die asiatische Klinikleiterin (Nahoko Fort-Nishigami) und ihr Chefarzt (Gen Seto) erläutern im Brustton der Heilsbringer, ihr Institut Mammon I habe schon 10 000 schwer erkrankte Kapitalisten behandelt und zu 87 Prozent geheilt. Welch eine Erfolgsquote! Als therapeutische Wunderwaffe hat sich dabei die «Dreigroschenoper» erwiesen. Katharsis im Spielen! Aristoteles nickt neidisch. Der Cast für die heutige Psychodrama-Session, der wir beiwohnen dürfen, zeigt die Porträts psychisch erkrankter Führungskräfte aus Wirtschaft und Politik, die hier Heilung suchen. Auch der musikalische Leiter und Dirigent (Johannes Kalitzke) trägt einen blütenweissen Arztkittel.

Das hat Biss mit Witz und macht neugierig. Das Publikum reagiert freudig animiert. Und am Schluss wird diese von Regisseur Dani Levy erfundene und den gestrengen Brecht-Erben abgerungene Rahmenhandlung wieder aufgenommen. Jetzt ruft uns die Klinikleiterin euphorisiert dazu auf, diese verlockende Investment-Chance zu packen: Bereits seien vier weitere Standorte nach diesem Erfolgsmodell im Aufbau, und das sei ja erst der Anfang. «Besuchen Sie unsere Website!» Was zögern Sie noch?

Wohlbekannter Ablauf

Dazwischen Brechts Original, sanft angereichert mit den Ticks und Schrunden der Borderliner, Narzissten, Zwangsgestörten im Spielpersonal. Der sonst so coole und clevere Frauenheld Mackie Messer (Thiemo Strutzenberger) wirkt hier überraschend nervös und ängstlich. Die Spelunkenjenny (Myriam Schröder) leidet unter Waschzwang, Polizeichef Brown (Ingo Tomi) ist fallsüchtig wie überreifes Obst, und seine Tochter Lucy (Pia Händler) jagt wie eine bipolare Furie durch die Szenerie. Zum Running Gag wird Florian Jahrs Faktotum als Katatoniker mit Leierstimme. Ein lustiges Stolpern und Stochern im Seerosenteich und in anderen Untiefen.

Mehr aufgeraut wird die Originalvorlage nicht, und das ist schade. Die dazuerfundene Klammer verspricht mehr, als das Stück halten kann. Es fehlen die wirklich bösen Untergriffe in den wohlbekannten Ablauf. Da waren Dani Levy bekanntlich die Hände gebunden. Eine erste, weitergehende Fassung wurde von den Brecht-Erben abgelehnt (NZZ 8. 2. 18). Ob wir jemals wissen werden, wie weit der Regisseur darin gehen wollte – und ob dies dem Stück mehr Drive, Biss und Aktualität beschert hätte? Wer Levys grenzentestendes Schaffen kennt, wird dies gerne annehmen. Die Rechte der Brecht-Erben laufen erst in neun Jahren aus – will man wirklich so lange warten, bis man Brecht endlich aufgefrischt spielen darf?

Zum Glück lebt die «Dreigroschenoper» wesentlich von der Musik Kurt Weills. Die Basel Sinfonietta spielt mit einem 16-köpfigen Orchester ganz formidabel auf. Es sind ja auch wahre Ohrwürmer. Ein stimmliches Pech erweist sich als weiterer Glücksfall: Thomas Reisinger als Bettlerkönig Peachum hat auf die Premiere hin seine Singstimme verloren und wird jetzt für die Lieder von Klaus Brömmelmeier (der die Rolle eben auch am Zürcher Schauspielhaus herausragend spielt) als Pfleger-Schatten assistiert. Dass Frau Peachum (Cathrin Störmer) mit diesem attraktiven Herrn ganz schamlos schäkert, ergibt einen weiteren Zugewinn.

Quicklebendig turnt auch die Peachum-Tochter Polly (Paula Hans) durch diese extraterrestrische Klinik, und im Duett mit ihrem Geliebten Macheath gelingen im überdrehten Patienten-Zirkus sogar berührende Momente. Dünn bleibt allerdings ihre Singstimme, ein Problem, das einige Figuren, vor allem in den hohen Lagen, zeigen. Warum legt man das nicht tiefer, fragt sich der musikalische Laie, und benutzt auch mehr die Kraft des typisch brechtschen Sprechgesangs?

«Levy darf das»

Wie eine offene, luftkissengepolsterte Raumkapsel schwebt die Bühne von Jo Schramm durchs Universum. Verfremdende Chinoiserien, wie Brecht sie liebte, säumen die Klinikwege auf der Drehbühne. Hinten offen wie Spitalhemden sind die Kostüme (Jana Findeklee, Joki Tewes) und erinnern mit ihren überlangen Ärmeln an Zwangsjacken. Und Verbrecherkönig Mackie Messer trägt einen breitkrempigen Hut, wie man ihn bei Juden öfters sieht. «Levy darf das», meint in der Pause ein gutgelaunter Premierengast.