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Licht und Gold, Leid und Tanz

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Alcina umgarnt Ruggiero.
Alcina umgarnt Ruggiero. © Falk von Traubenberg / Staatstheater Karlsruhe

Eine ganz dezente und dadurch umso effektvollere "Alcina" eröffnet die Händel-Festspiele in Karlsruhe.

Die Geschichte der Schufte ist eine andere, geraten jedoch die mannhaften Helden der klassischen Literatur vom Pfad der Tugend ab, so ist zumeist eine Frau daran schuld. Und zwar eine Frau mit Zauberkräften, wie sollte es ihr sonst auch gelingen, den mannhaften Helden zu desorientieren. Besonders übel erwischt es Ruggiero, der an die Inselherrscherin Alcina gerät, eine Art Circe, die Männer einwickelt und nach Gebrauch in Flora und Fauna verwandelt. Die Ariosts „Rasendem Roland“ entnommene und ins Librettotaugliche modifizierte Handlung in Georg Friedrich Händels „Alcina“ macht das Angebot, farbstrotzende Barockpracht zu inszenieren. Umso mehr erstaunt die Lesart zum Auftakt der Händel-Festspiele im Karlsruher Staatstheater, die so elegant und schlank daherkommt, dass man ihre Wirksamkeit am Anfang noch unterschätzen könnte. Das hat sie mit der Titelheldin möglicherweise gemeinsam, hier der hinreißenden Kanadierin Layla Claire. Die Karlsruher Alcina singt ohne Manier mit einer ruhigen Macht, Natürlichkeit und auch natürlichen Süße. Die Leichtigkeit ihrer Stimme bei prächtigem Volumen ist tatsächlich bezaubernd. Dazu ist sie botticellihaft schön und gekleidet, und ihre Schwangerschaft lässt den letzten Argwohn schweigen. 

Man mag zunächst die barbarische Seite ihrer Zaubermacht unterschätzen und ebenso das Geschick des Regisseurs James Darrah, nicht aber die Kraft der Musik im Dirigat von Andreas Spering. Sie ist, vorgetragen von den jährlich eigens zu den Festspielen zusammenkommenden Deutschen Händel-Solisten, ein feines, durchhörbares Gespinst von Anfang an, stellt die Instrumente originell heraus, ist nämlich zudem auf reizvolle Weise moderat und eben dadurch so transparent. Die Affektarien – und Affekte gibt es genug zwischen Liebenden, Hassenden, Verwirrten, Verzagten, Verlassenen, nachher auch Versöhnlichen, Versöhnten und schließlich Versehrten – haben Schneid und Charakter, aber sie bersten nicht vor Raserei und Gejammer, bleiben Klangkultur und Musik. Es wird praktisch ein Abstand gehalten zwischen der recht krassen Grundsituation auf der Insel – vorbeiziehende Wildtiere können die nächsten Verwandten sein, und Alcina lässt so gar nicht mit sich reden – und der davon nur am Rande berührten Fülle des Wohllauts. 

Die kurzen Chorpassagen, zunächst aus dem Graben gesungen vom Händel-Festspielchor, wehen geradezu vorüber. Die Solisten sind meistenteils exzellent, unter ihnen als Ruggiero der sehr kraftvolle australische Countertenor David Hansen, makellos bis ins Kühle, oder die italienische Altistin Benedetta Mazzucato, die als Bradamante das einmal wirklich fundamental dunkle Gegenstück zu den hohen Stimmen bietet. Bradamante ist Ruggioros Braut, peinlich ohne Ende, dass sie persönlich anreisen muss, um ihren Mann aus dem seidenen Morgenrock zu befreien. Selbstverständlich ist sie als Mann verkleidet und selbstverständlich hat Alcinas Schwester Morgana (Aleksandra Kubas-Kruk) ein Auge auf sie geworfen, was deren Geliebten Oronte (Alexey Neklyudov) ärgert. Und weil noch mehr Verwicklung möglich ist, stromert Carina Schmieger als quecksilbrig singendes Bübchen Oberto auf der Insel herum, auf der Suche nach dem verzauberten Vater.

Mit dem barocken Hin und Her geht der Amerikaner Darrah bei seinem Deutschland-Debüt auffällig unauffällig um. Es ist aber nie fad, vielmehr außerordentlich intensiv. Emily Macdonald und Cameron Mock statten Alcinas Insel mit naturweißen Stoffen aus. An den Seitenwänden, wie der Boden teilvergoldet, erscheinen Videos (Adam Larsen), die zuerst herkömmlich, dann ausgetüftelt wirken. Hier der Schatten eines Tieres, dort Alcina wie in Blattgold gefasst, schließlich – erschreckend – Sängerin Claire im Gesichtsalterungsprogramm. 

In den dezent barockisierenden Kostümen von Chrisi Karvonides-Dushenko versetzt Darrah nun das Ensemble in einen sanften, vorzüglich durchgehaltenen Bewegungsmodus, Alcina dabei fast immer umtanzt von einem stillen Gefolge. Alle Beteiligten bewegen sich auf den Wogen ihres Leids quasi (aber nicht penetrant) tanzend, so dass das opernübliche Gestenarsenal kaum ins Bild kommt. Die elegante Sparsamkeit lässt die zürnende Alcina, die en passant einen abgerissenen Hirschkopf (Grundgütiger) bei sich hat, umso schockierender erscheinen. 

Vier Stunden Gesamtdauer am Ende dann noch dauerhafter Jubel für eine entschlossen festspieltaugliche Produktion.

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