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Goethe ohne Muff: „Wahlverwandtschaften“ am Theater Bremen

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Ins erotische und emotionale Geflecht webt Regisseur Stephan Kimmig bei seinem Bremer Debüt auch clowneske Schübe. - Foto: Jörg Landsberg
Ins erotische und emotionale Geflecht webt Regisseur Stephan Kimmig bei seinem Bremer Debüt auch clowneske Schübe. © Jörg Landsberg

Bremen - Von Rolf Stein. Im Bremer Musiktheater ist nur selten wirklich neue Musik zu hören. Lieber inszeniert man klassische Stoffe gegen den Strich – im besten Fall zumindest, und seit dem Fortgang Benedikt von Peters eher selten mit durchschlagendem Effekt.

Immerhin: Thomas Kürstner und Sebastian Vogel, die nun „Die Wahlverwandtschaften“ nach Goethe in Musik kleideten, waren vor einigen Jahren schon einmal für eine Uraufführung am Goetheplatz verantwortlich. Armin Petras stellte damals seine Sicht auf Tolstois „Anna Karenina“ vor. Petras hat sich nun den berühmten Roman von Johann Wolfgang von Goethe aus dem Jahr 1809 vorgenommen, um ihn spartenübergreifend auf seine Relevanz für die Gegenwart abzuklopfen.

Mit Goethe untersucht Petras in seiner Fassung, wie ein Pärchen im besten Alter (Eduard und Charlotte), das sich eigentlich zurückgezogen seinen Liebhabereien (Yoga und so) widmen möchte, durch unvorhergesehene Anziehungskräfte auseinanderdriftet. Otto, bei Petras der gescheiterte Bruder von Eduard, sucht auf dem Anwesen Unterschlupf, ziemlich zeitgleich trifft auch Charlottes „Exstieftochter“ ein, ein Paradebeispiel für die Generation Praktikum, ohne größeren Plan für ihr Leben.

Schon Goethe hatte offenbar seine Zweifel am Wirklichkeitsgehalt des romantischen Liebesideals, das zu seiner Zeit noch gar nicht so alt war, nicht erst übrigens in den „Wahlverwandtschaften“. Was im beginnenden 19. Jahrhundert offenbar nur schwer vermittelbar war, ist heute keinen echten Skandal mehr wert: Sogar die Idee, man könne mehrere Menschen lieben, hat sich in den Diskurs geschlichen, auch wenn sie dort mehrheitlich eher spöttisch abgetan wird. Zumindest in der Oper allerdings ist davon in der Regel nichts zu spüren. Hier betrügt man sich in alter Weise, schmachtet Unerreichbare an und bringt sich am Ende um.

Petras unterzieht diese archaische Sicht einer gründlichen Revision, seziert mit kühler Distanz die Ideale seiner Figuren, die ihrerseits ganz heutig sind, fördert zutage, wie viel altes Denken im Heute steckt – und lässt als bescheidene Utopie Charlotte am Ende ihrem Eduard ein Angebot ohne Bedingungen machen, anstatt ihn, wie noch Goethe, sterben zu lassen.

Neben dieser couragierten Herangehensweise auf der Handlungsebene gibt es da aber auch noch die Musik, die das Offene, Fragmentierte auf ihre Weise erzählt: Mal klingt sie neutönerisch im Sinne der klassischen Avantgarde, mal zart impressionistisch und nimmt aber auch nicht wenig von Jazz und Pop. Bei Clemens Heil und einem schlagwerklastigen Ensemble ist sie in den besten Händen.

Stephan Kimmig, Hausregisseur am Deutschen Theater Berlin und zum ersten Mal in Bremen tätig, gibt mit diesen „Wahlverwandtschaften“ sein Musiktheaterdebüt. Als gäbe es nicht mit der neuen Musik und dem runderneuerten Goethe-Stoff genug zu verkraften, lässt er in einem großen Zelt (Bühne: Katja Haß), das für Freizeit ebenso wie für das Provisorische an sich stehen dürfte, ein vitales Sextett agieren. 

Neben Patrick Zielke (Eduard) und Nadine Lehner (Charlotte) vom Bremer Opernensemble wirken Robin Sondermann (Otto) und Annemaaike Bakker vom Schauspiel sowie die Gastschauspieler Markus John und Hanna Plaß mit. Das erotische und emotionale Geflecht weben sie sehr körperlich mit clownesken Schüben (Kostüme: Anja Rabes), per Videokamera zoomen sie mal ganz nah an die Gesichter der Beteiligten heran, manchmal ist aber auch nur der Fußboden im Bild – warum auch immer.

Eingeschoben sind des Weiteren Monologe, Publikumsbefragungen und revuehafte Gesangseinlagen, wobei sich angesichts der angedeuteten Menge des zu Bewältigenden zumindest nicht immer gleich erschließt, was nun welchem dramaturgischen Zweck dient. Wie zum Beispiel die drei Kinder, die die kompletten zwei Stunden des Abends am Bühnenrand sitzen und offenbar notieren, was diese komischen Erwachsenen da so veranstalten.

Zweifelsfrei allerdings sind Musiker, Sänger und Schauspieler dem Regiekonzept gewachsen. Vor allem Nadine Lehner und Patrick Zielke dabei zuzuschauen, wie sie diese modernen Individuen empathisch und nuanciert zeichnen, ist ein Genuss. Aber auch vorn im Orchester spielt man nicht nur Musik, sondern ist offenbar mit Vergnügen Teil der Szenerie.

Ein vergnüglicher Blick auf ein altes Thema, der den Muff von Jahrhunderten vehement aufwirbelt. Was natürlich einen Teil des Premierenpublikums zum Buh-Rufen animierte. Aber das adelt eine Inszenierung derweil wohl eher, als dass es ihr schadet.

Weitere Vorstellungen: Sonntag um 15 Uhr, 15. März um 19.30 Uhr sowie am 30. März um 18 Uhr. Weitere Termine finden sich unter theaterbremen.de

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