1. Startseite
  2. Kultur
  3. Theater

Vom Gestern und Morgen verfolgt

KommentareDrucken

Die Verdi-Rarität „Ernani“ überzeugt am Nationaltheater Mannheim szenisch und musikalisch.

Ernani“, Giuseppe Verdis fünfte Oper, war nicht immer eine Bühnenrarität, wie man liest. Heute ist sie es aber unbedingt, beliebt eher noch für konzertante Aufführungen, denn musikalisch wird großes Kino geboten. Der Komponist ist hier nicht mehr allein auf die Wucht der Chöre angewiesen, dringt schon weit in seine bald charakteristische Konstellation vor und bereitet sie in grandiosen Szenen unter generell Aufgewühlten auf: Der rasend leidenschaftliche Tenor, der rivalisierende Bariton, hier dazu noch ein gleichfalls psychologisch tangierter, aber erotisch abgeschlagener Bass, zwischen denen die engelshafte Sopranistin zerrieben wird. Eine gewisse Wüstheit der Vorgänge war es, die Verdi an der Vorlage von Victor Hugo ansprach. Zugleich liegt darin wohl der Hauptgrund dafür, dass die Oper so selten gespielt wird. „Ernani“ ist aus Sicht des gesunden Menschenverstandes in seinem wogenden Hin und Her der unerwarteten Wendungen und der irren Meinungsschwenks nur mit Mühe plausibel zu machen.

Umso schmucker ist es, wie geschickt am Nationaltheater Mannheim die inzwischen vielgebuchte Regisseurin Yona Kim mit dem Stoff fertig wird. Sie arbeitet mit einem wuchtigen Bühnenbild von Heike Scheele, mit historisierenden und quasi uniformierenden Kostümen von Falk Bauer und darin mit einfachen, eindrücklichen, die Figuren quasi dauerbedrängenden Tableaux. Noch im intimsten Moment ist damit zu rechnen, dass sich Generationen von gekrönten und mittlerweile einbalsamierten Häuptern in Erinnerung bringen oder ein kühler Damenchor sich in die Szene schiebt.

Spielort ist zunächst ein großes, schwarzglänzendes Podest, hinter dem eine ebenso große Schräge aufragt. Diese spiegelt nicht nur alles von oben. Hinter ihr geschehen auch weitere, schemenhaft sichtbare Dinge. Das hat einen gespenstischen Effekt, wenn der Spiegel mehr zeigt, als davor zu sehen ist. Für die Szene in der Gruft Karls des Großen wird in der Pause ein ebensolches Podest aus Stein montiert. Schon zur Ouvertüre setzt stille, gemächliche, stets symbolisch aufgeladene Aktion ein, die etwas erratisch ist, aber darauf hinausläuft, dass dem glücklosen Trio eine Beziehung von Kindheit an angedichtet wird.

In der Gegenwart der Handlung bekommt das Publikum vorgeführt, wie sich der aristokratische Bandit aus verlorener Ehre, Ernani, und der künftige Kaiser Karl V., Don Carlo, um die schöne Elvira scharen. Sie liebt Ernani, sie wird bedrängt von Carlo, sie ist allerdings zwangsverlobt mit einem greisen Edelmann namens Silva. Liebe, Hass und Ehrgefühl lassen die Männer unlogisch, inkonsequent und auch abgrundtief gemein agieren. Infolgedessen geht es nicht gut aus.

Es sieht jedoch gut aus und klingt fabelhaft. Obwohl sie mit großen Menschengruppen arbeitet, vernachlässigt Yona Kim die Personen im Einzelnen kaum: Irakli Kakhidze macht als kerniger und vor allem standfester Verdi-Tenor und feuriger Liebhaber in spe gute Figur, man sieht hier einmal eine konventionelle, aber doch lebhafte Figurenführung und einen Tenor, der sich sichtlich wohl fühlt. Evez Abdulla als sein Antagonist Carlo tritt mit profundem Bariton an, ist optisch ein Spiegelbild des Rivalen und unterscheidet sich von ihm vornehmlich durch etwas mehr Noblesse. Immerhin fällt auch seine Wahl zum Kaiser noch in diesen Abend. Dass seine mit Blick auf die Handlung lüstlingshafte Seite (also: heiraten will er sie auf jeden Fall nicht) heruntergespielt wurde, scheint eine der Vorsichtsmaßnahmen gegenüber der politischen Zensur gewesen zu sein. Miriam Clarks Elvira hadert dazwischen mit einem angenehmen, auch in den verschärften Höhen noch ziemlich weichen, allemal souveränen Sopran. Dass sie von Gesellschaft und Libretto zum ausschließlich passiven Widerstand verdammt ist, macht sie durch Expressivität wett. Und nicht einmal ihr Haar will von der mürrisch strengen Kammerdienerin problemlos gestriegelt werden. Silva schließlich bekommt von Sung Ha genau die richtige Statur, was sonore Stimme und ruhige Ausstrahlung betrifft. Verdi hatte nicht vor, einen lächerlichen Alten zu zeigen, was leicht zu machen gewesen wäre.

In beiden Silva-Varianten – der würdevolleren und der lachhafteren – wäre es immer noch schwierig, die entsetzliche Schlusswendung nachzuvollziehen: Durch ein Versprechen gebunden, muss sich Ernani suizidieren, sobald Silva in sein Horn bläst. Diese sozusagen für den fiesesten Moment aufgesparte Fernracheoption ist das bizarre Alleinstellungsmerkmal der Geschichte und muss einen Komponisten anlocken. Dennoch kommt just dieser Moment in Mannheim nicht optimal zur Entfaltung. Vielleicht straft sich jetzt, dass immer noch etwas anderes zu sehen ist. Vielleicht hätte das Dirigat von Benjamin Reiners, bedacht und feinsinnig, hier nun doch effekthascherischer sein können. Vielleicht hat Richard Wagner zu viel aus Hornrufen gemacht, um nicht übermäßige Erwartungen zu wecken. Insgesamt ist das humtata-freie Herangehen Reiners’ nicht nur adäquat, sondern arbeitet das Frühmeisterliche im „Ernani“ überzeugend heraus.

Nationaltheater Mannheim:
4., 9., 29. März, 6., 11. April.
www.nationaltheater-mannheim.de

Auch interessant

Kommentare