zum Hauptinhalt
Auf jeden Fall phallisch. Szene (v.l.) mit Thomas J. Mayer (Jochanaan, in der Kapsel schwebend), Marina Prudenskaya (Herodias), Gerhard Siegel (Herodes), Ausrine Stundyte (Salome), Annika Schlicht (Page der Herodias), Nikolai Schukoff (Narraboth)

© Monika Rittershaus

"Salome" an der Staatsoper: Zipfelstürmer

Der Dirigent Thomas Guggeis rettet die Premiere von Hans Neuenfels’ „Salome“ an der Lindenoper.

Einmal noch einen Skandal, dieses Brodeln im Parkett, die Zwischenrufer aus den Rängen. Nur einmal noch. Wenn es wirklich stimmen sollte, was Hans Neuenfels vor der Premiere gesagt hat, dann wird diese „Salome“ an der Staatsoper seine letzte Berliner Inszenierung sein. Im Sommer folgt „Pique Dame“ in Salzburg, danach will dieser große, streitbare Liebhaber der Oper 77-jährig abtreten. Tatsächlich kam es Unter den Linden zum Krawall, bevor noch die Zuschauer einen Blick auf die Zurichtung von Richard Strauss' Skandal-Klassiker hatten werfen können. Christoph von Dohnányi, 88, der das Dirigat für den Rekonvaleszenten Zubin Mehta übernommen hatte, legte vor der Generalprobe plötzlich den Taktstock nieder. Daran konnte natürlich nur Neuenfels mit seiner „Salome“-Sicht schuld sein. „Phallus auf der Bühne, Dirigent wirft hin!“, titelte ein Kollege. Das klingt saftig und auf seine Art auch schmeichelhaft für einen Regisseur, der noch immer große Emotionen freizusetzen vermag. Kein Wunder, dass Hans Neuenfels dieser Interpretation nicht widersprach.

Doch was ans Drama rührt, entpuppt sich als Theaterfarce, wenn Jürgen Flimm auf seinen letzten Metern als Staatsopern-Intendant vor das Premieren-Publikum tritt. Man hätte zwei große Dirigenten verloren, das komme in jeder Fußballmannschaft mal vor. Ungläubiges Raunen im Zuschauerraum. Doch, wirklich. Zum Glück hätte man in Thomas Guggeis, 24, dem ehemaligen Assistenten von Daniel Barenboim einen Dirigenten gefunden, der das Vertrauen von Orchester und Sängern genießt. Und das ist der entscheidende Hinweis. Christoph von Dohnányi hatte diesen Zuspruch während der Proben offensichtlich eingebüßt. Neuenfels wäre es zuzutrauen, dass er dies auch zum Ausdruck gebracht hat. Kein Phallus hat den greisen Maestro vom Pult vertrieben, die Baupläne waren ja allen Beteiligten seit Monaten bekannt. Dohnányi hat wohl auf ein Misstrauensvotum reagiert. Dass man so etwas zugunsten der Gesichtswahrung nicht offen sagen darf, führt Flimm in seiner finalen Comedy-Einlage selbst ad absurdum.

Eine seltsame Altherrenverdruckstheit liegt über dem Saal, als sich der Vorhang endlich hebt. Und natürlich findet der Blick sofort jenen gewaltigen Phallus, der wie eine Rakete über der Bühne schwebt, bemannt mit Jochanaan, dem gefangenen Propheten. Es muss unbequem sein, aus diesem schrägen Geschoss heraus seine Verwünschungen auszustoßen. Andererseits ist die Lage auch herrlich exponiert und dominiert eine Szenerie, die wie zu schwarzem und weißem Eis gefroren wirkt.

Narzissmus und Nazismus

Neuenfels' vertrauter Bühnenbildner Reinhard von der Thannen ist das Kunststück gelungen, einen Raum zu schaffen, dessen kaltes Art déco ästhetisch einen beunruhigenden Bindestrich zwischen Narzissmus und Nazismus setzt. Auf silbernen Stühlchen hocken Herodias, Herodes und Salome, auf deren kurzen, glänzend schwarzen Haaren ein Reif mit einem Strasshalbmond prangt. „Wie schön ist die Prinzessin Salome heute Nacht!“, singt ihr Verehrer, der junge Hauptmann Narraboth. Doch alle scheinen nur Augen zu haben für den Phallus, der über ihnen hängt.

Zum Glück für die allgemeine Aufmerksamkeitslage wird Jochanaans Kapsel irgendwann zu Boden gelassen. Als sich gar die Türen öffnen, taumelt ein von der Begegnung mit Gott sichtbar gezeichnetes Wesen heraus, kaum seiner mächtig, geschüttelt von Schmerzen als wäre er Wagners Amfortas, der in Sünde ewig wund gefallene Gralshüter. Doch damit nicht genug. Neuenfels, der auf seine Opernbühnen auch immer Schauspieler schickt, entsendet Oscar Wilde (verkörpert von Christian Natter) in den von ihm erdichteten Palast des Herodes. Er betritt ihn durch ein extra herabgelassenes Portal mit dem roten Schriftzug „Wilde is coming“. Eine Neuenfels-Reminiszenz, ein Neon-Flashback, eine Erinnerung an Opernabende, an denen sich nicht die Akteure in Phantomschmerzen wanden, sondern es dem Zuschauer langsam ungemütlich wurde.

Wilde kommt, wirklich kommen aber kann er nicht. Zwar trägt er prächtige silberne Hoden zur Schau, in der Mitte aber fehlt ihm, was Jochanaan gefangen hält. Das Christentum als den Leib verteufelnde Macht ist Wildes erklärter Feind, Salome soll seine Kämpferin werden. Bei ihrem Tanz ohne fallende Schleier wird sie von Wilde geführt, der zu diesem Anlass eine Totenkopfmaske trägt, von wegen Eros und Thanatos.

Doch zwischen diesen Polen entsteht keinerlei Spannung mehr, das Theater ist an diesem Abend so lebendig wie eine längst verlorene Partie Schach. Fast möchte man weinen, wenn das Programmheft ganz am Ende den von Neuenfels innig geliebten Kleist zitiert: „Küsse, Bisse, das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt, kann schon das eine für das andre greifen.“ Dass selbst die Fackel des Eros verlöschen kann, die erkennende Lust, die Lust am Erkennen versiegt, ist eine erschreckend magere Opernausbeute. Am Ende triumphiert das Dekor, und Salome greift sich einen der vielen hübsch beleuchteten Porzellanköpfe.

Theater der Erstarrung

Gegen dieses Theater der Erstarrung müssten die Sänger radikal musikalisch argumentieren. Doch die Besetzung an der Staatsoper hat da keinen leichten Stand. Ausrine Stundyte ist zwar eine überaus präsente Darstellerin, als Sängerin aber muss sie der Salome sowohl im lyrischen Zauber wie in der dramatischen Zuspitzung einiges schuldig bleiben. Gerhard Siegel als Herodes nutzt um des Effekts willen seine Stimme zu selten, um auch wirklich zu singen. Auch für Thomas J. Mayers überaus soliden Jochanaan scheint Gesang kein echtes Kommunikationsmittel, musikalische Poesie nur eine ferne, schwer zu erreichende Welt.

So findet diese Premiere ihren Helden im Graben: Thomas Guggeis führt die Staatskapelle mit großer Übersicht und ohne jede Eitelkeit. Ihm gelingt eine Dramaturgie der Klänge, die die Sänger trägt und das Biest, das in Strauss' Partitur lauert, um des Spieles willen klug in Schach hält. Bewundernswert sein Gespür für Dynamik, die man an der Staatsoper selten so auf den Punkt austariert hört. Daniel Barenboim wird seinen jungen Kollegen, den die Stuttgarter Oper gerade als Kapellmeister verpflichtet hat, hoffentlich nicht vergessen.

Weitere „Salome“-Vorstellungen am 8., 10., 14. und 17. März

Zur Startseite