Wie das Warten auf einen Bus, der niemals kommt

Unausrottbar und zerstörerisch ist die Gier nach Geld: Das Theater Basel zeigt die Opern «Der Spieler» von Sergei Prokofjew und als Uraufführung «Der Goldkäfer» von Dai Fujikura.

Martina Wohlthat, Basel
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Das Glück ist immer anderswo. Sergei Prokofjews «Spieler» im Theater Basel. (Bild: Priska Ketterer)

Das Glück ist immer anderswo. Sergei Prokofjews «Spieler» im Theater Basel. (Bild: Priska Ketterer)

Manchmal möchte man die Figuren auf der Bühne schütteln, damit sie aufwachen aus ihrem Wahn. Während sie glauben, unter Aufbietung aller Kräfte dem Leben eine positive Wendung geben zu können, spielt das Schicksal längst mit ihnen. Mitten im Ersten Weltkrieg komponierte Sergei Prokofjew zwischen 1915 und 1917 seine Oper nach Fjodor Dostojewskis Roman «Der Spieler». Den Wirren der russischen Revolution geschuldet, wurde das Werk allerdings erst 1929 in Brüssel uraufgeführt.

In jüngerer Zeit wächst das Interesse an Prokofjews frühen Opern, das Theater Basel bringt den «Spieler» nun in der Inszenierung des russischen Regisseurs Vasily Barkhatov als Schweizer Erstaufführung heraus. Der Komponist schreibt sich hier «lakonische Kürze, unter Vermeidung alles Überflüssigen im Ausdruck» auf die Fahnen. Das lässt sich in der vom Konzept her überzeugenden, darstellerisch und sängerisch hervorragenden Neuproduktion nachvollziehen.

Weit und breit kein Glück

Barkhatovs Kunstgriff besteht darin, dass er die vom Glücksspiel besessene Gesellschaft aus Dostojewskis fiktivem Kurort Roulettenburg in einem preisgünstigen Hotel in Bahnhofsnähe einer namenlosen Stadt ansiedelt. Der Aufenthaltsraum, die Waschküche, die Bushaltestelle vor der Tür dienen den Auslandrussen als Fluchtpunkte in ihrem Emigrantenleben. Mit Surfen und Gamen vertreibt man sich dort das Warten.

Glück hat hier niemand – weder im Spiel noch in der Liebe: «Ich bin weit weg von zu Hause, ohne Arbeit, ohne Geld, und es ist mir egal», singt Alexej, der im Glücksspiel auf seinem Laptop ein Mittel gegen die Chancenlosigkeit in diesem sozialen Abstellraum findet. Als Hauslehrer macht er zwischen Wodkagläsern mit den Kindern des Generals Hausaufgaben. Er ist verliebt in Polina (Asmik Grigorian), die ihr Unglück ihrerseits mit Coolness überspielt. Im Stück wird sie einmal eine «Wespe» genannt.

Die Ambivalenz einer unter der glatten Oberfläche lauernden Reizbarkeit zeichnet Asmik Grigorian mit dem ganzen Liebreiz ihrer Stimme. Der General (Pavlo Hunka) spekuliert auf die Erbschaft einer reichen Grosstante. Doch anstatt zu sterben, erscheint Babulenka (grossartig: Jane Henschel) bei der im Westen kläglich gestrandeten Verwandtschaft. Der General ist finanziell abhängig vom Marquis, den Rolf Romei als schmierigen Drogendealer und Blutsauger gibt.

In dieser Gesellschaft erscheint die Titelfigur Alexej (höhensicher: Dmitry Golovnin) als der geborene Verlierer, der an das Gute im Menschen glaubt. Polina rächt sich an ihm für das, was ihr andere angetan haben. Dass sich die junge Frau aus Selbsthass prostituiert, ist ein bitteres Fazit. Es wirkt jedoch konsequent angesichts dessen, was die Erwachsenen nebenbei den Kindern antun.

Prokofjews Oper besteht vor allem aus Rezitativen und trägt stark parodistische Züge. Besonders deutlich wird dies in der Szene im Roulette-Saal, wo die Musik in einer Fuge ins Kreiseln gerät und der Gesang nur noch aus Gesprächsfetzen besteht. Kombiniert wird dies in der Basler Inszenierung mit Grossaufnahmen von Gesichtern, auf denen einem die Angstlust und Gier der Spielsüchtigen gleichsam ins Auge springt. Die Spieler frönen ihrer Leidenschaft nicht am Roulettetisch, sondern am Bildschirm.

Später sehen wir Alexejs verzerrtes Gesicht in Stummfilmmanier auf der Fassade des Exilanten-Heims (Bühne: Zinovy Margolin) – ein gelungenes Pendant zu den harten filmischen Schnitten in Prokofjews Musik. Sie erfährt unter dem litauischen Dirigenten Modestas Pitrénas in dieser Szene die nötige Zuspitzung: Mit dem Sinfonieorchester Basel unterstreicht der Dirigent zunächst die unterkühlte Stimmung des mit Modernismen geradezu auftrumpfenden Werks, aber auch die mechanische Rastlosigkeit der Klänge.

In der Roulette-Szene dominiert dagegen kantige Rhythmik. Dreh- und Angelpunkt sind die Dialoge, die von den Sängerinnen und Sängern eindrücklich dicht am Duktus der russischen Sprache gesungen werden. Der Abend lebt von den lebendig gezeichneten Figuren, die in den Zimmern ihren alltäglichen Gewohnheiten nachgehen, entgegen jeder Vernunft weiter mitspielen, um vielleicht irgendwann den erhofften Gewinn einzustreichen. Es ist wie Warten an einer Bushaltestelle, wo niemals ein Bus vorbeikommt.

Käfer mit Totenkopf

Um den Goldrausch und um Besessenheit, die das Zwischenmenschliche verkümmern lässt, geht es auch in der Kammeroper «Der Goldkäfer» von Dai Fujikura. Der junge Sam wurde von seinen Goldsucher-Eltern verlassen, die gleichaltrige Lilith vermisst ihre verstorbene Mutter. Vor diesem Hintergrund erweist sich das Auftragswerk des japanischen Komponisten auf der Kleinen Bühne des Theaters Basel als psychologisch schillerndes Werk. Der Auftrag, eine Oper für ein junges Publikum zu entwerfen, scheint allerdings ein wenig verloren gegangen zu sein.

In der Inszenierung von Julia Hölscher wird das Stück visuell attraktiv, aber auch etwas hermetisch zwischen schweren Vorhängen aufbereitet. Nicht nur die jungen Zuschauer, auch Erwachsene rätseln, wer auf der Bühne wer ist. Zumal die Sängerdarsteller der Koproduktion des Opernstudios OperAvenir und der Hochschule für Musik Basel zwar musikalisch glänzend vorbereitet, in ihrer Spielfreude aber noch etwas zurückhaltend sind. Unter der musikalischen Leitung von Stephen Delaney überzeugt vor allem der atmosphärische Farbenreichtum der Partitur, die szenisch in traumartige Sequenzen übersetzt wird.

Lilith (Sarah Brady) und ihr Vater Albert besuchen auf Sullivan’s Island an der Küste von South Carolina den wirrköpfigen Einsiedler William (José Coca-Loza). Ein goldener Käfer wird bei ihm zur fixen Idee und entpuppt sich als nüchterne Glühbirne, dafür krabbelt und kribbelt es zu den Streicher-Pizzicati wild in der Partitur. Wie in der Vorlage von Edgar Allan Poe gelingt der dramaturgische Bogen vom Käfer zur Piratenkarte und zum vergrabenen Schatz von Captain Kidd nur mit Hauruck und einigen Regiekniffen.

Ein Käfer mit dunklen Punkten auf dem Rückenschild kann hier wie ein Totenkopf aussehen, und der Biss dieses Goldkäfers macht hemmungslos geldgierig. Die Kostüme knüpfen an den Piratenfilm «Fluch der Karibik» an. Das Ganze ist theatralisch ambitioniert, aber nicht leicht zu entschlüsseln. Gerade im Vergleich erscheint die Inszenierung des «Spielers» von einer glasklaren Konsequenz, die quasi im Vorübergehen menschliche Tragödien schlaglichtartig erhellt.