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Jens-Daniel Herzog inszeniert „Nabucco“ in Dortmund

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Kampfesmutig stürzt sich Nabucco (Sangmin Lee) in jeden Konflikt. Szene aus der Dortmunder Opern-Inszenierung mit Almerija Delic (links) als Fenena und Gabrielle Mouhlen als Abigaille.
Kampfesmutig stürzt sich Nabucco (Sangmin Lee) in jeden Konflikt. Szene aus der Dortmunder Opern-Inszenierung mit Almerija Delic (links) als Fenena und Gabrielle Mouhlen als Abigaille. © Jauk

DORTMUND Umgeben von einem Jubelchor präsentiert Abigaille ihr Maschinengewehr wie eine Reliquie. Ihr purpurfarbenes Abendkleid hat sie mit einer Djellaba verhüllt, ihre Locken mit einem Kopftuch. An der Spitze religiöser Fanatiker hat sie ihren Vater Nabucco entthront. Die Gefahr für das inhaftierte diplomatische Chor der Israeliten spitzt sich zu: Religiöse Konflikte, Geiselnahme und Vorderer Orient – diese Momente des „Nabucco“ erinnern Jens-Daniel Herzog an die Jahre 1979 bis 1981, als iranische Revolutionäre die amerikanische Botschaft in Teheran besetzt hielten.

Hier siedelt der scheidende Intendant der Oper Dortmund seine letzte Inszenierung an. Die frühe Verdi-Oper präsentiert er zurückhaltend provokant und nicht zu originell.

Der Zeitsprung funktioniert über weite Strecken. Vor allem, weil die Geiselnehmer in beiden Fällen gespalten waren: Den Mullahs um Chomeini, die den liberalen Flügel der iranischen Revolution ausbooten, setzt Herzog die Machtübernahme Abigailles und der Hohenpriester entgegen. Das fügt sich in den Plot der Verdi-Oper ganz gut. Zumal die hochtourige Musik den traumatischen Emotionen einer Geiselhaft – Todesangst, Unsicherheit und Warten – entgegenkommt. Eine Drehbühne verdichtet den zwischen verschiedenen Schauplätzen springenden Plot. Mathis Neidhardt (Bühnenbild) und Sibylle Gädeke (Kostüme) schwelgen im Seventies-Ausstattungsrausch, von Koteletten und Kleidern im Pop-Art-Print bis zur sterilen Kantine mit Stahlrohr-Möbeln. Das die Eleganz unter der Geiselhaft zunehmend leidet, wundert nicht; ebenso wenig, dass mit wachsendem Fanatismus die Körperverhüllung zunimmt.

Stellenweise ruckelt die moderne Übertragung. Eine Bauchtänzerin hat ihre rhythmischen Schwierigkeiten mit Verdis romantischen Duktus; die religiöse Inbrunst des Librettos nimmt sich etwas seltsam zu einem feucht-fröhlichen Botschaftsempfang aus. Das Finale bürstet Herzog dann völlig gegen die Musik. Das Happy-End des Originals wirkt ihm zu künstlich. Also massakriert er die Israeliten in Maschinengewehrsalven. In der folgenden effekthaschenden Pause hängt die Frage in der Luft, wie die Kehrtwende zum klanglich versöhnenden Ende gelingen kann. Eine Traumszene soll es richten, jenes probate Mittel zum Kitt unschlüssiger Elemente. Der Friede zwischen Israeliten und Nabucco sowie Abigailles Gifttod – sie sind nur noch eine groteske Vision des sterbenden Nabucco. Herzog überlässt den Fundamentalisten das letzte Wort; dies scheint ihm der aktuellen Weltlage angemessener.

Unbehelligt vom optischen Spektakel bleiben Spiel und Gesang – beide ein Genuss. Nabucco gilt nicht als die Verdi-Oper mit den ausgefeiltesten Charakteren. In ihrer Ambivalenz zwischen Rachegelüsten und Liebeshunger ist Abigaille die interessanteste Figur. In dieser Rolle verstärkt die Gastsängerin Gabrielle Mouhlen das Ensemble. Sie schwört ihre Rache mit agilen Registerwechseln, markiert Wutschreie mit scharfen Spitztönen, höhnt mit aggressiven Koloraturen. Doch ihren Schmerz kleidet sie in einen poetischen Abgesang.

Sangmin Lee, der Nabucco, stürzt sich in alle Konflikte mit despotischer Kraft, die schließlich in tonlose Verzweiflung und schönläufiges Flehen kippt. Dem Zaccaria verleiht Karl-Heinz Lehner prophetischer Tragweite und demagogischem Vorwärtsdrang sowie eine überzeugende Glaubenstiefe im Gebet. Das Liebespaar, das den Gang der Handlung entfacht, spielt bei Verdi bloß eine Nebenrolle. So hat Almerija Delic in der Rolle der Fenena lange Zeit nichts anderes zu tun, als wie ein verwöhntes Püppchen dekorativ in der Gegend zu stehen. Zu voller Form kann sie erst bei Fenenas Abschiedsgesang an die Sterne auflaufen – schlank und lyrisch, getragen von unverkitschter Tapferkeit. Thomas Paul singt den Ismaele geradeheraus und strahlkräftig. Kompakt und ausgewogen klingt der Chor, mit einem angemessen zaghaften „Va pensiero“, dessen aufkeimendes Forte keine Zuversicht seitens der Geiseln ausdrücken möchte. Unter der Leitung von Motonori Kobayashi verbindet das Orchester feinfühlige Transparenz mit zugespitzter Dramatik. Mal federnd, mal wuchtig, bleibt es dicht am Geschehen – etwa im 2. Akt, als es die verzweifelte Abigail mit streichelnden Tönen zu trösten versucht.

Anke Schwarze

16., 22., 25., 30. 3.; 11., 15., 20., 28. 4.; 5., 13. 5; 10. 6.; Tel. 0231/5027 222; www.theaterdo.de

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