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Mörderische ErlöserVon Stefan Schmöe / Fotos von Thilo Beu
Was führt einen jungen Menschen der entpolitisierten Null-Bock-Generation zum religiösen Fundamentalismus? Im Falle der spätpubertären Marie, christlicher geht's beim Vornamen nun wirklich kaum, ist es der Geschichtsunterricht in der Schule. Der ist weder besonders engagiert noch besonders schlecht; genervt von der höchst undisziplinierten Klasse spult der Lehrer seinen Stoff ab. Thema ist Echnaton, altägyptischer Pharao im 14. vorchristlichen Jahrhundert, Gatte der Nofretete und Vater des Tutanchamun. Gekrönt als Amenophis IV., zeigte er besondere Verehrung des Sonnengottes Aton (den er später in seinen Namen aufnahm) - möglicherweise der frühe Versuch, eine monotheistische Religion zu erschaffen. In der Wüste ließ er die neue Hauptstadt Achet-Aton bauen, verlor aber dort zurückgezogen zunehmend die Kontrolle über den Rest des Landes. Das alles interessiert die Schüler herzlich wenig - bis auf Marie. Die ist sofort fasziniert von dem Herrscher, der sich als Vertreter eines einzig wahren Gottes ansah. Sie wird aufbegehren und schließlich als Selbstmordattentäterin sich und viele andere in den Tod reißen. Es ist nicht leicht, in dieser Klasse zu unterrichten - nur Marie (ganz links) hat Interesse am Geschichtsunterricht. Mit fatalen Folgen.
Das ist nicht die Geschichte, die Philip Glass in seiner Oper Echnaton (uraufgeführt 1984) erzählt; dort geht es um Aufstieg und Fall Echnatons, und Glass, der in seiner Operntrilogie über herausragende Gestalten der Geschichte in Satyagraha (über Mahatma Gandhi) und Einstein on the Beach (sehr entfernt über Einstein) auf eine konkrete Handlung weitgehend verzichtet hatte, folgt in Echnaton einem vergleichsweise konventionellen Handlungsstrang. Darin bereits angelegt ist immerhin die Figur des Lehrers, denn Glass lässt einen Erzähler immer wieder Texte, die für die Handlung wichtig sind, vorlesen (und zwar in der Sprache des jeweiligen Aufführungsortes). Thomas Dehler spricht und spielt diesen Lehrer-Erzähler sehr geschickt mit einer Mischung aus pädagogischer Geduld und Resignation. Die Schulklasse ist dagegen frei hinzuerfunden von der Regie, und das ist insofern eine nicht ganz schlechte Lösung, weil die statische, blockhafte Musik dadurch eine Bebilderung erhält, die in vielen Szenen durchaus trägt, weil diese Schulklasse von Tänzern dargestellt wird und der vermeintliche Realismus oft durch eine kunstvolle Choreographie (mit jugendaffinem Breakdance) unterlaufen wird und die Musik dann im Tanz einen Widerhall findet. Einige starke Szenen gelingen gerade dort, wo die Szene explizit mit Tanztheater auf die Musik antwortet. Vergiftete Einladung: Die zwölf Amtsträger am Tisch erleben gleich ihr letztes Abendmahl. Danach herrscht Echnaton (hinten).
Marie steigert sich in die Vision von einem Führer und Erlöser, dem sie zur Seite steht. Es gibt ein Bild, da wankt ein Mann mit Dornenkrone und den Kreuzigungsmalen durch den Raum, und Marie will ihn immer wieder (vergeblich) stützen. Sie sieht sich später als eine der Frauen dieses Religionsführers, und der Sprengstoffgürtel um den Bauch wird doppeldeutig als Zeichen der Schwangerschaft umgedeutet. Es gelingt der Regisseurin tatsächlich, die Handlungsebenen einigermaßen übereinander zu bringen, und auch wenn das alles mehr Behauptung als Diskurs ist, bleibt der Grundgedanke nicht ganz falsch, liefert zumindest die Folie, vor der die Figur des Lichtgottkönigs Echnatons wirkungsvoll hinterfragt wird und vom Ende her die moralisch verwahrloste Schulklasse zum Spiegel der Gesellschaft macht: Ist es nicht unsere Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte wie der Gegenwart, die zwangsläufig in die Katastrophe führt? Wer hat nun die richtige Religion? Echnaton singt, darunter trägt man theologische Diskurse per Lackspray aus.
Die zweite These der Regie muss man dem Programmheft entnehmen: "Gibt es im genetischen Code des Monotheismus einen Samen der Gewalt, der Botschaften von Liebe und Brüderlichkeit in Hassreden und Intoleranz verwandelt?" So formuliert es Laura Scozzi in einem Interview. Das lässt sich sicher nicht auf der Opernbühne klären. Aber es gibt eine wunderbare Szene, in der Echnaton am Fenster seines Palastes einen Hymnus singt, und auf die Mauer dieses Palastes werden nacheinander eine Synagoge, der Petersdom und eine Moschee projiziert (Video: Stéphane Broc), und ein Vertreter der jeweiligen Religion sprüht auf die Wand, dass nur sein Gott der wahre Gott sei - bis zuletzt ein "neutraler" Sprayer kommt und eine Friedenstaube daraus macht. Das ist so ein Moment, wo die Regie das richtige Zeitgefühl besitzt, um der monologischen Struktur der Musik entsprechende Bilder entgegenzusetzen. Dass vieles bei Laura Scozzi comichaft vereinfacht wird und mitunter arg reißerisch gerät, ist die andere Seite dieser Bildhaftigkeit. Aber im Bühnenbild von Natacha Le Guen de Kerneizon, in dem viele Mauern verschoben, eingerissen und mitunter auch gebaut werden (was Abgrenzung wie Aufbau bedeuten kann) und trotz der in ihrer Überzeichnung mitunter in den Historienkitsch abgleitenden Kostümen (Fanny Brouste) findet die Inszenierung eine schlüssige und zeitgemäße, noch dazu spannende Form für diese ziemlich unopernhafte Oper. Aus und vorbei mit Echnaton - die neuen Machthaber verbrennen seine Werke.
Musikalisch ist wenig auszusetzen an dieser Produktion, am ehesten noch der ziemlich knallige und direkte Klang, teilweise elektronisch verstärkt, mit dem sehr guten Chor und Extrachor an der Rampe oft zu sehr im Fortissimo verhaftet, was ja so in der Partitur stehen mag, aber ein bisschen viel für den Raum ist. Das Ensemble um Countertenor Benno Schachtner in der Titelpartie herum (sehr groß oder besonders charismatisch ist die Stimme nicht, aber er bewältigt die Partie sehr ordentlich) mit der soliden Susanne Blattert als Nofretete klingt durchweg homogen. Unter der Leitung von Kapellmeister Stefan Zilias spielt das Beethoven Orchester sehr zuverlässig und mit der erforderlichen Präzision bei den etlichen Wiederholungen, aus denen Glass' Musik sich zusammensetzt. Zilius macht aber auch hörbar, wie Glass sich behutsam der traditionellen Funktionsharmonik hier wieder annähert, ja mitunter beinahe "romantisch" klingt. Großer Beifall vom Premierenpublikum, in den sich ein paar Buhs für die Regie mischten.
Starkes Stück: In der knalligen, aber auch nachdenklich stimmenden Regie von Laura Scozzi und der guten musikalischen Umsetzung beweist Echnaton nicht nur Repertoiretauglichkeit, sondern hat das Zeug zum Publikumserfolg. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Regie
Choreographie
Bühne
Kostüme
Licht
Video
Chor
Mitarbeit Choreographie
Dramaturgie
Solisten
Echnaton
Nofretete
Teje
Haremhab
Der Hohepriester Amuns
Ajeh
Zwei Töchter
Lehrer
Marie
Tänzerinnen und Tänzer
Sprayer
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