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Opernkritik

Opernkritik: „Les Vêpres siciliennes“ in München

München / Lesedauer: 4 min

An der Münchner Oper ist Verdis „Les Vêpres siciliennes“ musikalisch phänomenal neu inszeniert worden
Veröffentlicht:13.03.2018, 17:23

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„Les Vêpres siciliennes“ gehört zu den Werken, die alle 50 Jahre unter Hosianna-Rufen neu entdeckt werden, um alsbald wieder in den Archivschlaf zurückzusinken. Die Münchner Neuinszenierung, musikalisch hochrangig, könnte das Mauerblümchen unter Verdis pompösen Opern dieses Mal vielleicht vor allzu raschem Verdorren bewahren.

Der große, damals allgegenwärtige Textlieferant Eugène Scribe ersann eine Opernkolportage reinsten Geblüts, eine mit Sex and Crime garnierte Bartholomäusnacht im französisch besetzten Palermo des Jahres 1282. Politische Intrigen sind mit Herzenswirrungen verwoben, edle Verschwörer aus Sizilien irren umher und singen vorzugsweise in Chören, frivole Besatzungstruppen rauben die Jungfrauen des Landes.

Dem Tenor Henri ist ein schweres Schicksal beschieden, liebt er doch die schier unerreichbare Herzogin Hélène. Vier Akte lang hindern sie Familienloyalität und Rachsucht, ihrer aufkeimenden Zuneigung nachzugehen. Henri hat außerdem erfahren, dass er der uneheliche Sohn des verhassten Besatzers Montfort ist. Procida, angesehener Arzt, ist nebenberuflich Drahtzieher der Revolte, trotz seelenbewegender Auftritts-arie („Oh mein Palermo …“) letztlich nicht minder grausam als sein Gegenspieler. Als nach drei Stunden die Hochzeitsglocken bimmeln, bricht der Aufstand los, und die Sizilianer machen in kurzem a-Moll-Chor den Franzosen den Garaus.

Vielschichtige Partitur

Selbst diese simplifizierende In-haltsangabe lässt vermuten, dass Scribe für dieses konfuse Libretto nicht den Prix Goncourt bekommen hätte. Doch Verdi komponierte es 1852/55 für Paris, das im 19. Jahrhundert Kunstzentrum Europas war, musikalisch dominiert von Meyerbeer. Nach seiner Schlagertrilogie „Rigoletto“, „Il Trovatore“ und „La Traviata“ wollte er eine Grande Opera komponieren. Doch es entstand noch kein Meisterwerk. Auf „Don Carlos“ musste die Welt noch 16 Jahre warten. Dennoch ist die „Sizilianische Vesper“ eine der vielschichtigsten Partituren Verdis. Verdi möchte die Grande Opera sublimieren, die Gestalten und ihre Schicksale psychologisch glaubhafter machen, hohles Pathos mit menschlicher Leidenschaft füllen, genügt aber auch ihren Forderung nach historisch aufgedonnerten Tableaus, prunkenden Chören und Balletten.

Dass in der Münchner Neuinszenierung eine der kostbaren Ballettmusiken durch ein elektroakustisches Getöse ruiniert wird, ist ein Skandal. Ein Regisseur kann sich auf der Bühne austoben, aber von der Musik sollte er bitte die Finger lassen. Verdi hat natürlich nicht auf die melodische Kraft seiner früheren Werke verzichtet, in einem traumschönen Duett dürfen die Liebenden alle Unbill der Welt vergessen, er steigt in die Abgründe des Vater-Sohn-Konfliktes, für die Herzenswirren der zerrissenen Hélène findet er ergreifende Töne. Auffallend auch die bereicherte Orchestersprache, neue Klangwelten dank virtuoser instrumentaler Kombinationen, faszinierend zu hören, wie dieses Sichweiterentwickeln auch Experimente wagt und Unsicherheit nicht verschweigt.

Ein internationales Ensemble war aufgeboten. Rachel Willis-Sørensen hat die Noblesse für Hélène, Koloratursicherheit, lyrische Empfindsamkeit, dramatische Attacke; Mittellage und Tiefe könnten klangvoller sein. Den vom Unheil verfolgten Henri gestaltete Bryan Hymel mit aufopferndem Einsatz, bis die Stimme versagte. Sein Kollege Leonardo Caimi – die Intendanz hielt es nicht für nötig, das Publikum nach der Pause zu informieren! – postiert an der Rampe mit Klavierauszug, begleitete vokal sein stummes Ringen um Hélène und Freiheit.

Zum Schaudern eindrucksstark sang George Petean den brutalen Montfort, hatte aber auch leise erschütternde Töne für die Gefühlsverwirrungen, als er seinen Sohn erkennt. Erwin Schrott singt die Sonntagswunschkonzert-Arie des Procida balsamisch, hat aber auch Schwärze und Energie für den Fanatismus des Aufrührers. Etwas überraschend betritt der Heimkehrer Siziliens Küste mit einer roten Uniformjacke der Seenotretter von 2018 und trägt einen ertrunkenen Jungen an Land. Was für ein starker Akzent! Wortlos erinnert er an eines der schrecklichsten Kapitel unserer Zeit.

Es bleibt beim Gag

Aber typisch für heute: Die folgenden Bilder spinnen den Gedanken nicht weiter, es bleibt beim Gag. Verdis Oper etwa im Vorderen Orient anzusiedeln, wagt der Regisseur Antu Romero Nunes nicht. Er zieht ein Sizilien vor, in dem die Sonne nicht scheint, verstellbare dunkle Plastik-vorhänge schaffen „neutrale“ Spielflächen. Die bunten Uniformen aus mehreren Jahrhunderten, ein wunderschönes Kleid für Hélène sorgen für Farbe. Rätselhaft, aber attraktiv sind die Masken für die Sizilianer. Nunes, Hausregisseur des Thalia Theaters in Hamburg, erzählt ziemlich genau die Story. Den Sängern gönnt er oft die Rampe. Das zumindest weist eine Begabung für Opernregie nach.

Der Garant des erfolgreichen Abends war Omer Meir Wellber mit dem phänomenalen Staatsorchester. Er ist ein sehr sicherer Dirigent, temperamentvoll, mit Sinn für Spannung. Nur eine Frage blieb offen: Warum wehrte er sich nicht gegen den elektroakustischen Angriff auf Verdi?