Das alte Wien im braunen Dresden

Das muss man sich mal vorstellen. Da ist der junge Offizier Matteo verliebt in die schöne Arabella. Er hat keine Chance, also verlegt er sich auf Erpressung, droht bei...

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WIESBADEN. Das muss man sich mal vorstellen. Da ist der junge Offizier Matteo verliebt in die schöne Arabella. Er hat keine Chance, also verlegt er sich auf Erpressung, droht bei Arabellas Bruder Zdenko mit Selbstmord, und der Tenor Thomas Blondelle legt so heftigen Schmerz und Schmelz in die Stimme, dass man seiner Verzweiflung glaubt. Das tut auch der Bruder, der aber eine verkleidete Schwester ist, die Matteo in Arabellas Zimmer lotst, sich aber selber ins Bett legt und den ahnungslosen Verliebten glücklich macht.

So weit kann das Helfersyndrom gehen, und auch die Fantasie eines Opernlibrettisten wie Hugo von Hofmannsthal, wenn er für die schlichte Geschichte von „Arabella“ einen Konflikt konstruiert. Die Titelheldin ist unsterblich in den Grafen Mandryka verliebt, der jetzt glaubt, Grund zur Eifersucht zu haben. Ryan McKinny spielt ihn in der Wiesbadener Neuinszenierung nicht als ungehobelten Rumpelmacho aus dem exotischen Slawonien, sondern als eleganten Träumer, dem man den wilden Ruf nach scharf geschliffenen Säbeln nicht recht abnehmen mag. Auch seinen bassgetönten Bariton setzt er sehr zurückhaltend ein. Im Gesangsvergleich der Schwestern liegt die jüngere um eine Nasenspitze vorn: Katharina Konradi bringt als Zdenka einen warmtönigen lyrischen Sopran ein, während Sabina Cvilak ihre Arabella mit einer kultiviert geführten, aber im Volumen noch entwicklungsfähigen Stimme ausstattet.

Als Darstellerinnen spielen sie sich locker die Bälle zu, wie überhaupt die Inszenierung des Intendanten Uwe Eric Laufenberg die Geschichte sorgfältig auf die Bühne bringt und die Typen trifft. Das Elternpaar, das die Tochter wegen der Spielschulden des Vaters meistbietend verkauft, ist mit satirischem Witz getroffen. Wolf Matthias Friedrich karikiert in breiten Gesangslinien die pomadige Sprechweise, wenn dieser Spieler-Graf vornehm tun will, Romina Boscolo kombiniert die mütterliche Wichtigtuerei mit einer etwas unausgeglichenen Altstimme. Zur milden ironischen Distanz, die man aus dieser Personenregie herauslesen kann, passt der Goldrahmen, den Gisbert Jäkel vor die Bühne gesetzt hat und der schief hängt, als Arabella noch fürchtet, sich in die Ehe mit dem Grafen Elemer (Aaron Cawley mit schneidigen Auftritten) begeben zu müssen.

Antje Sternbergs ansehnliche Kostüme führen in die Entstehungszeit der Oper, und für den Ball, auf dem Gloria Rehm als Fiaker-Milli mit sauberen Koloraturen gefällt, hat Jäkel einen Foyersaal der 1930er Jahre gebaut, in dem die Tische mit Naziwimpeln dekoriert sind. Auch im Video zur Einleitung des dritten Aktes sieht man nicht nur, was Zdenka und Matteo über und unter der Bettdecke tun, sondern auch Bilder der hakenkreuzgeschmückten Semperoper. Dort präsentierte Richard Strauss seine träumerischen Geschichten aus dem alten Wien, während die neue Diktatur sich breitmachte, und der Komponist strich stillschweigend die Widmung an den von den Nazis vertriebenen Dirigenten Fritz Busch aus der Partitur.

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Die Erinnerung daran ist gerechtfertigt, zumal sie zum damals schon eher antiquierten Frauenbild passt, das diese Oper preist. Viele Gründe dafür, sie trotzdem zu spielen, kommen aus dem Orchestergraben, und die meisten Bravos an dem mit großem Beifall aufgenommenen Abend gab es für das glänzend aufgelegte Staatsorchester und Patrick Lange: Der Generalmusikdirektor schien die Partitur in jedem Augenblick neu zu modellieren, bewies feines Gespür für Stimmungswechsel und feine Klangfarben. Bei aller Präzision gelang eine sehr entspannt wirkende Wiedergabe, die auch die dramaturgischen Hängepartien dieses Stückes elegant überbrückte.