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Musiktheater
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Nabucco

Dramma lirico in vier Akten
Libretto von Temistocle Solera
Musik von
Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 2h 35' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 10. März 2018
(rezensierte Aufführung: 16.03.2018)




Theater Dortmund
(Homepage)
Versöhnliches Ende als Illusion

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas Jauk (Stage Picture)

Jens-Daniel Herzogs Zeit als Intendant der Oper Dortmund neigt sich allmählich dem Ende. Nachdem er bereits letzte Woche sein Buch ADDIO DORTMUND als Chronik über seine sieben Jahre währende Intendanz in Dortmund vorgestellt hat und bevor es am 15. Juni 2018 eine große Abschieds-Gala unter dem gleichen Titel mit dem Solistenensemble geben wird, das ihn in großen Teilen an seine neue Wirkungsstätte nach Nürnberg begleiten wird, präsentiert er nun seine letzte Opernregie am Haus. Nach dem szenisch umstrittenen Otello in der vergangenen Spielzeit (siehe auch unsere Rezension), widmet er sich erneut Giuseppe Verdi, dieses Mal Nabucco, dem Werk, mit dem Verdis kometenhafter Aufstieg zum größten italienischen Opernkomponisten begann. Der berühmte Gefangenenchor ließ Verdi zum künstlerischen Sprachrohr des Risorgimento werden und gilt auch heute noch bei vielen Italienern als heimliche Nationalhymne. Laut Verdis Memoiren soll er auch ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass Verdi seine Komponisten-Karriere fortgesetzt habe, obwohl er sie aufgrund der schweren persönlichen Schicksalsschläge - er hatte kurz zuvor seine Frau und seine beiden Kinder verloren - und des Misserfolgs seiner komischen Oper Un giorno di regno bereits wieder habe beenden wollen. Als er nämlich das von einem Theaterdirektor erhaltene Libretto von Nabucco achtlos auf den Tisch geworfen habe, habe es sich wie von Wunderhand auf der Seite des Gefangenenchors geöffnet. Die berühmten Worte hätten ihn nicht mehr losgelassen, bis er die passende Musik dazu gefunden habe.

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Der jüdische Hohepriester Zaccaria (Karl Heinz Lehner, vorne links) und das jüdische Volk (Opernchor) fühlen sich von Ismaele (Thomas Paul, vorne rechts) verraten.

Die Geschichte um den in der Bibel überlieferten babylonischen König Nebukadnezar II. (Nabucco), der sich in der Oper selbst zum Gott ernennt, dafür mit Wahnsinn gestraft und erst durch die Bekehrung zum jüdischen Gott geheilt wird, so dass er schließlich das israelische Volk aus der babylonischen Gefangenschaft befreit, bietet zahlreiche Übertragungsmöglichkeiten auf aktuelle Ereignisse. Wer Herzogs Inszenierungen in den letzten Jahren in Dortmund verfolgt hat, dürfte auch keineswegs überrascht sein, dass Herzog nicht daran gelegen ist, dieses politisch brisante Werk als monumentalen Kostümschinken auf die Bühne zu bringen, wie man ihn vielleicht in der Arena di Verona erleben könnte. Aber einem Großteil des Publikums geht Herzog dann mit seiner Umdeutung der Handlung, insbesondere des Endes, dann doch zu weit. Wie er selbst im Programmheft bekundet, glaubt er nicht an das gute Ende der Oper und inszeniert es daher als eine Traumvision des babylonischen Königs. Das mag näher an der heutigen Realität sein, in der die Fundamenlisten leider häufig den Sieg über die Menschlichkeit tragen. Zu Verdis Musik passt es jedoch nicht. In der zweiten besuchten Aufführung gibt es zwar im Gegensatz zur Premiere keine Unmutsbekundungen mehr, aber das Regie-Team stellt sich ja auch nicht erneut dem Publikum.

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Abigaille (Gabrielle Mouhlen) plant einen Umsturz.

Zu Beginn mag man Herzogs Ansatz noch folgen. Herzog hat die Handlung, die anfangs zwischen Jerusalem und Babylon hin und herspringt, nach Babylon in Nabuccos Palast verlegt, den Mathis Neidhardt auf der verwendeten Drehbühne als Politbüro des 20. Jahrhunderts ausstattet. Der Saal, in dem die Israeliten hier als diplomatischer Corps zu Gast sind, versprüht mit einer Bauchtänzerin und einem pittoresken Springbrunnen orientalisches Flair. Bereits zur Ouvertüre arbeitet Herzog die bestehende Figurenkonstellation heraus. Ismaele hat ein Verhältnis mit Abigaille und knutscht wild an einem Tisch. Dabei werden die beiden vom Oberpriester des Baal beobachtet. Währenddessen tanzt Fenena im Büro ihres Vaters und begibt sich anschließend zu den diplomatischen Gästen, wobei Ismaele bei ihrem Anblick sofort seine frühere Geliebte vergisst und nun mit Fenena turtelt. Das passt Nabucco natürlich gar nicht, und die Israeliten werden auf dem Empfang festgesetzt. Die Ausgangssituation für die Belagerung im ersten Akt ist geschaffen. Nun verläuft alles zunächst einmal einigermaßen werkgetreu. Der jüdische Hohepriester Zaccaria nimmt Nabuccos Tochter Fenena als Geisel und droht, diese zu töten, wenn die Babylonier die Israeliten nicht frei lassen. Doch Ismaele befreit Fenena und zieht sich den Zorn seines Volkes zu.

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Fenena (Almerija Delic) und Abdallo (Fritz Steinbacher, rechts) stehen Nabucco (Sangmin Lee, Mitte) bei.

Die Idee, den Oberpriester des Baal als Strippenzieher in dem nun folgenden Komplott Abigailles gegen ihren Vater Nabucco fungieren zu lassen, geht ebenfalls noch auf. So spielt er Abigaille das Dokument in die Hand, aus dem hervorgeht, dass sie von Sklaven abstammt und somit ihren Herrschaftsanspruch an Fenena verlieren wird, in der der Oberpriester eine weitere Gefahr sieht, da diese mittlerweile zum jüdischen Glauben konvertiert ist. In einem Zwischenraum bereitet Abigaille mit zahlreichen Kriegern den Umsturz vor und verbreitet das Gerücht, Nabucco sei tot. Wahrscheinlich wird auch ein Anschlag auf Nabucco verübt, dem dieser jedoch entgeht. So taucht er völlig überraschend auf, als Abigaille gerade ihrer Schwester die Macht entreißen will und gebietet beiden Töchtern Einhalt. Wie er allerdings im Anschluss mit Wahnsinn gestraft wird, als er sich selbst zum Gott ausruft, wird in der Inszenierung nicht ganz deutlich. Fenena flieht jedenfalls zu den weiterhin im Saal festgesetzten Juden, deren Ermordung Abigaille plant. Auch beim berühmten Gefangenenchor bewegen sich die Inszenierung und die Stückvorlage noch in die gleiche Richtung.

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Traumvision eines gestürzten Herrschers: Nabucco (Sangmin Lee) im Rollstuhl

Im Anschluss entfernt sich Herzog jedoch immer mehr vom Libretto. Nabucco wird mit seinem Vertrauten Abdallo in seiner Zelle von den Anhängern Abigailles überfallen und sediert, während Abdallo getötet wird. Dann wird er im Rollstuhl zu den gefangenen Juden gefahren, die alle an eine Wand gestellt und erschossen werden. Der Oberpriester des Baal geht im Anschluss noch einmal durch die Reihen, um zu prüfen, ob wirklich alle tot sind, und hilft andernfalls durch gezielte Schüsse nach. Alles Weitere ist nur noch eine Traumvision des benebelten Nabucco. In seinem Rollstuhl wird er an den sich langsam erhebenden und jubelnden Israeliten vorbeigefahren und winkt wie ein geistig umnachteter Greis dem Volk zu. Abigaille tritt auf und fleht scheinbar um Verzeihung, die der Vater ihr gewährt. Dabei wirkt sie jedoch in ihrem roten Kleid keineswegs geschwächt und auch nicht dem Tod nahe. Mit diesen deprimierenden Bildern lässt Herzog den Abend enden und baut dazu einen riesigen Kontrast zum musikalisch versöhnlichen Abschluss auf, der beim Publikum Verwirrung und Unverständnis auslösen dürfte.

Musikalisch bleiben jedoch an diesem Abend keine Wünsche offen. Nachdem Sangmin Lee bereits in der letzten Spielzeit als Jago in Otello das Publikum begeistert hat, präsentiert er sich auch in der Titelpartie des Nabucco als Idealbesetzung. Mit kräftigem Bariton zeichnet er den Abstieg vom selbstverliebten Tyrannen zum isolierten Diktator und entwickelt dabei stimmlich eine bewegende Melancholie. Gabrielle Mouhlen stattet seine böse Tochter Abigaille mit einem dunkel timbrierten Sopran aus, der in den Höhen eine enorme dramatische Kraft entwickelt. Einen Glanzpunkt des Abends stellt ihre große Arie "Anch'io dischiuso un giorno" im zweiten Akt dar, in der sie erfährt, dass sie nicht die rechtmäßige Thronerbin, sondern eine Sklavin ist. Thomas Paul verfügt als Ismaele über einen sauberen Tenor mit strahlenden Höhen. Almerija Delic punktet als Fenena mit warmem und weichem Mezzosopran. Karl Heinz Lehner verleiht dem Hohepriester Zaccaria mit dunkel gefärbtem Bass Autorität. Morgan Moody hat als Oberpriester des Baal zwar nicht viel zu singen, überzeugt aber mit kräftigem Bariton und gestaltet den Fundamentalisten mit bedrohlicher Bühnenpräsenz. Die kleineren Partien sind mit Fritz Steinbacher als Abdallo und Ashley Thouret als Zaccarias Schwester Anna ebenfalls gut besetzt. Eine Glanzstunde in dieser Oper erleben auch der von Manuel Pujol einstudierte Chor und Extrachor des Theaters Dortmund, die nicht nur den berühmten Gefangenenchor zu einem Ereignis des Abends machen, sondern auch in den übrigen Massenszenen stimmgewaltig überzeugen. Pujol hat an diesem Abend auch noch die musikalische Leitung der Dortmunder Philharmoniker übernommen, so dass bei dieser zweiten Aufführung die Massenszenen musikalisch aus einem Guss sind. Dafür wird er vom Publikum, genauso wie die Solisten und der Chor, mit großem Applaus bedacht.

FAZIT

Szenisch hätte man sich von Herzogs Abschiedsregie vielleicht etwas anderes gewünscht, auch wenn er mit dieser Inszenierung eigentlich seinem Stil treu bleibt. Musikalisch bleibt zu hoffen, dass die Oper Dortmund auch nach dem Weggang eines Großteils des hervorragenden Ensembles dieses Niveau halten wird.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Motonori Kobayashi /
*Manuel Pujol

Regie
Jens-Daniel Herzog

Bühne
Mathis Neidhardt

Kostüme
Sibylle Gädeke

Chor
Manuel Pujol

Licht
Florian Franzen

Dramaturgie
Hans Peter Frings
Georg Holzer

 

Dortmunder Philharmoniker

Opernchor und Extrachor
des Theaters Dortmund

Statisterie des Theaters Dortmund

 

Solisten

*rezensierte Aufführung

Nabucco, König von Babylon
Sangmin Lee

Ismaele
Thomas Paul

Zaccaria, jüdischer Hohepriester
Karl-Heinz Lehner

Abigaille, Nabuccos Tochter
Gabrielle Mouhlen

Fenena, Nabuccos Tochter
Almerija Delic

Oberpriester des Baal
*Morgan Moody /
Luke Stoker

Abdallo
Fritz Steinbacher

Anna
Enny Kim /
*Ashley Thouret

 


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Theater Dortmund
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