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Tannhäuser-Premiere

Ulf Schirmer dirigiert Calixto Bieitos „Tannhäuser“ in der Oper Leipzig

Großartig als verführte, verletzte, verzweifelte, verstoßene Elisabeth: Elisabet Strid.

Großartig als verführte, verletzte, verzweifelte, verstoßene Elisabeth: Elisabet Strid.

Leipzig. Es hätte ein anderer „Tannhäuser“ werden sollen: Katharina Wagner sollte inszenieren und sprang im Dezember ab, weil ihr Bühnenbildner nicht fertig wurde. Die Oper Leipzig kaufte drum Calixto Bieitos 2015er-Produktion aus Gent/Antwerpen ein. Burkhard Fritz sollte den Tannhäuser singen und meldete sich am Premierenmorgen krank. Dass an seiner Stelle Stefan Vinke zu Premierenrettung anreiste, aus Wiesbaden mit dem Zug nach Eisenach, von da weiter mit dem Taxi, eine Stunde vor Vorstellungsbeginn war er in Leipzig, ist ihm gar nicht hoch genug anzurechnen. Nicht nur angesichts der Witterungsverhältnisse am Samstag. Denn auch, wenn er die Inszenierung bereits gut kannte, ist es ein gewaltiges Wagnis, ungeprobt in eine solche Produktion einzusteigen. Aber szenisch fügt Vinke sich engagiert ein, und gesanglich ist er eine sichere Bank, steigert sich bis zur Rom-Erzählung immer mehr. Die Figur, der er da seine Stimme leiht, ist ja oft keine der Zwischentöne. Und sein Bayreuth-erprobtes Timbre hat viele Fans unter den Wagnerianern von Nah und Fern, was sein Applaus am Ende deutlich widerspiegelt. Ein Happy End also mit dramatischer Vorgeschichte.

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Einstudierung ohne Regisseur

Komplizierter liegt der Fall bei Calixto Bieito, der viele Jahre lang als so eine Art Lieblingsflegel im internationalen Regie-Theater-Zirkus herumgereicht wurde. Erstens wurde es Zeit, dass auch die Leipziger einmal eine seiner umstrittenen Arbeiten besichtigen können. Zweitens weiß man auch nicht, was bei Katharina Wagner herausgekommen wäre, wenn sie sich mal wieder an einem Werk ihres Ururgroßvaters Richard abgearbeitet hätte. Doch hat genau dies, drittens, Bieito in Leipzig auch nicht getan. Und das ist das größte Problem dieses „Tannhäusers“. Denn Bieito hat ihn nicht einstudiert, sondern Barbora Horáková Joly die Arbeit machen lassen. Er selbst hat nur die energischen Buhs und Bravi abgeholt.

Ganz gleich, was Bieito oben in seine Inszenierungs-Maschine einfüllt, unten kommt Bieito raus. Ein Theater der Assoziationen, der Rätsel, der Chiffren, der Rituale, der Anspielungen. Das Charisma dieses Theater-Derwischs sorgt im Normalfall dafür, dass es nie langweilig wird. Wenn aber er seine Darsteller nicht mitreißt, sondern eine Dritte erklären muss, dieses oder jenes habe so oder so zu sein, weil der Meister es eben so wolle, ist das mit der Stringenz so eine Sache.

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Rätsel, Bilder, Langeweile

Dann füllen manche Sängerdarsteller, Mathias Hausmann als Wolfram von Eschenbach, Kathrin Göring als Venus oder, mehr noch, Elisabet Strid als Elisabeth, die Leerstellen aus eigener Kraft, während andere einstudierte Posen vorführen. Dann fällt sie in sich zusammen die Opernwelt des Calixto Bieito. Dann gibt es immer noch Rätsel und Bilder und Assoziationen, die nicht zueinanderfinden, weil Bieito keiner linearen Logik folgt. Dann kommt zwischen Junggesellenabschied und Priesterweihe, Gewalt und Folklore Langeweile auf, wenn Sänger ohne Kontakt zueinander auf der Bühne stehen oder liegen und das Publikum ansingen oder -brüllen im hängenden Wald des Venusbergs, in der nüchternen Halle der Wartburg und beider Kombination im dritten Aufzug, wenn Bühnenbildnerin Rebecca Ringst beide vereint: die Welt der Hure und der Heiligen, der Pilger und des Schwerenöters. Dann sorgt der Chor mit Zombie-Grimassen und -Gehampel für unfreiwillige Heiter-, allerlei Würgen für Ratlosigkeit – und ist es ein Segen, dass die in Leipzig gespielte Dresdner Fassung deutlich kürzer ist als die Pariser.

So viel wird klar: Die Frau, ganz gleich ob Venus oder Elisabeth, ist für Bieito auf den Spuren Wagners Objekt, Projektionsfläche, jedenfalls fremdbestimmt. Göring spielt das überzeugend, Strid großartig: eine Verführte, Verletzte, Verzweifelte, Verstoßene – in den Wahn getrieben von einer (Männer-)Welt, in der sie keinen Platz findet. Was die Herren umtreibt, ist schwerer zu sagen. Wolfram will offenbar Elisabeth, und Tannhäuser weiß nicht, was er will. Landgraf Hermann (Rúni Brattaberg) will lange Ansprachen an sein Volk richten, Biterolf (Randall Jacobsh) sich prügeln und Walther von der Vogelweise vor allem schön singen – was Patrick Vogel tatsächlich tut.

Großartige Sänger

Damit ist er nicht allein in diesem „Tannhäuser“: Da überstrahlt die gleichzeitig warme und kristalline, die durchsetzungsstarke und doch zerbrechliche Elisabeth Elisabet Strids mühelos und ohne jede Schärfe Chor und Orchester. Da bebt die Hallen-Arie vor Hoffnung und Überschwang, wird die Schönheit des Gesangs durchlässig für emotionale Wahrhaftigkeit. Auch Mathias Hausmann löst mit seinem Wolfram ein Ticket für den Sänger-Olymp. Weich klingt er im Angesicht des Abendsterns, fragend, menschlich und beseelt. Großartig singt der von Thomas Eitler-de Lint präparierte Chor. Hauchzart und machtvoll, pathetisch und poetisch. Und dass seine Tempo-Vorstellungen nicht immer mit denen des Hausherrn Ulf Schirmer am Pult zusammengehen – geschenkt. Auch Kathrin Göring hat der Infekt erwischt, sie lässt es vor Vorstellungsbeginn ansagen, und hin und wieder ist es auch zu hören. Aber sie stattet ihre Venus dank exzellenter Technik und hoher sängerischer Intelligenz dennoch mit sinnlicher Größe aus, mit wunderbaren Farben und subtilen Zwischentönen. Brattaberg dagegen lässt den Landgrafen vor allem in der Höhe ungepflegt dröhnen und kommt mit sehr wenigen Vokalen aus. Das fällt umso mehr ins Gewicht, als Schirmer seine langen rezitativischen Auslassungen so feierlich und gravitätisch angeht, dass der Spannungsfaden mehr als einmal reißt.

Sensationelle Holzbläser

Davon abgesehen ist exzellent, was da aus dem Graben kommt. Schirmer macht aus ständig wechselndem Blickwinkel Wagners Register-Polyphonie sinnfällig. Und wie die sensationellen Holzbläser des Gewandhausorchesters sie mit Farben füllen, wie sie die Linien singen lassen und den Satz atmen, das ist große Ensemblekunst. Dazu schwelgen und rasen, streicheln und zürnen die Bläser, prunkt das Blech im weihevollen Choral ebenso wie in der Attacke, greift eins ins andere, geht auf in einem Wagner-Strom, der nachdrücklich zeigt, dass es Ulf Schirmer gelungen ist, das Orchester der Heimatstadt des Komponisten wieder zu den besten Wagner-Klangkörpern aufschließen zu lassen.

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Orchester und Dirigent, der fabelhafte Chor, dazu Sängerdarsteller wie Strid und Hausmann, allesamt ausführlich bejubelt, könnten dafür sorgen, dass der „Tannhäuser“ ein Renner im Spielplan wird. Und dass es in Leipzig mal wieder eine Inszenierung gibt, über die man immerhin streiten könnte, hätte der Regisseur selbst sie einstudiert, ist gewiss auch kein Fehler.

Vorstellungen: 24. März, 2. April, 27. Mai, 18. November, 9. Dezember 2018, Karten (15–78 Euro) gibt’s unter anderem in allen LVZ-Geschäftsstellen, über die gebührenfreie Tickethotline 0800 2181050 und auf www.lvz-ticket.de, unter Telefon 0341 1261261 oder an der Opernkasse.

Von Peter Korfmacher

LVZ

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