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„Maria Stuarda“ am Gärtnerplatz: Showdown unterm Gefrierpunkt

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Gnade gibt es keine für Ex-Königin Maria: Jennifer O’Loughlin als Maria Stuarda (2.v.li.) und Nadja Stefanoff als Königin Elisabetta, hier mit Elaine Ortiz Arandes (Anna Kennedy, li.) und Lucian Krasznec (Graf Leicester).
Gnade gibt es keine für Ex-Königin Maria: Jennifer O’Loughlin als Maria Stuarda (2.v.li.) und Nadja Stefanoff als Königin Elisabetta, hier mit Elaine Ortiz Arandes (Anna Kennedy, li.) und Lucian Krasznec (Graf Leicester). © Foto: Christian Pogo Zach

Hochachtbare Solisten in einem kostümierten Konzert - das Münchner Gärtnerplatztheater zeigt Donizettis „Maria Stuarda“.

München - Ob es nur eine Reifrock-Rempelei war? Oder haben sie sich an den Haaren gezerrt, bespuckt, die Divenfingerkrallen im Anschlag, sich in einer Keifzangenbewegung umkreisend? Als auch noch Neapels Königin in der Generalprobe entsetzt der Hinrichtung von ihresgleichen beiwohnte, hieß es damals: weg mit dem Stück. Entschärfung aus Notwehr, eine unzumutbare Angelegenheit, diese „Maria Stuarda“, bei der Bühnenfiktion, historischer Hintergrund, Musik und ein Damen-Duell, das in der Realität nie so stattfand, für Sängerinnen und Publikum nerven- und stoffzerfetzende Folgen hatten.

Gerade weil die Anekdoten um Gaetano Donizettis Schiller-Oper über zwei rivalisierende britische Königinnen gar zu schön sind, muss man sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen bei dieser Premiere des Gärtnerplatztheaters: Ja, „Maria Stuarda“ kann tatsächlich ein Thriller sein. Was nicht heißt, dass man den Zweistünder auch herunterkühlen kann, reduzieren, stilisieren. Und, das mag vielleicht die Absicht Michael Sturmingers gewesen sein: Sind starke Solisten nicht Regie-Programm genug? Ihnen beim bloßen Da-Sein zuschauen, beim Produzieren effektvoller Belcanto-Kunst zuhören, statt realistische (und meist unfreiwillig komische) Zickenkriege zu entfachen, reicht das nicht?

Michael Sturminger inszeniert parallel auch in Salzburg

Das Gärtnerplatztheater muss sich Sturminger, das ist bekannt, gerade mit den Salzburger Osterfestspielen teilen, wo er an diesem Samstag Giacomo Puccinis „Tosca“ herausbringt. Die österreichische Ein-Mann-Regiefeuerwehr (auch schon beim Salzburger „Jedermann“) ließ sich in München während vieler Probentage von Co-Regisseurin Ricarda Regina Ludigkeit vertreten. Ob’s der Spagat war oder das schon ursprünglich maue Konzept: Donizettis Reißer rutscht weg ins kostümierte Konzert und unter den Gefrierpunkt. Anfangs verstört das nicht unbedingt. Der eher kleine Raum, die Intimität des Hauses, die quasi barrierelose Bühnenwirkung kommt dem Arrangement zwischen plexiglaskühlen Wänden und auf breiter Showtreppe (Ausstattung: Andreas Donhauser, Renate Martin) zugute.

Doch wenn die Keimzelle des Stücks, das große, von Donizetti so kühn entworfene Duett Elisabettas und Marias, nur müde flackert (und auch manch Lider im Publikum), herrscht Theateralarmstufe Rot. Dabei sind die Protagonistinnen  als gegenseitige Kontrastmittel auf den Punkt besetzt. Zwei Weiber wie Öl und Essig. Jennifer O’Loughlin, eigentlich als lyrische Koloratursopranistin sozialisiert und mittlerweile eine Säule des Gärtnerplatz-Ensembles, treibt als Maria ihre Stimme kontrolliert an Grenzen (und ein bisschen darüber hinaus), verliert dabei nie die Sopransüße. Nadja Stefanoff hält mit durchgedrücktem Rücken, gebleckten Zähnen und Aceto-Balsamico-Stimme dagegen. Was für ein Riesenpotenzial für die Regie, es muss wohl in einer anderen Produktion genutzt werden.

Dirigent Anthony Bramall fordert hohe Umdrehungszahlen

Lucian Krasznec ist ein Leicester mit Welpencharme, das richtige Futter, von dem die beiden Kampfhennen zu gern naschen. Seinen biegsamen, attraktiven Tenor bringt er auch gern auf Attacke-Modus – wie überhaupt in dieser Premiere oft zu viel unter Dampf gesungen wird und so, als müsse  man  ein paar Straßen weiter das Nationaltheater beschallen. Wie Dramatik mit dem Belcanto-Einmaleins zusammengebracht wird, führt ausgerechnet ein Nebenrollen-Solist vor, Matija Meić als Cecil. Und dennoch: Belcanto, das zeigte schon Bellinis „La sonnambula“ und Donizettis „Don Pasquale“, ist eine Repertoireschiene, auf der das Haus unbedingt weiter Fahrt aufnehmen sollte – gerade weil dafür hochachtbare Künstler zur Verfügung stehen.

Vielleicht fühlte sich das Premieren-Personal zu sehr angestachelt von Chefdirigent Anthony Bramall in seiner ersten „richtigen“ Opernpremiere am Haus. Grundsätzlich ist der Brite ein Sängerfreund. Er kann die Musik aber auch in hohe Umdrehungszahlen bringen, das Final-Ensemble des ersten Akts stürzt mit zugeschaltetem Turbo über die Ziellinie. Zu hören ist viel züngelndes Brio, Spaß an der Detailarbeit und keine Sekunde Beiläufigkeit. Auch der Chor geht präzise und klangschön mit. Wer kurz die Augen schließt, genießt, und dann wieder auf die Bühne blickt, muss freilich feststellen: Da werden zwei verschiedene Stücke verhandelt.

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