Puccinis „Tosca“ für Jedermann

Puccinis „Tosca“ für Jedermann
Premiere bei den Salzburger Osterfestspielen mit einer grandiosen Protagonistin und einigen Neudeutungen

Es ist den Salzburger Osterfestspielen hoch anzurechnen, dass sie sich an eine Neuproduktion von Giacomo Puccinis „Tosca“ wagten. Diese Oper ist nicht nur musikalisch ein Meisterwerk, in ihrer Perfektion vielleicht sogar d a s Meisterwerk, sondern auch inhaltlich eines der aufregendsten Dramen der Musiktheater-Literatur. Warum das festzustellen wichtig ist: Weil „Tosca“ im Repertoire allzu oft wie ein alter, abgespielter Hadern, auf zwei Arien reduziert, daherkommt. Und weil sie szenisch so gut wie überall gleich aussieht und sich kaum jemand über eine Überprüfung der Relevanz für unsere Zeit drübertraut.

Dabei ist „Tosca“ topaktuell. Es geht um Polizeige walt, Folter, Machtmissbrauch, männliche Übergriffe, ja sogar um Bürgerkrieg. Von Trump bis #MeToo, von Syrien bis zum IS – all das steckt in „Tosca“. Was keiner Aufforderung gleichkommt, das platt zu zeigen – aber mitschwingen könnte es.

Historisch

Allerdings ist die Oper, allein schon durch die „Vittoria“-Rufe von Cavaradossi, zeitlich präzise einzuordnen, im Juni 1800, bei der Schlacht von Marengo, bei der Napoleon die Koalition aus Österreich, Großbritannien, Russland, Neapel, dem Kirchenstaat etc. besiegte. Das wäre bei Aktualisierungen eine zentrale Aufgabe für die Regie: Eine Lösung für einen Zeitsprung in diesem vorgegeben Rahmen zu finden.

Michael Sturminger wählt einen anderen Weg. Er zeigt „Tosca“bei seiner Neuinszenierung als Mafia-Drama. Scarpia ist bei ihm eine Figur wie Giulio Andreotti, der Langzeitpolitiker, der an 33 Regierungen beteiligt war und dem immer wieder Beziehungen zur Mafia vorgeworfen wurden. Im dritten Akt zitiert Sturminger mit dem Schriftzug „Il divo“ auf dem Dach der Engelsburg sogar den preisgekrönten Film über Andreotti aus dem Jahr 2008.

Noch vor dem ersten Ton der Oper sieht man auf der Bühne einen Überfall auf einen Carabinieri-Wagen in einer Tiefgarage, im Zuge dessen Angelotti (exzellent: Andrea Mastroni) flüchten kann, in die Kirche Sant’Andrea della Valle, mitten in die Handlung von „Tosca“.

Im dritten Akt dann wird Cavaradossi von Kindern, Nachwuchs-Mafiosi aus einem katholischen Internat, erschossen. Und das Schlussbild zeigt ein Pistolenduell zwischen Tosca und Scarpia, bei dem beide sterben. Ja, Tosca und SCARPIA, der in dieser Neudeutung Toscas Messerstich zuvor überlebte. Man ist an jenen Komtur aus dem „Don Giovanni“ erinnert, der in Claus Guths Salzburger Interpretation auch nicht stirbt.

Abgesehen davon, dass die Schießerei zu Beginn sehr platt wirkt: Die (klischeehaf ten) Aktualisierungen sind weniger schwerwie gend als das, was dazwischen passiert. Da sieht diese „Tosca à la Mafia“ fast aus wie jede andere auch, die Personenführung bleibt an der Oberfläche, man erfährt wenig Substanzielles, wodurch die Neudeutungen wie Effekte verpuffen. Die Bühne ist prä zise in der Nachbildung der Schauplätze, die Kostüme sind heutig (für beides verant wortlich: Renate Martin, Andreas Donhauser).

Überragend

Aus der Besetzung ragt Anja Harteros als phänomenale Tosca heraus, sicher in allen Lagen, höchst intensiv, zwischen Dramatik und zarten Tönen changierend. Ihr „Vissi d’arte“ ist ein Ereignis, wie schon zuletzt an vielen anderen Häusern. Aleksandrs Antonenko als Cavaradossi steigert sich nach eindimensionalem Beginn, er ist aber mehr Otello als diese Künstlerpersönlichkeit. Ludovic Tézier als Scarpia singt lyrisch, phrasiert wunderbar, wirkt aber für diese Partie zu wenig kraftvoll und bedrohlich.

Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle setzt auf eine „Tosca“ jenseits von Kraftmeierei, kostet die lyrischen, kammermusikalischen, intimen Facetten schön aus und verweigert das Bad im sonst typischen Puccini-Schmelz. Je reduzierter die Lesart, je fokussierter auf Details, desto edler müsste jedoch die musikalische Umsetzung sein. Da gäbe es Luft nach oben.

„Tosca“ in Salzburg: Ein bissl neu, tut niemandem weh, kein klarer „Vittoria“.

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