Simon Rattle hat Wagners „Parsifal“ sicher nicht von ungefähr für sein Finale als Chef der Berliner Philharmoniker bei den Osterfestspielen Baden-Baden ausgewählt. Auch Vorgänger Claudio Abbado verabschiedete sich damit, damals noch von Salzburg. Geht es in Wagners Spätwerk doch um Erlösung – durch Kunst, Kunst als Religion.
Wer Rattle kennt, wird nicht verwundert sein, dass der Brite, der das Repertoire dieses einzigartigen Klangkörpers so intelligent geöffnet hat, seine Form der Erlösung nicht im pathetischen Zerdehnen von Zeit findet. Dieser „Parsifal“ lebt durch eine flüssige, bewegt-bewegende Deutung der Partitur. Die Musik schreitet nicht, sie gleitet. Evident ist, wie sehr Dirigent und Orchester sie in der Nähe zu Symbolismus und Impressionismus verorten. Zum Beispiel in der Blumenmädchenszene: Deren Erotik, deren verschlungener, durch Chromatiken vernetzter Kontrapunkt klingt ganz nah an Debussy, welcher die „Parsifal“-Musik so schätzte. In den Gralstempelszenen fordert Rattle anstelle weihevoller Statuarik eleganten Vorwärtsdrang und ist damit nah an Pierre Boulez’ Lesart. Beglückend, wie diese Zauberharfe Berliner Philharmoniker den Ansatz überzeugend umsetzt, allzu deutsches Pathos meidet, ohne über Wagner hinwegzuspielen.
Die vokalen Leistungen tragen das Niveau der fünften Baden-Badener Osterfestspiel-Opernproduktion voran. Stephen Gould gehört in die vorderste Riege der Wagner-Tenöre; der Parsifal liegt seinem virilen, in der Höhe sehr obertonreichen Stimmklang besonders. Franz-Josef Selig ist ein eloquenter, nie ermüdender Gurnemanz, Gerald Finley versteht den leidenden Amfortas in klangliche Plastizität zu kleiden, Evgeny Nikitins Klingsor hat dunkle, elektrisierende Energie. Durchwachsen fällt das Rollendebüt Ruxandra Donoses als Kundry aus: Zu oft geht ihr an sich nasal-klangschöner Mezzosopran im Orchesterklang unter, intonatorische Unschärfen im zweiten Akt sind nicht zu überhören.
In Unschärfen – allerdings optischer Natur – verharrt leider auch Dieter Dorns Inszenierungsansatz. Grau, nebulös entpuppt sich dieser „Parsifal“ als Theater modischer und postmoderner Chiffren: Magdalena Guts Bühne ist Ausdruck dessen; ihre funktionalen Holzgestelle und -rampen beschreiben in beständiger, zielloser Bewegung den „Gralsbezirk“ als Raum außer Kontrolle. Auch Klingsors Zaubergarten mit breiten Zinnen, die unglücklich an das Berliner Holocaust-Mahnmal erinnern, und Blumenmädchen, die sich auf dem Boden liegend aus weißen Tüchern herausschälen, ist ein Raum der Dystopie. Und der Beliebigkeit. Dorn hat für diesen „Parsifal“ in den Fundus gegriffen. Und erntet für Baden-Baden überraschend heftige Buhs.

Info Weitere Aufführungen:  30. März und 2. April. www.festspielhaus.de